Februar 2017
Autor: Fabian Nemitz
Kanat Alpysbajew hat noch einiges vor. Der Chef der kasachischen Eisenbahn will sein Land zu einem zentralen Verkehrsknotenpunkt machen – zum Tor zwischen China und Europa. Im Jahr 2020, so die Pläne, sollen bereits 1,7 Mio. Container über Kasachstan nach Europa, in die Türkei und den Iran befördert werden. Rund vier Mrd. US-Dollar möchte die staatliche Bahngesellschaft dann mit dem Transit pro Jahr verdienen – eine willkommene Einkommensquelle für das Land, das unter den niedrigen Ölpreisen leidet.
Kasachstan wird Dreh- und Angelpunkt
Die Stadt Chorgos an der kasachisch-chinesischen Grenze ist ein Herzstück dieser Strategie. Mit der Sonderwirtschaftszone „Khorgos – Eastern Gate“ und dem grenzüberschreitenden Handelszentrum ICBC entsteht hier derzeit ein zentraler Punkt der neuen Seidenstraße für den Handel zwischen China, Europa und dem Nahen Osten.
Zwar ist vieles noch Zukunftsmusik, doch am Transportaufkommen der kasachischen Eisenbahn ist der Aufschwung schon zu spüren. Im Jahr 2011 wurden gerade einmal 1.100 Container aus China über Kasachstan nach Europa transportiert. Im vergangenen Jahr waren es schon 95.000. Firmen wie der Automobilhersteller BMW und der IT-Konzern Hewlett Packard nutzen die Strecke für Transporte zwischen ihren Werken und zu Kunden.
Ein Grund für den Optimismus der kasachischen Bahn ist die Seidenstraßeninitiative der chinesischen Regierung. Zwar gibt es schon seit dem Fall des Eisernen Vorhangs Pläne, die historische Seidenstraße wiederzubeleben – wie das 1993 von der EU gestartete TRACECA-Projekt. Damit wollte die Union die Verkehrswege von Europa über den Kaukasus nach Zentral- und Ostasien ausbauen.
Doch erst mit der im Herbst 2013 verkündeten chinesischen „Belt and Road Initiative“ bekam die neue Seidenstraße wieder historische Dimensionen. Die Initiative umfasst den Ausbau von See- und Landverbindungen zwischen Asien, Europa und Ostafrika und ist mit 40 Mrd. US-Dollar dotiert, die Beijing im Rahmen des Silk Road Fund zur Verfügung stellt. Hinzu kommen Mittel der gerade gegründeten Asiatischen Infrastrukturinvestitionsbank – mit einer Kapitalausstattung von 100 Mrd. US-Dollar.
Beijing hat mehrere Gründe für das Engagement. Die Volksrepublik erhofft sich von dem Projekt die Erschließung neuer Absatzmärkte. Die heimische Wirtschaft wächst nicht so stark, die Industrie leidet unter Überkapazitäten. Da wirken Investitionen in die Infrastruktur als willkommenes Konjunkturprogramm. Hinzu kommen sicherheits- und geopolitische Überlegungen. Beim Ausbau der Transportkorridore in Eurasien hat die Regierung die unruhigen Westprovinzen im Blick.
Ein Teilstück der neuen Seidenstraße von oben.
©GettyImages/mariusz_prusaczyk
Aktuelle Informationen zur neuen Seidenstraße
Rund um die Seidenstraße soll ein Gürtel entstehen, in dem Wohlstand, Zusammenarbeit und Frieden herrschen. Weil sie zunehmend als Kapitalgeber und Wirtschaftspartner auftritt, kann die Volksrepublik ihren Einfluss in der Region erhöhen. Gleichzeitig stellt China mit dem Aufbau eines Netzes neuer Transportrouten sicher, dass die eigene Volkswirtschaft weiter mit den nötigen Rohstoffen versorgt werden kann.
Dank seiner Lage im Herzen Eurasiens und den kürzesten Transitverbindungen hat Kasachstan tatsächlich gute Chancen, zur zentralen Drehscheibe für den Landverkehr zwischen China, Europa und dem Nahen Osten zu werden. Das wirtschaftliche Kalkül dahinter: Statt mehr als einen Monat über See braucht ein Container über die Straße oder Schiene von China nach Europa nur rund zwei Wochen. Bei vielen Produkten kann dieser Vorteil die im Vergleich zum Seetransport höheren Kosten ausgleichen. Dies gilt besonders für Lieferungen aus oder nach West- und Zentralchina.
Die Regierung in Astana investiert bereits seit Jahren kräftig in den Ausbau der Transportinfrastruktur. Von 2010 bis 2015 ließ sie mehr als 1.800 km neue Bahnstrecken bauen, um Lücken im Bahnnetz zu schließen. Dadurch verkürzen sich Transporte von Ost nach West um rund 1.000 km.
Die antike Seidenstraße
Die Seidenstraße gilt als berühmteste und älteste Handelsroute der Welt. Sie verläuft nicht wie eine klassische Route, sondern besteht aus netzartig angelegten Karawanenwegen und verband das Mittelmeer schon zu römischer Zeit über Mittelasien mit Ostasien. Das Gesamtnetz der historischen Seidenstraße ist rund 140.000 km lang.
Die Bezeichnung „Seidenstraße“ stammt von dem im 19. Jahrhundert lebenden deutschen Geografen Ferdinand von Richthofen. Allerdings verwendeten auch schon die Byzantiner eine ähnliche Bezeichnung. Seide war damals ein attraktives chinesisches Handelsgut und im Westen sehr begehrt.
Von Kaiser Konstans II. (641–648) geprägte Münze. Er soll der erste byzantinische Herrscher gewesen sein, der Botschafter zur chinesischen Tang-Dynastie sandte.
© Classical Numismatic Group, Inc.
Hoher Zuwachs dank Subventionen
Aktuelle Schwerpunkte der Regierung neben dem Aufbau von Lager- und Verkehrsinfrastruktur am Knotenpunkt Chorgos sind die Häfen Aktau und Kuryk am Kaspischen Meer. Auch will Kasachstan das Straßennetz zwischen den wichtigsten Städten des Landes verbessern. Im Bau befindet sich etwa ein neuer Straßenverkehrskorridor von Westchina nach Westeuropa mit stolzen 2.800 km auf kasachischem Territorium. Es werden aber noch Jahre vergehen, bis der Gesamtkorridor bis Europa fertig ist. Die Ausbauarbeiten in Russland haben noch gar nicht begonnen. China hingegen hat sein 3.425 km langes Teilstück bereits im Jahr 2011 in Betrieb genommen.
Ob die ehrgeizigen Pläne zur Steigerung des Frachtaufkommens auf den transeurasischen Korridoren Wirklichkeit werden, bleibt abzuwarten. Die jüngsten, hohen Zuwachsraten kommen auch durch die Subventionen chinesischer Provinzregierungen zustande, die Landtransporte fördern wollen. Es bleibt zudem eine offene Frage, womit Logistiker all die Container auf dem Rückweg nach China füllen sollen. Laut Angaben von Eurostat standen im Jahr 2015 den EU-Importen aus dem Reich der Mitte in Höhe von 351 Mrd. Euro nämlich nur Ausfuhren von 170 Mrd. Euro gegenüber.
Praktiker äußern sich jedenfalls verhalten. Hans-Peter Otto etwa, Geschäftsführer des auf Transporte von Europa in die GUS-Staaten, den Nahen Osten und nach Asien spezialisierten Logistikunternehmens C. Spaarmann. Bislang spürt das Unternehmen noch keinen nennenswerten Aufschwung auf der neuen Seidenstraße. „Als Nutzer dieser neuen Möglichkeiten befinden wir uns noch in einer frühen Phase“, sagt Otto. Er lässt seine Kollegen in Kasachstan, Usbekistan und China gerade prüfen, ob sich Sammelgutverkehre zwischen China und Zentralasien lohnen könnten.
Das Hauptgeschäft des mittelständischen Unternehmens in den GUS-Staaten besteht im Transport von Maschinen und Anlagen bis hin zu kompletten Fabriken. Zuletzt sind die Umsätze hier stark zurückgegangen, weil der Ölpreis gesunken ist und Währungen in der Region abgewertet haben. Der Logistiker sieht indes gute Chancen, dass sich Kasachstan zur Drehscheibe für Transporte von China in die GUS-Staaten entwickelt, vorausgesetzt, bestehende Hemmnisse wie Korruption und Bürokratie würden weiter abgebaut, während die Regierung die Infrastruktur modernisiert. Noch sind auch wenig effiziente und unplanbare Zollkontrollen ein Hindernis. Zudem fehlt es an gut ausgebildetem Logistikpersonal. Immerhin bildet die Deutsch-Kasachische Universität in Almaty seit geraumer Zeit in diesem Bereich aus. „Von dort haben wir schon Absolventen für uns gewinnen können“, freut sich Otto.
Während der Landtransport über Kasachstan für zeitkritische Güter schon heute eine gute und zunehmend genutzte Alternative ist, hält Praktiker Otto es für unwahrscheinlich, dass auf absehbare Zeit das Gros der Güter zwischen China und Europa, insbesondere aber auch zwischen China und dem Nahen Osten auf Straße und Schiene befördert werden. Dafür ist der Seeweg dann doch noch zu kostengünstig.
Service & Kontakt
GTAI-Ansprechpartnerin für Kasachstan
Verena Saurenbach
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Weitere Informationen zu Kasachstan finden Sie auf der GTAI-Länderseite: www.gtai.de/kasachstan.
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