Dezember 2019
Autor: Gerit Schulze
Der russische Eisbrecher Fedor Ushakov bahnt sich seinen Weg durch die Nordostpassage. Die Klimaerwärmung sorgt hier künftig immer öfter für freie Fahrt. Das soll der Region einen ungeahnten Aufschwung bringen. © Elena Chernyshova/PANOS-REA/laif
Das Eis schmilzt, die Goldgräber kommen. Diesmal allerdings nicht mit Sichertrog, um Nuggets auszuwaschen, sondern mit Felljacke und Bohrsonden. Das neue Eldorado liegt in der Arktis. Die Erderwärmung macht die unwirtliche Gegend zum Traumziel für Rohstoff- und Transportkonzerne. Russland ist ganz vorn mit dabei. Schließlich liegt ein Fünftel der Staatsfläche nördlich des Polarkreises. Das russische Umweltministerium schätzt die Ölvorkommen dort auf 1,7 Milliarden Tonnen, die Erdgasressourcen auf 13 Billionen Kubikmeter.
In der Sowjetunion waren polare Städte noch politische Prestigeprojekte. Zulagen lockten Arbeiter in den hohen Norden, mit Versorgungsflügen hielt Moskau die Infrastruktur aufrecht. Nach der Einführung der Marktwirtschaft kam das Modell zunächst auf den Prüfstand, die Subventionen versiegten. Die Nickelhochburg Norilsk verlor ein Viertel ihrer Einwohner, der Kohlestandort Workuta schrumpfte auf die Hälfte.
»Russland ist bei der Arktiserschließung an einer engen Kooperation mit deutschen Mittelständlern interessiert.«
Michael Harms, Vorsitzender der Geschäftsführung beim Ost-Ausschuss – Osteuropaverein der Deutschen Wirtschaft
Energiekonzerne entdecken die Arktis
Nun soll es ausgerechnet dank der Klimaerwärmung wieder aufwärtsgehen. Moskau schiebt Milliardensummen in seine Polargebiete, um sich für die letzte Öl-Bonanza des Planeten zu wappnen. Rohstoffkonzerne wie Rosneft, Gazprom und Novatek sind bereit, 120 Milliarden Euro in die Gewinnung von Bodenschätzen zu investieren, in Pipelines, Gasverflüssigung, Häfen und Flughäfen. Im Gegenzug erwarten sie staatliche Subventionen und Steuerrabatte.
Deutsche Unternehmen könnten von den Vorhaben profitieren, vor allem bei der Erschließung von Lagerstätten und dem Abtransport der Rohstoffe nach Ostasien und Europa, sagt Michael Harms, Geschäftsführer beim Ost-Ausschuss – Osteuropaverein der Deutschen Wirtschaft. „Die russische Seite ist an einer engen Kooperation mit deutschen Unternehmen interessiert, gerade auch mit mittelständischen.“ Als klares Zeichen wertet Harms, dass Rosatom ihn in den Gesellschaftsrat für die Nordostpassage berufen hat.
INTERVIEW
»Straßen und Stromleitungen zerstören die Landschaft.«
Interview mit Wladimir Tschuprow
Der Leiter des Energieprogramms bei Greenpeace Russland sieht die Erschließung der Arktis für die Ölgewinnung kritisch.
Sanktionen und Sicherheitsinteressen
Der langjährige Russlandkenner sieht Deutschlands Industrie gut aufgestellt bei der Schiffbautechnik für die arktischen Routen, bei Satellitentechnik und Datenauswertung. Ein Hindernis seien die EU-Sanktionen bei der Erdölförderung auf offener See und in der Tiefsee sowie bei Dual-Use-Gütern: zum Beispiel Bohranlagen für die Untergrundverankerung. Auch russische Sicherheitsinteressen dürften manche Kooperation erschweren. Der Staat wacht über jede Aktivität in der für Russland strategisch wichtigen Region.
Siemens will sich bei den großen Rohstoffinvestitionen als Zulieferer für Schlüsseltechnologien positionieren. „Russland spielt weltweit eine Führungsrolle bei der Arktiserschließung“, sagt Nikolai Rotmistrow, Leiter der Abteilung für Flüssiggas und Sonderprojekte bei Siemens Russland. Das Unternehmen verkauft Gasturbinen als Antrieb für Kraftwerke oder Kompressoren, die Gas verflüssigen. Außerdem bieten die Münchener Automatisierungstechnik, digitale Lösungen für smarte Bohrlöcher und Ausrüstungen für die Stromverteilung an.
Auch andere deutsche Firmen sind im Geschäft. Die deutsche Linde AG baut in Sankt Petersburg Wärmetauscher für die Flüssiggaswerke von Novatek. Liebherr hat Ausrüstungen für Betonwerke nach Murmansk geliefert. BASF stellt Technologien für die Absorption saurer Gase zur Verfügung.
Projekte in der Arktis haben allerdings ihre Tücken. Es herrschen extreme Temperaturen von bis zu minus 60 Grad, Anlieferungen sind nur von April bis Oktober möglich. „Die Fristen für Montage und Inbetriebnahmen sind kurz“, sagt Siemens-Manager Rotmistrow. Die Wartung der gelieferten Ausrüstung läuft vor allem über Ferndiagnose.
Milliarden für Häfen und Bahnlinien
Wenn das Eis schmilzt, öffnet sich auch die Nordostpassage von Europa nach Asien. Russlands Präsident Wladimir Putin hatte nach seiner Wiederwahl 2018 gefordert, das jährliche Frachtaufkommen durch das Nordpolarmeer bis 2024 auf 80 Millionen Tonnen zu vervierfachen. Er sieht die Strecke als Schlüssel für die Erschließung der Arktis und will sie zu einer global wettbewerbsfähigen Verkehrsader ausbauen. Immerhin sparen Schiffe im Vergleich zur Suezroute ein Drittel Reisezeit. China will die Arktispassage in seine Pläne für die maritime Seidenstraße integrieren.
Rund zwölf Milliarden Euro sollen in den kommenden fünf Jahren in die Entwicklung des Nördlichen Seeweges fließen – unter anderem in den Ausbau von sechs Schlüsselhäfen von Murmansk bis Kamtschatka. Allein die sogenannte Polarkreiseisenbahn zwischen den Stationen Obskaja und Korotschajewo könnte mehr als drei Milliarden Euro kosten.
Die Pläne der Arktisanrainer
Kanada mangelt es in der Arktis an Infrastruktur sowie Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen. Die Arktisgemeinden benötigen mehr Häfen und Flughäfen, Straßen und Schienen. Höchste Priorität hat der Ausbau eines verlässlichen Breitbandnetzes. So steht es jedenfalls im Plan zur Entwicklung der kanadischen Arktisgebiete „Arctic and Northern Policy Framework“. Der kanadische Haushalt 2019 sieht 530 Millionen US-Dollar dafür vor. Für zukünftige Projekte suchen die nördlichen Gemeinden noch Partner. Neben finanziellem Engagement geht es dabei auch um Unterstützung bei der Entwicklung der Gemeinden, also um Hilfe zur Selbsthilfe. Projekte sollen Jobs für Einheimische schaffen und lokale Betriebe die Infrastruktur instand halten.
Daniel Lenkeit, GTAI Toronto
Grönland setzt spätestens 2020 seine neue Arktisstrategie um: mit neuen Eisbrechern und einer Stärkung der Seenotrettung. In der Rohstoffförderung arbeitet die Regierung des dänischen Mutterlandes mit internationalen Partnern zusammen. Für 1,6 Millionen Euro wird bis 2022 ein Forschungshub gebaut. Neue Infrastruktur soll die Insel zum Touristenziel machen. Norwegen setzt auf Flüssiggas-, Batterie-, Hybrid- und Wasserstoffantriebe. Bis 2027 werden die Radarsysteme in der Region ausgebaut. Der Norwegische Forschungsrat stellt 2019 rund 90 Millionen Euro für Projekte in Nordnorwegen zur Verfügung. Weitere Gelder fließen in Flughäfen (Mo i Rana, BodØ) und in die Nord-Norwegenbahn (bis TromsØ) sowie in Internetbreitband per Satellit.
Michal Wozniak, GTAI Stockholm
Gigantische Summen verschlingen auch die acht Atomeisbrecher, die der staatliche Atomenergiekonzern Rosatom als Betreiber der Flotte bauen lässt. Darunter das neue Flaggschiff Lider mit 120 Megawatt Leistung, das bis zu viereinhalb Meter dickes Eis brechen kann. Es soll ab 2022 in der Werft Swesda vom Stapel laufen und 1,7 Milliarden Euro kosten.
Trotzdem bleiben Experten skeptisch, ob die hohen Frachtvolumina erreicht werden können. Die Investitionszyklen bei Öl- und Gasfeldern dauern 40 oder 50 Jahre, betont Wladimir Tschuprow, Energieexperte bei Greenpeace in Moskau. „Was passiert, wenn der Ölpreis plötzlich wieder sinkt oder die Geopolitik sich ändert?“ Zudem sind die Bedingungen hart: Eisberge, Unwetter, die fehlende Infrastruktur für Betankung und Seenotrettung sowie hohe Mautgebühren für die Durchfahrt könnten die Pläne ausbremsen. Nicht zu vergessen sind die Umweltschäden. Würde in der Arktis Öl auslaufen, wären die Folgen verheerend, sagt Tschuprow. „Bei eisiger Kälte lässt sich das Öl nur schwer beseitigen.“
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