Juni 2019
Autor: Marcus Knupp

Getreu dem Motto „Die Karawane zieht weiter“ lässt sich mit Blick auf die Auswahlkriterien sagen: Billiglohnland China, das war einmal. Heute sind Vietnam, Thailand, Indonesien, die Türkei und Osteuropa attraktive Alternativen. Wichtig sind Warengruppen, Marktkenntnis und Standorte der eigenen Fertigung. Weitere Entscheidungsfaktoren der Unternehmen für oder gegen einen Beschaffungsmarkt sind die Qualität der Infrastruktur und möglichst kurze Reisezeiten. Potenzielle neue Lieferanten in Emerging Markets müssen zudem in der Lage sein, auf kurze Produktzyklen und hohe Qualitätsansprüche ihrer Kunden und damit der ausländischen Einkäufer schnell reagieren zu können. Neue Beschaffungsmärkte werden von den Einkäufern auch danach ausgewählt, wie günstig die lokalen Einkaufspreise gestaltet sind und ob es gut ausgebaute Transportwege gibt. Dazu zählt auch die Möglichkeit, verschiedene Verkehrsträger problemlos nutzen zu können. Ein weiteres wichtiges Kriterium sind neben stabilen rechtlichen Rahmenbedingungen transparente und gleichzeitig belastbare Lieferketten.
Vor welchen Herausforderungen stehen Einkäufer derzeit? Welche Trends werden die Entwicklung in den nächsten Jahren bestimmen?
Die zahlreichen Risiken und Unsicherheiten im internationalen Umfeld bremsen die Aktivitäten der Einkäufer in den Unternehmen spürbar ein. Sie fordern zudem das Procurement heraus und zwingen es, auf die neuen Gegebenheiten die passenden Antworten zu finden. Schon heute ist sicher, dass die digitale Transformation ganzer Wertschöpfungs- und Lieferketten die deutsche Wirtschaft, und hier vor allem den Einkauf, noch auf Jahre beschäftigen wird. Damit sind Industrie 4.0 und Einkauf 4.0 die Megatrends der zu Ende gehenden Dekade. Neben dem Internet der Dinge werden die voranschreitende Globalisierung, die demografische Entwicklung in Deutschland und der damit verbundene War for Talents dem Einkauf in Deutschland alles abverlangen.
Politische Ereignisse wie beispielsweise die ungeklärte Brexit-Frage belasten Beschaffungsprozesse enorm. Was raten Sie Unternehmen in Bezug auf ihr Risikomanagement?
Es stimmt: Zunehmender Protektionismus und daraus resultierende Handelskonflikte sowie die ungeklärte Brexit-Frage, sind Sand im Getriebe der globalen Lieferketten. Die geopolitischen Störfeuer verunsichern die Märkte und werden immer mehr zu einer Belastung der Weltwirtschaft. Damit zwingen sie auch den Einkauf zum Handeln. Seine Aufgabe ist es, durch ein aktives Risikomanagement den Wertbeitrag des Einkaufs zu steigern. Wichtig in diesem Zusammenhang: Die Lieferkette hat sich zur Hauptschlagader für die Produktion entwickelt. Mit der hohen Abhängigkeit von der Supply Chain steigt allerdings auch die Gefahr von massiven Störungen im Geschäftsablauf. Spätestens jetzt ist ein zukunftsgerichtetes Risikomanagement gefragt, das in den vergangenen Jahren neben der Realisierung von Einsparungen einen prominenten Platz auf der Agenda der Einkaufsmanager eingenommen hat. Laut einer gemeinsam durchgeführten Umfrage von riskmethods und BME haben 81 Prozent der daran beteiligten Unternehmen in den vergangenen zwölf Monaten Störungen in der Lieferkette registriert, die eine Unterbrechung in der Versorgung auslösten. Jedes dritte Ereignis schlug mit mindestens einer Million Euro Schaden zu Buche. Der Ausfall eines kleinen Zulieferers kann heute selbst Großkonzerne ins Wanken bringen. Ein reaktives Risikomanagement, wie es oftmals immer noch betrieben wird, ist nicht mehr zeitgemäß. Vielmehr trägt eine vorausschauende Risikoüberwachung dazu bei, die zur reibungslosen Produktion erforderliche Versorgung des Unternehmens mit Rohstoffen und Materialien sicherzustellen, die eigene Reputation zu schützen, Umsätze zu sichern und dabei gleichzeitig Kosten einzusparen. Genau hier kann der Einkauf ansetzen und erfolgreich als Werttreiber und Innovator für sein Unternehmen agieren.
Die enormen Chancen und die Notwendigkeit einer umfassenden Digitalisierung sind unbestritten. In Ihrer Studie „Barometer Elektronische Beschaffung 2019“ stellten Sie jedoch fest, dass die Nutzungsquote digitaler Systeme derzeit noch zu wünschen übrig lässt, vor allem bei Mittelständlern. Gibt es dazu neue Erkenntnisse? Wie gehen Sie damit um?
Es ist richtig: Der Einstieg in die Digitalisierung des Einkaufs verläuft vor allem in KMU oft noch holprig. Allerdings sind auch die mittelständischen Betriebe auf diesem Gebiet weiter vorangeschritten. Den Ergebnissen der BME-Studie „Barometer Elektronische Beschaffung 2019“ zufolge kommt die Digitalisierung der klassischen Beschaffungsprozesse sowohl in Konzernen als auch in KMU immer mehr zum Einsatz. Besonders gefragt sind Tools für das Lieferantenmanagement sowie für den Source-to-Contract- und Requisition-to-Pay-Prozess. Fakt ist aber auch: Es besteht angesichts der Komplexität der digitalen Transformation ganzer Wertschöpfungs- und Lieferketten großer Informationsbedarf. Dem trägt der BME mit einer Vielzahl von Fachveranstaltungen Rechnung. Allein auf den diesjährigen 10. BME-eLÖSUNGSTAGEN diskutierten die rund 1.400 teilnehmenden Einkaufs-, Logistik- und Supply Chain Manager bereits in der Praxis bewährte Einsatzmöglichkeiten elektronischer Lösungen zur Optimierung ihrer digitalen Beschaffungsprozesse.
Disruptive Technologien wie 3D-Druck, Künstliche Intelligenz oder das Internet der Dinge verändern auch das Supply Chain Management. Was wirkt sich im globalen Einkauf davon derzeit am stärksten aus?
Zunächst erst einmal: Es gibt nicht die eine, seligmachende One-fits-all-Lösung für alle Beschaffungsbereiche. Deshalb sollte die Einkaufsabteilung zunächst feststellen, wo sie eigentlich steht und wohin sie sich entwickeln will. Erst dann kann sie festlegen, in welchen Schritten der digitale Weg begangen werden kann. Das sind am Anfang vielleicht kleinere Steps, aber die werden dafür dann auch bewusst umgesetzt. Das ist das Entscheidende. Es beginnt zunächst mit einfachen Fragen wie beispielsweise: Wie ist meine Datenqualität? Oder: Habe ich schon E-Procurement-Systeme im Einsatz? An dieser Stelle ist noch nicht die Rede von der Nutzung Künstlicher Intelligenz, sondern davon, die organisatorische und administrative Umgestaltung der Prozesse zu starten. Denn analoge Konzepte und Lösungen reichen für den nachhaltigen Geschäftserfolg allein nicht mehr aus. Disruptive Technologien wie zum Beispiel 3-D-Druck, Cloud Computing oder Blockchain – um nur einige wenige Game Changer zu nennen – versprechen Verbesserungspotenziale und neue Geschäftschancen. Gleichzeitig trifft man häufig noch auf Unternehmen, die ohne klare Definition der Tätigkeit und des Aufgabengebietes eines Supply Managers arbeiten. So können die Chancen der neuen Technologien nicht mit maximalem Erfolg genutzt werden. Dabei stehen die Verantwortlichen vor einer Herkules-Aufgabe. Es geht um nichts Geringeres als die noch stärkere Vernetzung aller Glieder der Supply Chain. Kommunikation in Echtzeit ist hier das A und O. Effiziente Software, KI und kompatible Schnittstellen sind die Schlüssel zum nachhaltigen geschäftlichen Erfolg.
Der BME unterstützt seine Einkäufer durch zahlreiche Veranstaltungen bei deren Auslandsaktivitäten. Welche neuen Beschaffungsmärkte haben Sie derzeit auf der Agenda? Können Sie uns einige aktuelle Tendenzen nennen zu den Märkten in unserer Schwerpunkt-Ausgabe?
Der BME wird seine Mitglieder auch 2019 mit zahlreichen Fachveranstaltungen und Delegationsreisen unterstützen. Auf dem Veranstaltungsprogramm des zweiten Halbjahres 2019 stehen unter anderem die 5. Westbalkan-Konferenz sowie die Sourcing Days Südafrika, Italien, Katalonien und Portugal. Neben den klassischen Sourcing Days veranstaltet der BME seit fünf Jahren auch die Beschaffungskonferenz CEE Procurement & Supply gemeinsam mit dem AHK Netzwerk in Prag. Damit wird deutlich, dass der BME im Rahmen seiner Verbandsarbeit bewährte Beschaffungsmärkte in West-, Ost- und Südosteuropa weiter auch ganzheitlich im Blick behält; gleichzeitig bietet er seinen Mitgliedern aber auch die Möglichkeit, Hidden Champions wie Katalonien, Belarus oder das Kosovo näher unter die Lupe zu nehmen und vor Ort schlummernde Geschäftspotenziale zum beiderseitigen Vorteil für deutsche Einkäufer und ausländische Lieferanten zu heben.
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