Am Drei-Schluchten-Staudamm geht zum chinesischen Frühlingsfest 2018 das größte Senkrecht-Schiffshebewerk der Welt offiziell in Betrieb. Es befördert Schiffe in weniger als einer Stunde über 113 Höhenmeter – und ist ein Lehrstück für die deutsch-chinesische Zusammenarbeit.
Februar 2018
Autoren: Stefanie Schmitt und Frank Malerius
China ist bekannt für spektakuläre Rekordbauten. In der Volksrepublik steht das weltgrößte Radioteleskop, die größte Glasplattform, die höchste Straßenbrücke und der höchstgelegene superlange Straßentunnel. Der größte Flughafen der Welt wird natürlich ebenfalls derzeit in China errichtet, genauer: in Beijing. Er soll termingerecht im Jahr 2019 die Arbeit aufnehmen.
Etwa 1.300 Kilometer südöstlich der chinesischen Hauptstadt wird zum Frühlingsfest am 16. Februar das weltgrößte Schiffshebewerk für den Alltagsbetrieb freigegeben, nach einer mehr als einjährigen Testphase und 2.000 Probefahrten. 50.000 Fahrgäste kamen auf ihren Ausflugsschiffen durch die weltberühmten Drei Schluchten am Jangtse bereits in den Genuss der ungewöhnlichen Senkrechtpassage.
Das Schiffshebewerk ist Teil des Drei-Schluchten-Staudamms. Mit einer installierten Generatorenleistung von 22,4 Gigawatt beherbergt er das weltgrößte Wasserkraftwerk. Die neue Rekordanlage ergänzt eine fünfstufige Schleusentreppe, die hier seit dem Jahr 2003 ihren Dienst tut. Sie besteht aus zwei parallelen Einheiten, und auf beiden Seiten stehen die Schiffe Schlange. Ein Schleusungsvorgang dauert drei bis vier Stunden. Der neue Lift dagegen braucht nur 40 bis 60 Minuten. Davon sind gerade einmal 22 Minuten reine Fahrtzeit.
Von der Zeitersparnis sollen vor allem Passagierschiffe profitieren. Frachter müssen überwiegend weiter die Schleuse benutzen. Weil der Lift für den Personenschiffsverkehr freigegeben werden sollte, galten für den Bau allerdings auch besonders strenge Sicherheitsstandards. Beispielsweise muss der neue Schiffsfahrstuhl Erdbeben der Stufe sechs auf der zwölfteiligen Mercalliskala überstehen können.
Vorbild Niederfinow
Das Schiffshebewerk ist Resultat einer langjährigen chinesisch-deutschen Zusammenarbeit, von Anfang an politisch flankiert vom Bundesverkehrsministerium. Grundlage ist eine gemeinsame Vereinbarung von China und der Bundesrepublik aus dem Jahr 1984, auf den Gebieten Binnenschifffahrt und Wasserstraßen zusammenzuarbeiten. Als chinesische Experten Mitte der 1990er-Jahre dann weltweit nach kompetenten Partnern für das Hebewerk Ausschau hielten, besichtigten sie deshalb auch die Schiffshebewerke in Niederfinow und Lüneburg.
Die konkrete Zusammenarbeit am Schiffshebewerk begann schließlich im Jahr 1999 mit einer Machbarkeitsstudie der Bundesanstalt für Wasserbau (BAW) in Karlsruhe. Auf deren Basis entschieden sich die Chinesen für einen Zahnstangenantrieb mit Ritzel und einer sogenannten Mutterbackensäule. Dieses Sicherungssystem gilt als besonders zuverlässig. In Deutschland haben Ingenieure umfangreiche Erfahrungen mit den entsprechenden Antriebs- und Sicherheitssystemen an Schiffshebewerken gesammelt. Sie kommen auch beim im Bau befindlichen größten deutschen Schiffshebewerk in Niederfinow am Oder-Havel-Kanal zum Einsatz, das im Jahr 2025 fertig werden soll.
Bauherr des Riesenprojekts am Jangtse war die staatliche China Three Gorges Corporation (CTG), die auch den Drei-Schluchten-Staudamm betreibt. 2004 erhielt die BAW den Auftrag, die CTG zu beraten. Maßgeblich beteiligt an der Planung waren auch die deutschen Ingenieurfirmen Lahmeyer International und Krebs + Kiefer International. Sie brachten ihre Erfahrungen vom Projekt in Niederfinow ein, auch wenn es dort nur um eine Höhendifferenz von 37 Metern geht. Im Jahr 2011 weitete die CTG die bestehende Kooperation noch einmal auf den Betrieb und die Unterhaltung von Schiffshebewerken und Schleusen aus, und die Deutschen begannen mit der Schulung chinesischer Fachleute.
»Schon wegen der Sprachbarrieren war es schwierig, direkt miteinander zu kommunizieren. Die Teams mussten sich regelmäßig gleich für mehrere Tage in Deutschland und China treffen – mit einer technisch kompetenten Simultanübersetzung.«
Jan Akkermann, Geschäftsführer von Krebs + Kiefer International
Der Trog, mit dem Schiffe vom Stausee zum Unterlauf des Jangtse fahren, ist 18 Meter breit und 3,5 Meter tief.
© Stefanie Schmitt/GTAI
»Der Umgang mit dem chinesischen Partner erforderte ein großes Maß an Geduld. Man muss darauf gefasst sein, dass jede Kleinigkeit, selbst wenn es sich nach unserem Verständnis um Selbstverständlichkeiten handelt, erklärt werden muss.«
Ralf Weisenseel vom Steuerungstechnikexperten DriveCon
Ungekannte Dimensionen
Allerdings bedurfte die grenzüberschreitende Kooperation eines langen Atems. Der Drei-Schluchten-Staudamm selbst war im Jahr 2008 fertig. Erst danach konnte der Bau des gigantischen Hebewerks begonnen werden. Und das dauerte erheblich länger als vorgesehen, schließlich ging es um bislang ungekannte Dimensionen. So ist der Trog, in den das Schiff einfährt, spektakuläre 113 Meter lang, 18 Meter breit und 3,5 Meter tief. Er fasst Schiffe mit einem Gewicht von bis zu 3.000 Tonnen. Mit Wasser gefüllt wiegt er zusammen mit der Mechanik 15.500 Tonnen. Einschließlich der Gegengewichte, die Trog und Schiff ausgleichen, bewegt das Hebewerk bei einer Fahrt 33.000 Tonnen. Der Trog hängt an 256 Seilen, jedes siebeneinhalb Zentimeter dick. Sie laufen über 128 Seilrollen mit einem Durchmesser von fünf Metern.
Eine besondere Herausforderung für d ie Ingenieure war der schwankende Wasserspiegel des Jangtse. Oben, vor dem Staudamm, kann er sich um 30 Meter unterscheiden, hinter dem Damm immerhin um zwölf Meter. Die Ingenieure mussten einen Weg finden, die Hubhöhe daran anzupassen. Also variiert sie nun zwischen 71 und 113 Metern – und die Anlage kann sogar auf kurzfristige Wasserspiegelschwankungen von bis zu50 Zentimetern pro Stunde reagieren.
Gebaut haben das Hebewerk schließlich chinesische Unternehmen. Allerdings lieferten zahlreiche deutsche Firmen die benötigten Hightechprodukte zu. So hängt der Trog an Seilen der bayerischen Pfeifer-Gruppe. Mubea aus Nordrhein-Westfalen lieferte sicherheitsrelevante Tellerfedern für die Brems- und Antriebssysteme. Von der VAG-Gruppe kamen Lager. Teile der Elektrik und die Antriebsausrüstungen stammen von Siemens. Gerade die Synchronisierung der Bewegung des Trogs bereitete zunächst großes Kopfzerbrechen: Trotz seiner gigantischen Maße durfte er nur maximal zwei Millimeter schief stehen. Die Lösung fanden schließlich Siemens und die China Shipping Industry Corporation gemeinsam.
Knapp 750 Millionen US-Dollar hat das gewaltige Bauwerk gekostet. Es löst den bisherigen Rekordhalter, das Schiffshebewerk in Krasnojarsk am Jenissei ab, das auf schiefer Ebene einen Höhenunterschied von 102 Metern bewältigt. Das bis dato höchste vertikale Schiffshebewerk, Strépy-Thieu, befindet sich in Belgien am Canal du Centre und hat eine Hubhöhe von 73 Metern.
»Die Auftraggeber waren stets gut vorbereitet und die chinesischen Ingenieure wissbegierig und lernwillig. Daraus haben sich Lern- und Verselbstständigungseffekte ergeben, die die späteren Bauphasen erleichtert haben.«
Claus Kunz, Abteilungsleiter Bautechnik, Bundesanstalt für Wasserbau
217 m Rekordbau
Die Arbeiten am Drei-Schluchten-Staudamm am Jangtse begannen vor 24 Jahren. Jetzt gilt er als größtes Bauwerk der Welt. Seine Wasserturbinen liefern 22,4 Gigawatt Strom. Das neue Schiffshebewerk (im Bild das Gebäude vorne links) ist mit einer Höhe von insgesamt 217 Metern deutlich höher als der Kölner Dom. Nirgendwo sonst überwinden Schiffe einen so großen Höhenunterschied in einem Schritt.
© picture alliance/Eventpress
Interview
»Ein neuer Baustandard«
Michael Heinz, Leiter der Abteilung Umwelt, Technik, Wassertourismus in der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes (WSV)
Wie kam es zur Zusammenarbeit zwischen Deutschland und China?
Seit den späten 1980er-Jahren besteht Kontakt zum Verkehrsministerium und den Wasserstraßenbehörden Chinas. Viele chinesische Ingenieure haben in der WSV und bei deutschen Stiftungen und Unternehmen hospitiert. Das hat Vertrauen in unsere Verwaltung und die deutsche Industrie geschaffen. Mit wohl keinem anderen Land der Welt pflegt China so tiefe Fachbeziehungen im Wasserstraßensektor.
Worin genau besteht der Wissenstransfer?
Es geht um den Bau und Betrieb technisch schwieriger Anlagen wie Schleusen und Schiffshebewerke, aber auch um Fachfragen wie die Auswirkung des Klimawandels auf die Nutzbarkeit oder die verkehrstechnischen Ausstattungen von Wasserstraßen.
Waren diese langjährigen Beziehungen ausschlaggebend für die enge Kooperation beim Jangtse-Schiffshebewerk?
Durch sie hat die chinesische Seite bereits zu Planungsbeginn in Deutschland Beratung und Hilfe gesucht. Deshalb haben die Bundesanstalt für Wasserbau, aber auch renommierte deutsche Ingenieurbüros an der Konstruktion mitgewirkt und maßgeblich Bauweise und Strukturen der Anlage geprägt.
Aber die Kooperation reicht über das Einzelprojekt hinaus.
Auf jeden Fall. Derzeit sind die zuständigen Fachverwaltungen in Deutschland und China dabei, einen neuen Baustandard durchzusetzen, eine überwiegend gleich konstruierte Bauweise für Schiffshebewerke, um deren effektiven und nachhaltigen Einsatz im Dienst der Schifffahrt zu gewährleisten.
Service & Kontakt
GTAI Ansprechpartnerin China
Christina Otte
+49 228 24 993 323
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Weitere Informationen zu China finden Sie auf der GTAI-Länderseite: www.gtai.de/china
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