Auf Abstand

Die Welt staunt über den schwedischen Sonderweg bei der Pandemiebekämpfung. Weniger bekannt: Auch die schwedische Wirtschaftspolitik während der Coronakrise ist untypisch. Das größte Land Skandinaviens konzentriert seine Mittel auf langfristige Reformen.

Februar 2021
Autor: Michał Woźniak

Ein Infoterminal in einer Stockholmer Einkaufsstraße ruft zum Abstandhalten auf. Erst im Januar 2021 sicherte sich die Regierung eine Rechtsbasis um Coronamaßnahmen verbindlich einzuführen. Bisher bleibt die Politik aber sehr liberal. © picture alliance /REUTERS

Dass die Schweden der Coronakrise auf ihre eigene Art begegnen würden – Ralph Tischer hätte es sich denken können. „Die Erwartungskultur in Schweden ist anders als beispielsweise in Deutschland“, sagt der Geschäftsführer der Deutsch-Schwedischen Handelskammer (AHK Schweden). „Der Staat hält sich aus der Wirtschaft größtenteils raus.“

Nach den großen Strukturreformen der 1990er-Jahre hat der Wirtschaftsliberalismus Tradition im Land: Der Staat ist für den Aktions­rahmen zuständig und greift nur selten ins ­Tagesgeschäft ein. Deshalb gibt es in Schweden auch keine „Maßnahmen nach deutschem Bazooka-Muster“, wie Tischer sie nennt: volumenstarke Finanzspritzen für coronageplagte Unternehmen nämlich. Die Schweden bleiben lieber bei ihrer langfristigen Wirtschaftspolitik.

Schwedische Unternehmen hätten durchaus Grund, mehr finanziellen Einsatz seitens der Regierung zu fordern. Laut Prognosen wird die dortige Wirtschaft zwar weit weniger unter der Coronakrise leiden als die Europäische Union und weite Teile der Welt. Dennoch wird das Wirtschaftswachstum im Jahr 2020 den winterlichen Durchschnittstemperaturen in Uppsala gleichen, der ältesten Universitätsstadt des Königreichs. Sprich: Es dürfte im unteren einstelligen Minusbereich liegen.

Der Einzelhandel hat sogar zugelegt

Auch in Schweden hatte die Regierung ­Büroarbeiter früh aufgerufen, im Homeoffice zu bleiben. Das bescherte der IT-Branche vor allem im Frühling gute Geschäfte. Wegen der Reisebeschränkungen – bis weit in den Sommer hinein ließen Urlaubsregionen wie Mallorca oder Zypern nur widerwillig Einreisen aus Schweden zu – hatten die Menschen mehr Zeit, sich ihrem Eigenheim und der allgegenwertigen Sommarstuga, der Sommerhütte, zu widmen. Sehr zur Freude der Einrichter und Baumärkte. „Ohne Lockdown und dank der hohen Kaufkraft stiegen bislang die Einzelhandelsumsätze in vielen Bereichen“, resümiert AHK-Chef Tischer. „Das bestätigen auch unsere Mitgliedsfirmen.“

Die liberale Coronapolitik machte es auch leichter, Produktion und Vertrieb aufrechtzuerhalten, betont Fredrik Persson, Präsident des Dachverbandes schwedischer Branchen- und Arbeitgeberverbände Svenskt Näringsliv.  siehe Interview rechts Sie konnte aber nichts an der schwachen globalen Konjunktur ändern. Ein harter Schlag für die exportorientierte Wirtschaft. Die Ausfuhren beliefen sich in Schweden 2019 auf 47 Prozent des Bruttoinlandsproduktes, sogar etwas mehr noch als beim ehemaligen Exportweltmeister Deutschland. Unter den am stärksten Betroffenen waren Maschinen- und Kraftfahrzeugbau.

Vor der Sommerpause wurden teilweise Stimmen nach Branchenhilfen laut. Doch während Dänemark und Norwegen ihre grünen Konjunkturhilfen vor allem Richtung Bau­wesen, Energiebranche und Entsorgungswirtschaft ausrichteten, vermied Schweden solche Maßnahmen lange.