März 2020
Autoren: Friedrich Henle und Michael Sauermost
Kommen Sie aus Deutschland?“, fragt mein Sitznachbar im Zug von Casablanca nach Rabat neugierig, der auf meinem Handy eine deutschsprachige Homepage identifiziert hat. Es ist der 35-jährige Aissam Diouri, ein junger Ingenieur, der eine nicht zu übersehende Ähnlichkeit mit dem Weltfußballer Zinédine Zidane aufweist. Er berichtet von seinem Studium an der École Nationale Supérieure des Mines de Rabat und seinem Auslandsjahr im französischen Grenoble. Beruflich fühle er sich in Marokko nicht ausgelastet, beklagt er, und verweist auf mangelnden Spielraum innerhalb seiner bisherigen Stationen im Bau- und Energiesektor.
Diouri spricht ein akutes Problem in Nordafrika an. Während ausländische Investoren über den Mangel an Fachkräften in der Region klagen, übersehen sie bisweilen, dass für gut ausgebildete, junge Arbeitskräfte vor Ort keine adäquaten Jobs generiert werden. Das spiegelt sich in der hohen Jugendarbeitslosigkeit in Marokko wider. Offiziell liegt die landesweite Quote bei knapp zehn Prozent. In der Altersgruppe der 15- bis 24-Jährigen ist mittlerweile jeder Vierte auf Jobsuche, berichtet das nationale Statistikamt Hautcommissariat au Plan.
Besonders dramatisch ist ein Blick in die Städte, wo der Anteil der jungen Bevölkerung ohne Job mittlerweile die 40-Prozent-Marke überschritten hat. Das Motto „Eine gute Bildung erhöht die Chancen auf Arbeit“, mit dem zahlreiche internationale Ausbildungsinitiativen in den Staaten Nordafrikas – finanziell unterstützt durch Geberinstitutionen – ins Leben gerufen wurden, stimmt daher nur teilweise.
Die BMZ-Initiative
Immer mehr junge Menschen strömen auf den afrikanischen Arbeitsmarkt. Um alle mit Arbeit zu versorgen, braucht Afrika rund 20 Millionen neue Arbeitsplätze pro Jahr. Mit der Sonderinitiative Ausbildung und Beschäftigung will das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) Arbeitsplätze schaffen, die Arbeitsbedingungen verbessern und nachhaltiges Wirtschaftswachstum fördern. Dafür standen 2019 230 Millionen Euro zur Verfügung. Der Automobilzulieferer Marquardt ist Teil der Initiative und bildet in seinem tunesischen Werk Fachkräfte nach deutschem Vorbild aus.
Viele Akteure, noch mehr offene Fragen
Auch stellt sich zunehmend die Frage, in welche Richtung die Initiativen zielen. So startete beispielsweise im Jahr 2016 ein von der Weltbank finanziertes Pilotprojekt, bei dem junge marokkanische Schulabsolventen in Deutschland eine dreijährige duale Ausbildung im Hotel- und Gastronomiegewerbe absolvieren können. Im Auftrag der marokkanischen Arbeitsagentur Anapec wird das Vorhaben von der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) begleitet. Offen bleibt dabei, ob die Absolventen nach der Ausbildung in Deutschland übernommen werden oder tatsächlich ihr erlerntes Know-how in der Heimat anwenden können.
Auch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) engagiert sich in der Region. Mit der Sonderinitiative Ausbildung und Beschäftigung will das BMZ nachhaltiges Wachstum und Arbeitsplätze in Afrika schaffen und unterstützt deshalb deutsche, europäische und afrikanische Unternehmen sowie Investoren bei ihrem Engagement auf dem Kontinent. Das Ziel: In den kommenden Jahren sollen so 100.000 Arbeits- und 30.000 Ausbildungsplätze entstehen.
Eine gute Bildung erhöht die Chancen, einen Arbeitsplatz zu finden – eigentlich.
Der Fokus liegt dabei auf der Entwicklung von Arbeitschancen auf dem jeweiligen lokalen Markt. Für Eva Näher, Leiterin des Projekts Partenariat pour l’Emploi, ist vor allem der Praxisbezug wichtig: „Wir wollen direkt mit Unternehmen und unterstützenden Institutionen an konkreten Projekt- und Investitionsansätzen arbeiten und so realistische Ausbildungs- und Jobperspektiven bieten.“
Das Projekt will sowohl deutsche als auch marokkanische Unternehmen erreichen und Jobpartnerschaften zwischen Deutschland und Marokko aufbauen. Daraus resultiert auch die enge Zusammenarbeit mit Partnerinstitutionen wie der Auslandshandelskammer und der marokkanischen Investitionsbehörde Amdie. Im Fokus des Projekts stehen die Lebensmittel- und die Automobilindustrie. Aber auch die Digitalwirtschaft, der Gesundheitssektor und die Tourismusbranche sind relevante Sektoren.
Ein Beispiel für die vom Projekt unterstützten Ansätze ist das Industriecluster Schweißtechnik Marokko. Hier lernen angehende Schweißer an marokkanischen Fachhochschulen und in deutschen Schweißtechnikunternehmen ihr Handwerk. Bis 2021 sollen 430 Personen direkt von der Ausbildung profitieren.
Ausbildung bei Marquardt: Der Automobilzulieferer ist eines von vier deutschen Unternehmen, die gemeinsam die Tunisian Automotive Management Academy ins Leben gerufen haben. So sollen nicht nur Fachkräfte ausgebildet werden, sondern auch 260 Ausbildungs- und 7.500 Arbeitsplätze in den beteiligten Unternehmen entstehen. © Ute Grabowsky/photothek.net
Näher dran an der Wirtschaft
Das Projekt Altazir, arabisch für Synergie, des Bundesverbands Berufsbildung International ist Teil der BMZ-Sonderinitiative. Durch eine stärkere Einbindung der Wirtschaft in die berufliche Bildung sollen die Beschäftigungschancen für marokkanische Arbeitnehmer erhöht werden.
Ralph Matschinsky, Altazir-Projektleiter und nahezu seit einem Vierteljahrhundert in Afrika unterwegs, benennt die Herausforderungen klar: die Ausbildungsmodule entwickeln, umsetzen und kontinuierlich weiterentwickeln – und dabei den Praxisbezug in Zusammenarbeit mit den Unternehmen der Privatwirtschaft und der staatlichen Berufsbildungsbehörde OFPPT gewährleisten. Bei dem Vorhaben stehen hauptsächlich die Sektoren Industrieelektrik, Klimatechnik, Hochbau sowie Maschinen- und Anlagenführer im Vordergrund.
Nach deutschem Vorbild
In Marokko konzentriert sich das GIZ-Projekt Tamheen auf strukturbildende Maßnahmen, die durch den Dialog zwischen den Unternehmen sowie den Bildungseinrichtungen bessere Voraussetzungen für betriebliche Ausbildungsplätze schaffen sollen. „Es ist wichtig, die Ausbildungsgänge mit dualer Ausbildung an den Bedarf des Arbeitsmarktes anzupassen und damit auch die Beschäftigungschancen junger Menschen zu verbessern“, sagt Cornelia Batchi, Projektleiterin des Vorhabens.
Politischer Träger ist die Abteilung für Berufsbildung des Bildungsministeriums, an der Durchführung sind der Unternehmensdachverband CGEM sowie die staatliche Berufsbildungsbehörde OFPPT beteiligt. „Viele Unternehmen sind motiviert, sich an der dualen Berufsausbildung zu beteiligen“, bewertet Batchi vorsichtig, denn der eigentliche Ausbildungsstart ist erst im September 2020. Logistik und IT wurden als Pilotsektoren ausgewählt. Unternehmen und Berufsschulen werden bei der Umsetzung der dualen Ausbildung beraten mit Blick auf die Übertragung auf andere Berufe und Sektoren.
Interview
»Die besten Fachkräfte verlassen Tunesien.«
Noureddine Yakoubi, General Manager Marquardt Tunesien, über den Fachkräftemangel und Ausbildungsinitiativen in Tunesien.
Warum ist es schwer, gute Fachkräfte in Tunesien zu finden?
Dafür gibt es mehrere Gründe. Der Praxisbezug der Ausbildungen ist nicht ausreichend und das führt zu längeren Einarbeitungs- und Integrationszeiten. Hinzu kommt, dass die besten Fachkräfte Tunesien verlassen, weil die Nachfrage aus Europa hoch ist.
Hilft Ihnen die Initiative Tunisian Automotive Management Academy?
Ja, wir halten viel davon. Wir erhoffen uns dadurch nicht nur gut ausgebildete, neue Fachkräfte. Auch Bestandspersonal profitiert von den Kursen, zum Beispiel zur Verbesserung der Soft Skills.
Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit den Partnerfirmen der Initiative?
Die Zusammenarbeit mit den anderen Unternehmen ist sehr gut. Wir kennen uns schon seit Langem und haben die gleichen Herausforderungen. Daher war es nur folgerichtig, sich bei dieser Initiative zusammenzuschließen.
Angebot und Nachfrage passen nicht
Auch Tunesien hat wie Marokko mit hoher Arbeitslosigkeit zu kämpfen. Dabei sind Nachfrage und Angebot des Arbeitsmarkts nicht im Einklang. Die offizielle Arbeitslosenquote liegt konstant bei etwa 15,5 Prozent, bei Akademikern bei knapp 29 Prozent. Viele Ingenieure, Ärzte und Wissenschaftler suchen deshalb lieber im Ausland nach einem Job. Unternehmen, die in Tunesien produzieren, haben dagegen oft Probleme, qualifizierte Facharbeiter zu finden.
Gerade im tunesischen Automobilsektor tummeln sich etliche deutsche Zulieferer, die immer häufiger mit Personalengpässen zu kämpfen haben. Mit der im September 2019 eingeweihten Tunisian Automotive Management Academy sollen Fachkräfte qualifiziert und dadurch zusätzliche 260 Ausbildungs- und 7.500 Arbeitsplätze in den beteiligten Unternehmen geschaffen werden. Dieses Projekt ist Teil der BMZ-Sonderinitiative.
Mit solchen Maßnahmen wollen tunesische Organisationen zeigen, dass ein guter Bildungsabschluss auch zu einem Job führen kann. In Tunis setzt das Centre d’Orientation et de Reconversion Professionnelle (CORP) – eine eigene Organisationseinheit der Auslandshandelskammer Tunesien – an dieser Stelle an: Jobsuchende, die eine abgeschlossene Ausbildung in der Tasche haben, sollen schneller eine Anstellung im Land finden. „In Tunesien gibt es nicht nur 600.000 Arbeitslose, sondern auch 200.000 unbesetzte Stellen in Unternehmen“, sagt CORP-Direktorin Ameni Boubaker. „Wir wollen mit unseren Aktivitäten Jobsuchende und offene Stellen zusammenbringen.“ CORP will unter anderem die Soft Skills der Bewerber verbessern und sucht nach Kooperationspartnern wie Jobmessen oder der nationalen Arbeitsagentur, um das Angebot bekannter zu machen.
Nach dem Gespräch führt Boubaker noch durch die CORP-Büros und zeigt stolz eine Digitalanzeige, auf der in großen, roten Ziffern die Zahl 1.600 aufleuchtet. „Das ist unsere Erfolgsmessung“, sagt sie. „So viele Kandidaten haben wir seit der Gründung im Jahr 2015 bereits an Unternehmen vermittelt.“
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Titelbild © Chokri Mahjoub/dpa picture alliance
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