Februar 2019
Autoren: Robert Matschoß, Florian Steinmeyer und Daniel Lenkeit
Kanadas Premierminister Justin Trudeau, Chefverhandler Steve Verheul und Außenministerin Chrystia Freeland (von links) auf dem Weg zu einer Pressekonferenz in Ottawa Anfang Oktober 2018, um das neue Handelsabkommen USMCA anzukündigen. © PATRICK DOYLE/Kontributor
Kurz vor dem 25. Jahrestag seines Inkrafttretens hat das Nordamerikanische Freihandelsabkommen Nafta auf Druck von US-Präsident Donald Trump ein Upgrade bekommen. Die Regierungschefs Mexikos, Kanadas und der USA haben am Rande des G20-Gipfels im argentinischen Buenos Aires ein Nachfolgeabkommen für Nafta unterzeichnet – das sogenannte United States-Mexico-Canada Agreement, kurz: USMCA. Während des Wahlkampfs hatte Trump das bestehende Abkommen als schlechtesten Handelsdeal aller Zeiten für die USA gegeißelt und in den Verhandlungen mehrfach mit einem Nafta-Ausstieg gedroht. Die neuen Bestimmungen im USMCA sollen mehr Industriearbeitsplätze in den USA bringen, vor allem in der jobträchtigen Automobilindustrie.
Nafta ist eine Freihandelszone, die ganz Nordamerika umfasst, vom Süden Mexikos über die USA bis in den nördlichsten Zipfel Kanadas – ein riesiger Markt mit rund 490 Millionen Menschen. Waren können überwiegend zollfrei zwischen den drei Ländern gehandelt werden. Das hat dazu geführt, dass sich der Handel zwischen ihnen seit Abschluss des Abkommens mehr als vervierfacht hat. Die Geschichte von Nafta, der Stand der Reform und die Änderungen im Einzelnen hat Markets International in einem eigenen Text analysiert. Freier Handel: Nafta wird USMCA.
Intensiver Handel, hohe Produktion
Innerhalb der Nafta-Zone lockt vor allem der absatzträchtige US-Automarkt. Nach China ist er der größte nationale Automarkt der Welt: 2018 wurden mehr als 17 Millionen Pkw und leichte Nutzfahrzeuge verkauft. Dazu kommen die rund 3,4 Millionen Fahrzeuge in Mexiko und Kanada. Die Wertschöpfungsketten zwischen den drei Ländern sind in der Automobilbranche inzwischen eng verflochten. Entsprechend intensiv ist der Handel mit Kraftfahrzeugen sowie deren Teilen. Für die USA macht der Automobilhandel gut ein Fünftel des kompletten Handelsvolumens mit den Nachbarn aus.
Eine besondere Rolle spielen die Grenzübergänge: Ein Bauteil beispielsweise passiert dem Herstellerverband Auto Alliance zufolge etwa achtmal die Grenze zwischen den USA und Mexiko, bevor es in einem Fahrzeug verbaut wird. Ein Ende des Abkommens ohne Ersatz hätte daher für die Automobilbranche eine empfindliche Störung der internationalen Lieferketten bedeutet.
»Die Autobauer üben noch keinen Druck auf uns aus, Produktionskapazitäten in die USA zu verlegen.«
Bernd Schroiff
Witzenmann Gruppe
Die North American International Auto Show in Detroit gehört für Autobauer zum Pflichtprogramm, so auch für BMW. Geht es nach Donald Trump, sollen die deutschen Automobilhersteller künftig stärker in den USA investieren. © JEWEL SAMAD/AFP/Getty Images
Die Kosten steigen
Die großen deutschen Hersteller Daimler, Volkswagen und BMW betreiben Werke in Mexiko und den USA. Der Verband der Automobilindustrie (VDA) meldet, dass sie dort im Jahr 2017 rund 1,4 Millionen Fahrzeuge produziert haben. Das entspricht 8,5 Prozent ihrer weltweiten Pkw-Produktion. Kein Wunder also, dass sich zahlreiche Zulieferfirmen in Mexiko, den USA oder Kanada eine Präsenz aufgebaut haben. Der VDA zählte 2015 bei seinen Mitgliedern mehr als 430 Produktionsstandorte deutscher Zulieferer in der Region. Zum Vergleich: In den frühen 1990er-Jahren waren es lediglich 140.
Insgesamt dürfte die Autoproduktion in Nordamerika mittelfristig stabil bleiben. Davon geht zumindest das Marktforschungsinstitut IHS Markit aus. Viele Autobauer und Zulieferer bauen allerdings vor allem in Asien Kapazitäten auf, deshalb könnte der Anteil Nordamerikas an der weltweiten Autoproduktion von 18 Prozent im Jahr 2017 auf 16 Prozent im Jahr 2025 sinken. Dennoch wird die Region ihren Rang als drittgrößter Standort für die Automobilproduktion hinter Asien und Europa halten.
Eins steht allerdings fest: Die Bestimmungen des neuen Abkommens sind komplex. Es geht darum, was genau ein „nordamerikanisches“ Auto ausmacht und unter welchen Bedingungen es gefertigt werden muss. Das erhöht tendenziell die Produktionskosten der Kfz-Industrie in Kanada, Mexiko und den USA. Ein weiterer Kostentreiber dürften die neuen Lohnvorgaben sein: Bisher profitieren Industrieunternehmen innerhalb der Nafta-Zone vom zollfreien Zugang zum lukrativen Absatzmarkt in den USA und dem kaufkräftigen Kanada. Zugleich nutzen sie das relativ günstige Lohnniveau für manuelle Arbeit in Mexiko. Durch die neue Lohnvorgabe unter USMCA wird dieser Vorteil für die Kfz-Branche abgeschwächt.
Komplexes Szenario für Mexiko
Wie stark die Kfz-Zulieferer in Mexiko unmittelbar von den neuen Regelungen betroffen sind, hängt auch davon ab, wie weit sie in der Herstellerhierarchie vom Endprodukt, also dem Fahrzeug, entfernt sind. Vereinfacht gesagt: Je näher sie am Endprodukt sind, desto eher dürfte es brenzlig werden. Denn je höher der Anteil des eigenen Produkts am Gesamtwert des Autos, desto wichtiger dürfte es sein, die neuen Regeln für das eigene Unternehmen in allen möglichen Szenarien durchzurechnen. Die Firmen in der Region tun sich bisher noch schwer damit, genau einzuschätzen, wie stark sie betroffen sein werden. Die einen hoffen, dass Sie nicht so stark im Fokus stehen, andere stellen sich bereits jetzt darauf ein.
Die Unternehmen stellen nun Rechnungen mit vielen Unbekannten auf. Einerseits dürften die Autobauer vor Ort versuchen, mehr Komponenten aus dem Nafta-Raum zu beziehen statt aus anderen Ländern. Der mexikanische Zuliefererverband erhofft sich daher auch Vorteile vom neuen Abkommen, wenn die Produktion von Komponenten ins Land verlagert wird, um die Vorgaben zur regionalen Wertschöpfung zu erfüllen.
Wichtigstes Argument für Mexiko sind dabei nach wie vor die vergleichsweise geringen Löhne. Sie liegen in der Kfz-Branche unter Berücksichtigung von Zusatzleistungen im Schnitt bei fünf bis sechs US-Dollar pro Stunde. In der Spitze zahlen Fahrzeughersteller rund zehn US-Dollar pro Stunde. In den USA und Kanada sind die Löhne deutlich höher. Aufgrund der vergleichsweise geringen Lohnkosten in Mexiko liegt derzeit ein Schwerpunkt auf der Fertigung von Komponenten, die noch viel Handarbeit benötigen wie etwa Kabelbäume.
Kernkomponenten wie Motoren oder Getriebe importieren europäische und asiatische Hersteller dagegen oft aus Übersee in ihre Nafta-Standorte. Die USMCA-Regelung, dass bestimmte Kernkomponenten in den Hochlohnregionen gefertigt werden müssen, kann dazu führen, dass Autobauer beispielsweise ihre Motorenfertigung aus Asien und Europa eher in die USA oder nach Kanada verlegen statt nach Mexiko. Dass bestehende Fertigungsschritte aus Mexiko in diese beiden Länder abgezogen werden, ist allerdings unwahrscheinlich.
»Wir müssen nah an unseren Kunden sein«
Bernd Schroiff, Witzenmann Gruppe
Die Pforzheimer Witzenmann Gruppe, die weltweit rund 4.600 Mitarbeiter beschäftigt, befindet sich in Wartestellung. Sie ist ihren Kunden aus der Automobilbranche nach Mexiko und in die USA gefolgt. „Von den Autobauern hat noch keiner Druck auf uns ausgeübt, mehr Produktion in die USA zu verlegen“, sagt Bernd Schroiff, der bei Witzenmann die Produktionsplanung leitet und den Aufbau des Werks im mexikanischen Guanajuato verantwortet hat. „Auch von anderen Zulieferern haben wir nicht gehört, dass sie aufgefordert wurden, die regionale Wertschöpfung zu erhöhen und ihre Löhne anzupassen.“ Er vermutet, dass sich die großen Automobilhersteller selbst noch sortieren.
Schroiff rechnet damit, dass die neuen USMCA-Regeln die gesamte Wertschöpfungskette betreffen werden. „Aber die Zulieferer werden das erst in zwei oder drei Jahren zu spüren bekommen.“ Witzenmann steht auf der zweiten Stufe der Zuliefererkette: Die Firma stellt flexible metallische Elemente her, die dann zum Beispiel in Abgasanlagen verbaut werden. Im Vergleich zum Gesamtfahrzeug haben diese Produkte einen relativ geringen Wert.
In Mexiko vermute man, dass die Regelungen zur Wertschöpfung noch strenger werden könnten, wenn trotz USMCA das Handelsdefizit mit Mexiko im Kfz-Bereich hoch bleibt. Für Schroiff überwiegen dennoch die Vorzüge des mexikanischen Standorts. „Für uns ist die gute logistische Lage entscheidend. Wir müssen nah an unseren Kunden sein. Im dortigen Industriepark finden wir gute Bedingungen.“
von Ulrich Binkert, GTAI Bonn
Kein Problem in Kanada?
Kanada spielt die Lohnauflage im neuen Abkommen zunächst in die Karten, ist es doch ohnehin nicht der günstigste Standort in der Region. Im Mikrokosmos Nordamerika bereitet das USMCA-Abkommen Kanada daher keine Bauchschmerzen. Doch: Neue Montagewerke sind in den vergangenen Jahren eher in den USA oder Mexiko gebaut worden. Kanadas Provinz Ontario punktete im Vergleich mit Mexiko und den USA-Standorten im Süden vor allem im Bereich Qualität, Produktivität und Qualifikation der Arbeitskräfte in Bezug auf komplexe Aufgaben. Weitere Pluspunkte sind der Zugang zu Spitzenforschung aus Ontarios Universitäten sowie zu Kollaborationshubs wie dem Advanced Manufacturing Supercluster.
Die im USMCA geforderten regionalen Herkunftsbedingungen erfüllt Kanada entweder bereits oder ist sehr dicht davor. Nach Angaben der Scotiabank liegt der Regionalanteil der kanadischen Autoproduktionen aktuell bei 71 Prozent. Die drei US-amerikanischen Hersteller Ford, General Motors und Fiat-Chrysler, die alle Werke in Kanada betreiben, erfüllen gar eine lokale Wertschöpfung von über 80 Prozent. Der Autostandort Kanada steht somit kurzfristig nicht infrage.
Autobauer und Zulieferer werden also in erster Linie den Anteil ihrer importierten Vorprodukte prüfen, die nicht aus Nordamerika stammen. Ausländische Zulieferprodukte könnten künftig weniger nachgefragt werden. So kann für etablierte deutsche Zulieferer zur nordamerikanischen Automobilproduktion eine Ausweitung der Produktionsstätten nach Kanada unter Umständen attraktiv werden.
Beispiele wie das der Paul Kauth GmbH zeigen, dass deutsche Unternehmen den kanadischen Standort weiter schätzen. Das baden-württembergische Unternehmen baut Teile für die Automobilindustrie. In der Stadt Windsor im Bundesstaat Ontario findet die Firma für den Bau ihrer Nordamerikazentrale gute Bedingungen vor: Die US-Autostadt Detroit ist nur einen Katzensprung entfernt. Für den Standort sprachen neben der guten Logistik vor allem die hoch qualifizierten Arbeiter und die berechenbaren Sozialleistungen. Und nicht zuletzt der leichte Marktzugang in die USA.
Kein Done Deal
Die Auswirkungen des USMCA-Abkommens sind letztlich aber für jeden Hersteller oder sogar jedes Modell verschieden. Wie sehen die Beschaffungsmärkte aus? Wie verändern sich die Produktionskosten konkret? Die Folgen für die Unternehmen in den drei Ländern werden sich erst mit der Zeit zeigen. Ob Donald Trump mit dem Abkommen sein Ziel erreicht, dass mehr Autobauer und Zulieferer ihre Produktion in die USA verlagern, ist noch offen. Hinzu kommt die Ungewissheit, ob das Abkommen am Ende tatsächlich in Kraft tritt. Dafür muss in den USA der US-Kongress zustimmen. In ihm haben sich die Machtverhältnisse seit den Wahlen im November 2018 zugunsten der Opposition, der Demokraten, verändert. USMCA steht damit im Mittelpunkt der politischen Debatte und wird zur innenpolitischen Verhandlungsmasse. Kein Wunder also, dass viele in den USA niedergelassene deutsche Firmen sich bislang mit öffentlichen Bewertungen zurückhalten.
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Artikel: Freier Handel – Nafta wird USMCA
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