Baufortschritt
Weltweit geht der Trend hin zu alternativen Baustoffen. Unternehmen verwenden Materialien und Techniken aus der jeweiligen Region und kombinieren sie mit modernen Methoden. Deutsche Unternehmen stehen dabei weitgehend am Spielfeldrand und schauen zu, doch es gibt Ausnahmen.
Februar 2021
Autorinnen: Samira Akrach und Edda vom Dorp
Die Zentralbibliothek Oodi in Finnlands Hauptstadt Helsinki: Auf eine Konstruktion aus Glas und Stahl ist eine markante Holzfassade montiert. Immer mehr Architekten und Bauherren setzen bei ihren Gebäuden Holz ein. Es ist CO2-neutral, nachhaltig und durch moderne Verarbeitungsmethoden außerdem fast so stabil und flexibel wie Stahlbeton. © Peter Hirth/laif
Wolfram Schmidt hat für Afrikas Großstädte der Zukunft ein klares Bild vor Augen. „Das Bauen in Afrika“, sagt der Wissenschaftler, der bei der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung forscht, „muss viel hybrider werden“. Er meint damit die Kombination von Hightech und lokaler Handwerkskunst. Afrikanische Architekten, fordert Schmidt, müssten viel stärker das Positive an traditionellen, lokalen Bauweisen erkennen und diese zukunftsfähig machen. Er selbst hat in Ghana im Rahmen seiner Forschung an der University of Ghana einen Ofen gebaut, mit dem sich aus landwirtschaftlichen Reststoffen ein Zementersatzstoff herstellen lässt.
Die Bauwirtschaft ist ein Ressourcenfresser und verursacht große Mengen CO2-Emissionen. Deshalb nimmt das Thema nachhaltiges Bauen gerade international an Fahrt auf. Forscher der Initiative Globe Consensus fordern, dass Nachhaltigkeit künftig für Baunormen genauso wichtig sein müsse wie Sicherheit und Dauerhaftigkeit. Als Schlüssel zum nachhaltigen Bauen gelten vor allem alternative Baustoffe wie Hanf, Lehm, Holz, Stroh oder Bambus.
Deutsche haben oft Nachholbedarf
Das Bauen der Zukunft soll also zurück zur Natur. Und hier haben deutsche Unternehmen der Baubranche oft noch Nachholbedarf. Trotz sonst hoher Qualität, und obwohl sie durchaus mit natürlichen Materialien umgehen können, setzen deutsche Ingenieure größtenteils auf klassische Baustoffe wie Beton. „Die Kompetenz im nachhaltigen Bauen müsste viel selbstbewusster vorgetragen werden“, findet Christine Lemaitre von der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen.
Andere Weltregionen sind deutlich weiter, Skandinavien beispielsweise mit dem Baustoff Holz. In Finnland soll der Holzbau bei öffentlichen Bauprojekten bis zum Jahr 2022 einen Marktanteil von 31 Prozent und bis 2025 von 45 Prozent erreichen. Vielerorts entstehen längst Hochhäuser aus dem nachwachsenden Rohstoff. Die Berliner Architekten Kaden und Lager haben auch eins gebaut: in Heilbronn.
Die Zutaten für Nachhaltiges Bauen
Lehm
Dieser uralte Baustoff ist einer der natürlichsten. Bauunternehmen setzen ihn in Form von Lehmbauplatten im Trockenbau ein, als Lehmstein oder Lehmputz, der sich auf den verschiedensten Untergründen auftragen lässt. Lehm ist diffusionsoffen – er nimmt Feuchtigkeit aus der Luft auf und gibt sie bei Bedarf wieder ab. Er gilt als energieeffizient, schalldämmend und wiederverwendbar.
Hanf
Sogenannte Hanfsteine (auch Hanfbeton genannt) sind eine Mischung aus Hanffasern und Kalkmischungen. Sie sollen so robust sein wie Beton, allerdings wesentlich leichter. Hanfsteine speichern Wärme und kühlen im Sommer, daher müssen Bauherren für Hanfhäuser keine Extradämmung einplanen. Außerdem sind Hanfsteine schalldämmend und schwer entflammbar.
3-D-Druck
Dies ist zwar kein Baustoff, sondern eine alternative Bautechnik. Allerdings lässt sich ein 3-D-Drucker wiederum mit alternativen, nachhaltigen Baumaterialien befüllen. Ein Architekt entwirft das Gebäude am Computer, ein überdimensionaler 3-D-Drucker (ein sogenannter Portalroboter) druckt es dann Schicht für Schicht aus. So entstehen Häuser wie der Prototyp Gaia, in Massa Lombarda, Italien, gedruckt im Jahr 2018 aus natürlichen Materialien mit lokaler Erde und Reishülsen.
Recyclingbeton
Wenn schon Beton, dann kommt in nachhaltigen Gebäuden immer häufiger recycelter zum Einsatz. Bei Recyclingbeton ersetzen Zementwerke Kies oder Naturstein durch eine sogenannte Recyclinggesteinskörnung. Diese gewinnen Abbruchunternehmen aus mineralischem Material und anderem aufbereiteten Bauschutt.
Nachhaltiger Zement
Beton ist umso klimafreundlicher, je weniger Portlandzement er als Bindemittel enthält. Viele Aschen landwirtschaftlicher Reststoffe, zum Beispiel Reisschalen, Cassavaschalen oder Zuckerrohrbagasse, haben zementähnliche Eigenschaften und können erhebliche Mengen an CO2 bei der Zementherstellung einsparen. Darüber hinaus sparen Zementwerke damit sogar Kosten und bauen lokale Wertschöpfungsketten auf.
In Asien hat die Verwendung von Bambus eine lange Tradition, allerdings kein sonderlich gutes Image. Während für Wohnhäuser wertvolle Tropenhölzer zum Einsatz kommen, verwenden asiatische Handwerker Bambus nur für Baugerüste und andere provisorische Bauten. Das möchte der Architekt Markus Roselieb ändern: Mit seinem Unternehmen hat er sich auf langlebige Konstruktionen aus Bambus spezialisiert.
In Afrika, wo voraussichtlich zum Ende des Jahrhunderts 13 der 20 größten Städte der Erde liegen werden, sind Verfahren gefragt, mit denen sich schnell bauen lässt – und gleichzeitig materialschonend. Der Berliner Unternehmer Eckardt Dauck versucht, das Problem zu lösen, indem er in Ostafrika innovative Häuser aus Reisstroh errichtet. Aus landwirtschaftlichem Abfall entstehen so zum Beispiel Schulgebäude.
Alternative Baustoffe haben das Zeug, das Bauen nachhaltiger zu machen, sie allein können den enormen Bedarf aber nicht decken. „Man muss die Innovation im Hinblick auf natürliche Baustoffe weiter unterstützen“, sagt Moritz Koch, Business Development Manager bei MC-Bauchemie Müller. „Aber wir müssen uns gleichzeitig viel stärker darauf konzentrieren, klassische Baustoffe zu optimieren.“ Ein ähnliches Fazit zieht Wolfram Schmidt: „Wir können den Anteil von Zement im Beton entscheidend verringern. Das macht das Bauen gerade bei großen Produktionsmengen deutlich nachhaltiger. Doch ob wir es wollen oder nicht, wir werden um Beton auch in der Zukunft nicht herumkommen.“
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