Dezember 2019
Autor: Roland Rohde
In China ist E-Commerce längst ein selbstverständlicher Teil des Alltags. Das hat unser Mitarbeiter Roland Rohde schon häufiger am eigenen Leib erfahren. Immer wenn er in der Volksrepublik unterwegs ist, steht er vor einem Problem. Aus Gründen der Datensicherheit wolle er die chinesische Bezahl-App Wechat nicht benutzen, berichtet der GTAI-Korrespondent mit Sitz in Hongkong.
Nur: „Ich bekomme dann kaum noch ein Taxi“, sagt Rohde. Auch in Geschäften und Restaurants bar oder mit Karte zu bezahlen, ist manchmal schwierig – alles läuft längst übers Smartphone. „Für die meisten Chinesen bin ich ein Dinosaurier“, sagt Rohde. „E-Commerce ist aus ihrem Alltag praktisch nicht mehr wegzudenken.“
Laut Angaben des nationalen Statistikamtes entfiel im ersten Halbjahr 2019 ein Fünftel der landesweiten Konsumgüterausgaben auf Onlinekäufe. Die Quote dürfte in den nächsten Jahren weiter steigen. Dass die Chinesen den E-Commerce derart willkommen heißen, hat zum einen mit der großen Technikbegeisterung der Menschen zu tun. In den Städten besitzt fast jeder ein Smartphone. Jeweils mehr als eine Milliarde Menschen nutzt die Bezahl-Apps Wechat und Alipay. Auch macht sich kaum jemand Sorgen um den Datenschutz. Zum anderen haben die Kunden ein starkes Bedürfnis nach Convenience. Einkaufen und Bezahlen müssen schnell, bequem und nahezu an jedem Ort möglich sein.
China schaut hin – KI für die Provinz
Rund 70 Prozent aller online bestellten Waren in China sind bereits heute innerhalb von 24 Stunden beim Kunden. Die großen Anbieter wollen die Quote auf 100 Prozent erhöhen. Das erfordert angesichts der Größe des Landes hohe Investitionen in die firmeneigene Logistik sowie in neue Technologien. Chinas Onlinehändler setzen auf autonome Fahrzeuge und künstliche Intelligenz (KI), insbesondere auf Gesichtserkennung – um zu identifizieren, dass wirklich der Besteller vor zum Beispiel der Drohne steht.
Ein Mann lässt sein Gesicht von einem Selbstbedienungsautomaten scannen, um Gebühren in einem Krankenhaus zu bezahlen. Der Vorgang wird unterstützt von der Gesichtserkennungstechnologie von Alipay, dem Onlinezahlungsdienst des chinesischen E-Commerce-Giganten Ant Financial, ein Unternehmen der Alibaba Group. © Bao kangxuan/Imaginechina/laif
Regierung und Unternehmen versuchen, den E-Commerce nach Kräften zu fördern. Nicht zuletzt mit dem Singles’ Day. Im Jahr 2018 verzeichnete Marktführer Alibaba allein an diesem Tag einen Onlineumsatz von umgerechnet rund 31 Milliarden US-Dollar. Landesweit dürfte der Wert aller Webverkäufe damit bei etwa 60 Milliarden US-Dollar gelegen haben.
Der Markt ist riesig: Die englischsprachige Tageszeitung „China Daily“ veröffentlichte Ende 2018 die Zahl von mehr als 600 Millionen Onlinekunden in China. 97 Prozent kaufen demnach mit ihrem Smartphone ein. Auch die Onlineumsätze im Einzelhandel steigen: 2018 legten sie laut chinesischem Statistikamt um 24 Prozent zu, auf jetzt umgerechnet rund 1,3 Billionen US-Dollar.
»Die Zuwachsraten im Onlinehandel bleiben trotz schwächeren Konsums zweistellig.«
Roland Rohde,
GTAI-Korrespondent Hongkong
Der Trend geht zum Hauslogistiker
Viele der großen E-Commerce-Anbieter sind dabei, sich stärker vertikal zu integrieren, um dadurch ihre Umsätze zu steigern. Sie wollen beispielsweise mehr Transportleistungen in Eigenregie erbringen. Alibaba will über seinen Logistikarm Cainiao in den kommenden drei Jahren 100.000 Paketzusteller anheuern. Die Handelsplattform JD.com kalkuliert für 2019 mit 10.000 Neueinstellungen.
Trotz allem kann sich der E-Commerce von der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung nicht komplett abkoppeln. Chinas Wirtschaft wächst einfach nicht mehr so schnell wie in den vergangenen vier Jahrzehnten. Als weitere Belastung erweist sich der Handelskonflikt mit den USA, der sich als wesentlich zäher entpuppt als erwartet. Daher sitzt das Geld bei den Konsumenten nicht mehr so locker wie einst.
Offizielle Zahlen zeigen, dass die elektronischen Einzelhandelsumsätze im ersten Halbjahr 2019 um nur noch knapp 18 Prozent zulegten und nun bei rund 700 Milliarden US-Dollar liegen. Drei Viertel davon entfielen auf das Geschäft mit Endkunden. Für die zweite Jahreshälfte 2019 rechnen Experten mit einer weiteren, wenn auch nur leichten Verringerung des Wachstums. Das heißt: Steigerungsraten von 20 Prozent und mehr könnten der Vergangenheit angehören. Doch sie dürften mittelfristig immerhin zweistellig bleiben.
Die erfolgsverwöhnten Unternehmen sehen sich jedenfalls erstmalig zum Sparen genötigt. JD.com, die Nummer zwei der Branche, will zehn Prozent seiner Topmanager entlassen. Seine Auslieferungsfahrer müssen sich mit geringeren Löhnen und Zulagen abfinden. Gleichzeitig möchte sich das Unternehmen, wie praktisch alle seine Konkurrenten, stärker auf die Bedienung der kleineren Städte und weniger entwickelten Regionen konzentrieren. Sie sollen laut einer Studie von Morgan Stanley zwischen 2017 und 2030 für zwei Drittel des landesweiten Konsumwachstums verantwortlich sein.
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