Oktober 2019
Autor: Ulrich Binkert
Äthiopische Arbeiterin bügelt in einer Textilfabrik in Hawassa Herrenanzüge. Ein Großteil der Beschäftigten waren zuvor Kleinbauern. Die aufstrebende Bekleidungsindustrie Äthiopiens muss sie nun mühsam fit für die Produktion machen. © Nicole Sobecki/VII/Redux/laif
Äthiopien gilt in der Branche als der aktuelle Hotspot für westliche Modefirmen. Immer neue Bekleidungsfabriken entstehen dort, meist betrieben von asiatischen Investoren. Viel mehr als Arbeit, Land und Strom, alles zu extrem niedrigen Preisen, steuert Äthiopien bisher allerdings nicht zu dem Boom bei. Die neuen Lieferanten von H & M, Kik oder Lidl importieren nicht nur so ziemlich alles von den Knöpfen bis zu den Reißverschlüssen, sondern auch fast alle Stoffe. Es gibt zwar eine vorgelagerte einheimische Textilindustrie, aber die erreicht die geforderte Qualität nicht.
In der Fabrik in Hawassa fällt als erstes die entspannte Atmosphäre in der Werkshalle auf. Von stickigen Sweatshops oder den modernen Sklaven des Industriezeitalters ist nichts zu sehen. Längst nicht alle Arbeitsplätze sind besetzt. Die da sind, sitzen oft einfach nur herum, reden mit der Nachbarin und tun manchmal gar nichts. Einige haben sogar den Kopf auf den Tisch gelegt, andere sitzen auf dem Boden. Wer arbeitet, tut dies, so scheint es, eher gemächlich. Von Stress, Druck oder Hektik keine Spur. Man sieht fast nur junge Frauen, höchstens 25 Jahre alt und manche offenkundig deutlich jünger. „Das Mindestalter hier ist 18 Jahre“, sagt der Manager dazu. Einer der wenigen Männer – keine 50 bei über 2.000 Beschäftigten – schiebt gerade einen Wagen mit Kleiderteilen zum nächsten Tisch und wird dort scherzend empfangen.
Interview
»Die Deutschen müssten flexibler anbieten.«
Wei Du ist seit einem Jahr Gebietsleiter Afrika/Mittlerer Osten für den deutschen Maschinenbauer bullmer und hat für bullmer 2013 bis 2015 das Geschäft in Indonesien aufgebaut. Ein Gespräch über die Bedeutung asiatischer Firmenzentralen für Verkäufe nach Äthiopien und was Deutsche dabei von Chinesen lernen können.
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© bullmer
Technik kommt aus China und Italien
Bei der Frage nach der Effizienz in der Fabrik schaut der Manager etwas gequält, bei 27 Prozent sei man inzwischen. Oder anders ausgedrückt: In der Zeit, in der hier ein Kleidungsstück fertig ist, haben die Kolleginnen im asiatischen Heimatland des Investors mehr als drei geschafft. Wobei es an der Qualität auch in Äthiopien nicht hapern soll. Das Preisschild an dem fertigen Kleidungsstück, das sich am Ende der über 300 Meter langen Fertigungslinie befindet, deutet darauf hin, dass es im Laden des Abnehmerlands einmal nicht in der billigsten Ecke auf Käufer warten wird.
Das Problem mit der Menge bleibt aber. „Wir sind hier nicht in der Lage, genug zu produzieren“, sagt der Geschäftsführer. Bei einem Umsatz von sechs Millionen US-Dollar habe man drei Millionen Verlust eingefahren. Sicher, das war im ersten Betriebsjahr, und die hohen Investitionskosten drücken, aber „wir bluten hier“. Und bisher gilt: „Alle Textil- und Bekleidungsinvestoren in Hawassa verlieren Geld.“
Die Bekleidungsexporte Äthiopiens sind Hochrechnungen zufolge zwischen 2010 und 2017 von zwölf auf 68 Millionen US-Dollar gestiegen: Das ist ein Plus von 478 Prozent. Und das Land hat weiterhin große Ambitionen. Die Regierung plant mehr als 30 gigantische Industrieparks. Sie sollen die Welt im Jahr 2025 mit Kleidung made in Ethiopia versorgen. 350.000 Jobs sollen dabei nach optimistischer Prognose entstehen, die Textilexporte des Landes würden auf 30 Milliarden US-Dollar pro Jahr steigen.
Ausländische Firmen haben in den vergangenen Jahren massiv in Äthiopiens Textil- und Bekleidungssektor investiert und tun dies weiter. Doch das Geschäft mit der Technik machen eindeutig Lieferanten aus China. Auf sie entfielen 2016 und 2017 nach Daten des International Trade Centre im Schnitt 58 Prozent aller Importumsätze mit Textilmaschinen, bei Industrienähmaschinen waren es 56 Prozent. Made in Germany liegt, anders als im globalen Maßstab, auch deutlich hinter der Konkurrenz aus Italien. Ohnehin sind Äthiopiens Importe von Textilmaschinen überschaubar: Die 66 Millionen US-Dollar 2017 waren vergleichbar mit den Brancheneinfuhren des kleinen El Salvador.
Der Grund: Die Ausländer bauen vorwiegend Bekleidungsfabriken. Dort nutzen die Firmen das, was als größter Standortvorteil Äthiopiens gilt: die billige Arbeitskraft. Kapitalintensiv ist so eine Bekleidungsfabrik nicht, sie braucht vor allem Industrienähmaschinen. Die kosten relativ wenig und kommen im Normalfall aus China oder anderen asiatischen Ländern. Die einheimischen Firmen wiederum könnten gute Kunden für deutsche Lieferanten von Maschinen und Chemikalien sein. Das Problem: Die meisten äthiopischen Firmen haben wenig Geld und noch weniger Devisen für Importe.
Interview
»Decathlon unterstützt Äthiopiens industrielle Dynamik«
Anas Tazi ist für die französische Sportartikelkette seit rund vier Jahren als Einkäufer in Äthiopien tätig. Davor arbeitete der Marokkaner unter anderem in den Textilländern Tunesien und Bangladesch.
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Umgerechnet rund 25 Euro Grundgehalt bekommen die Näherinnen in Hawassa im ersten Jahr monatlich: für eine Sechstagewoche mit achtundvierzig Stunden. Und das auch nur, wenn der Wechselkurs nicht einbricht. Die Landeswährung Birr überkommt immer wieder mal die Schwindsucht. Es gibt dann noch ein paar Zuschläge, bei 40 Euro ist aber erst mal Schluss. Die Firma hier stellt immerhin noch kostenloses Frühstück und Mittagessen, nicht allerdings die Ausgaben für den Anfahrtsweg. Und der kann schon mal länger dauern, wie Reportagen in internationalen Medien immer wieder zeigen.
Basistraining für einfache Handgriffe
Für neu eingestellte Mitarbeiterinnen organisieren die ausländischen Betriebsleiter erst einmal eine Art Basistraining. Es ist gedacht für die erste Generation von Fabrikarbeitern in einem Land und einer Gegend, die von agrarischen und nomadischen Traditionen geprägt ist: Wozu ist Pünktlichkeit gut? Wie benutze ich Waschräume und WC? „Am Anfang rannte hier die halbe Fabrik in Panik raus, als der Kompressor mal einen lauten Ton von sich gegeben hat“, erinnert sich der Manager. Das sei inzwischen kein Thema mehr.
Dann beginnen die Arbeiterinnen mit ein paar wenigen Handgriffen, die sie immer wieder verrichten, zum Start müsse die Tätigkeit möglichst einfach sein. Wer das beherrscht, kann und soll sich die nächste Fertigkeit aneignen. Eine große Tafel an der Linie zeigt an, wer schon was kann. Je mehr Felder ein Kreuzchen haben, umso mehr Verantwortung bekommt die jeweilige Frau in der Hierarchie der Linie übertragen – und tendenziell auch umso mehr Gehalt.
Industriepark Hawassa, etwa 250 Kilometer von der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba entfernt. Hier will die Regierung Hersteller von Textil- und Lederwaren ansiedeln. © Nicole Sobecki/VII/Redux/laif
Trotz aller Schwierigkeiten geben sich die Manager optimistisch, „die Leute lernen gut“. Überhaupt, man sei nicht auf den schnellen Profit aus, sondern wolle 30, 40 Jahre bleiben und zur Entwicklung der Branche beitragen. Um dann natürlich auch von der absehbar steigenden Effizienz der Beschäftigten und des gesamten Betriebs zu profitieren.
Die größte Gefahr für ihre Fabrik sehen die beiden Manager allerdings trotzdem bei ihren Beschäftigten. Genauer: in den ethnischen Unruhen, die seit Amtsantritt von Premierminister Abiy Ahmed im April 2018 zugenommen haben. In Äthiopien leben unterschiedliche Völker, Christen und Muslime zusammen. Und jetzt schlagen sich die Leute neben den Fertigungslinien die Köpfe ein? „Nein, direkt merken wir die Spannungen hier nicht“, sagt der Manager. „Aber sie nehmen zu. Die Leute haben Stress zu Hause und erscheinen gar nicht zur Arbeit oder sind hier nicht richtig bei der Sache.“
Auch hier kommen übrigens sämtliche Stoffe aus dem Ausland. Die Fabrik umreißt damit im Kleinen die Absatzaussichten für deutsche Lieferanten in der äthiopischen Textil- und Bekleidungsindustrie: Sie wären dann gut, wenn eine wettbewerbsfähige, leistungsfähige und kapitalkräftige Textilindustrie mit hohem technischen Anspruch entstünde. Diese Industrie könnte dann die im Land boomenden Bekleidungsfabriken beliefern, die ihre Stoffe heute noch weitestgehend im Ausland kaufen.
Ob es so weit kommt? „Der Ausgang der Entwicklung der Textilindustrie ist aus meiner Sicht völlig offen“, sagt Michael Möller von der Firma Hohenstein, die auf die Prüfung, Zertifizierung und Erforschung textiler Produkte aller Art spezialisiert ist. Anas Tazi, Einkäufer beim Sportartikelhersteller Decathlon, ist dagegen zuversichtlich. „Ich glaube, Äthiopiens Textilindustrie wird ab 2020 investieren.“
Service & Kontakt
Studie: Äthiopien – Die Textil-, Bekleidungs- und Lederindustrie
Weitere Informationen zu Äthiopien finden Sie auf der GTAI-Länderseite.
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