April 2020
Interview: Marilena Piesker, wortwert
Andreas Meyer-Schwickerath, Geschäftsführer der britischen Handelskammer in Deutschland, erwartet ein Freihandelsabkommen wie mit Kanada. Er fürchtet: Gerade kleine Unternehmen wissen nicht, was auf sie zukommt.
Wie haben sich deutsche Unternehmen auf den Brexit vorbereitet?
Deutsche Unternehmen haben sich auf den Brexit vorbereitet, so gut es ging. Man wusste aber nicht, welche Art von Austrittsabkommen verhandelt wird. Solange die Details fehlen, konnte sich bisher niemand 100 Prozent richtig darauf einstellen. Alles hängt davon ab, was in den nächsten zehn Monaten passiert. Premierminister Boris Johnson will aber hart verhandeln, Michel Barnier für die EU nicht weniger hart.
Welches Szenario wäre aus Ihrer Sicht denn wahrscheinlich?
Nach derzeitigem Stand kann es so oder so ausgehen. Johnson möchte ein Freihandelsabkommen mit der EU nach kanadischem Vorbild. Das enthält viele Zoll- und Grenzerleichterungen, aber ohne Finanzdienstleistungen. Ob er EU-ähnliche Standards unter anderem für Umweltschutz, Arbeitnehmerrechte und Lebensmittelhygiene möchte, ist offen.
Woran könnte das liegen?
Johnson ist Souveränität zunächst wichtiger als der Handel. Darunter werden insbesondere die Exportunternehmen leiden, im Vereinigten Königreich und in der EU. Durch diese harte Linie ist die Stimmung in diesen Unternehmen zurzeit nicht gut.
Ist immer noch ein No-Deal-Brexit möglich?
Der No-Deal ist leider noch nicht vom Tisch. Die EU-Verhandler müssen sich auf Überraschungen aus London sehr gut vorbereiten. Im Vordergrund muss stehen: eine weitestgehend reibungslose Abwicklung, die von beiden Seiten unterschrieben werden kann – im Sinne eines Mutual Benefit. Jegliche Polarisierung sollte bei aller Prinzipienfestigkeit vermieden werden. Es geht nicht um Gefühle oder gar Dogmen, sondern um Wirtschaftsbeziehungen. Deutschland hat ein bilaterales Handelsvolumen mit dem Vereinigten Königreich von über 170 Milliarden Euro im Jahr. Das sollten wir erhalten.
Welche Branchen trifft es besonders?
Zum Beispiel die Automobilbranche, insbesondere die Zulieferer sind betroffen. Deren Lieferungen gehen teilweise mehrfach über den Kanal. Autos wie der Mini werden mehrheitlich mit Komponenten und Teilen aus Europa beziehungsweise der Welt und nur zum Teil aus dem Vereinigten Königreich gefertigt. Auch die Pharmabranche wird es treffen. Unternehmen müssen beachten, dass sie zum Beispiel ihre Zulassungen oder Patente für Produkte in Zukunft zweimal einreichen und genehmigen lassen müssen, einmal in der EU und einmal im Vereinigten Königreich.
Was können diese Branchen in der verbleibenden Übergangsphase noch tun?
Unternehmen müssen sich direkt über ihre Möglichkeiten, weiterhin zu exportieren und zu importieren, beraten lassen. Gerade kleine und mittelständische Unternehmen wissen häufig nicht, wie sie sich am besten vorbereiten können. Wichtig wird es, zu klären, wie der britische und der europäische Marktzugang für die Unternehmen nach der Übergangsphase gewährleistet wird. Das hängt auch wesentlich von den Verhandlungen in den kommenden Monaten ab.
Sehen Sie im Brexit auch Chancen?
Es gibt sicher auch Chancen. Und zwar genau dann, wenn es wie angedacht einen Wettbewerb zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich gibt. Beide Seiten müssen sich überlegen, wie sie weiterhin als Wirtschaftsstandorte attraktiv bleiben. Das kann für Wachstum sorgen. Wir hoffen, dass durch gute Verhandlungsergebnisse der Handel und die Arbeitsplätze weitestgehend erhalten bleiben.