Dezember 2019
Autoren: Nadine Bauer und Karl-Martin Fischer
Richter feiern den Beginn des britischen Rechtsjahres mit einem Dankgottesdienst in Westminster Abbey in London. Nicht nur die vorgeschriebenen Perücken aus Rosshaar unterscheiden englische Juristen von deutschen. © Oli Scarff/Staff
Der Brexit bedeutet für Verträge, dass es komplizierter wird: Wenn das Vereinigte Königreich (VK) die Europäische Union (EU) verlässt, entfällt die harmonisierende Wirkung des europäischen Rechts. Denn Verordnungen der EU werden im VK nicht mehr direkt gelten und Richtlinien sind nicht mehr umzusetzen. Nach Jahrzehnten der Annäherung werden das englische Common Law und das europäische Civil Law wieder deutlicher auseinanderdriften. siehe rechts, Common versus Civil Law Doch Brexit hin oder her, Verträge zwischen britischen und deutschen Geschäftspartnern werden auch zukünftig geschlossen, und daher lohnt es, sich mit den grundlegenden Unterschieden zwischen beiden Rechtsordnungen zu befassen.
Rechtswahl
Common versus Civil Law
In Deutschland wie auch in den meisten europäischen Staaten gilt das sogenannte Civil Law. Hier sind Gesetze die primäre Rechtsquelle – und Gesetze gelten bekanntlich für alle Fälle. Im angelsächsischen Recht dagegen gibt es zwar auch Gesetze, aber hier sind auch viele Gerichtsurteile rechtlich bindend. Sie haben quasi Gesetzeskraft für vergleichbare Fälle. Englische Richter müssen unter Umständen eine große Fülle potenziell relevanter ähnlicher Fälle berücksichtigen und dabei genau herausarbeiten, ob und inwieweit sie Regelungen für den vorliegenden Streitfall enthalten.
Civil Law und Common Law
Wie viele „Rechtsfamilien“ inklusive aller möglichen Mischformen es weltweit insgesamt gibt, lässt sich nicht mit letzter Klarheit ermitteln. Sicher ist nur, dass das angelsächsisch geprägte Common Law und das aus Kontinentaleuropa stammende Civil Law die bedeutendsten sind. Weltweit dürfte es zwar deutlich mehr Staaten geben, die der Civil-Law-Familie angehören – neben Deutschland sind das zum Beispiel der Großteil der europäischen und südamerikanischen Staaten. Andererseits hat das Common Law eine kaum zu überschätzende Bedeutung für die weltweiten Handelsbeziehungen.
Anwendbares Recht und Gerichtsstand
„Anwendbares Recht“ ist die Antwort auf die Frage, nach welchem Recht Streitigkeiten entschieden werden. Das Recht können die Vertragsparteien ausdrücklich wählen. Gerichtsstand hingegen ist der Ort, an dem ein eventueller Rechtsstreit verhandelt wird – England oder Deutschland zum Beispiel. Sybille Steiner, Partnerin der Londoner Großkanzlei Irwin Mitchell und Vorsitzende der British-German Jurists’ Association, sagt dazu: „Beides sollte klug gewählt sein. Im schlimmsten Fall muss am Ende etwa ein englisches Gericht über deutsches Recht entscheiden oder umgekehrt – das kann zu etlichen Komplikationen und Verzögerungen führen.“ Unternehmen, die Verträge mit britischen Geschäftspartnern schließen, sollten die wichtigsten Unterschiede zwischen Civil Law und Common Law kennen und die Vereinbarungen entsprechend formulieren.
»Englische Richter legen Verträge nahe am Wortlaut aus.«
Sybille Steiner
Partnerin bei der Kanzlei Irwin Mitchell in London
Längere Verträge
In Civil-Law-Ländern sind Gesetze die wichtigste Rechtsquelle. Häufig gibt es Gesetzbücher, die eine Rechtsmaterie umfassend regeln – zum Beispiel das deutsche Bürgerliche Gesetzbuch oder den Code civil in Frankreich. Diese dienen als Auffangnetz in Fällen, in denen vertragliche Regelungen unklar sind oder schlicht vergessen wurden. Verträge, die dem Common Law unterstellt werden, sind im Gegenteil in aller Regel wesentlich ausführlicher und damit schlicht länger als ihre Pendants zum Beispiel aus Deutschland. Denn man kann sich nicht darauf verlassen, dass eine halbwegs sinnvolle Regelung bereitsteht, wenn man etwas vergessen haben sollte.
Wortlaut statt Wille
Deutsche Gerichte interpretieren Verträge auch anders. „Bei Unklarheiten fragen sie, was die Parteien vernünftigerweise geregelt hätten“, sagt Steiner, die sowohl in Deutschland als Rechtsanwältin als auch in England als Solicitor zugelassen ist. In angelsächsischen Ländern dagegen messe man der Privatautonomie einen besonders hohen Wert bei. Sprich: Hier soll das gelten, was zwei Vertragspartner explizit geregelt haben – und nichts anderes. „Gerichte in England und Wales legen Verträge deshalb nah am Wortlaut aus.“
Passivere Richter
Wenn es zu Rechtsstreitigkeiten kommt, treten ebenfalls erhebliche Unterschiede zwischen den beiden Rechtsfamilien zutage. Denn im englischen Zivilprozessrecht hat der Richter eine passivere Rolle als in Deutschland. Das bedeutet zum Beispiel, dass die Parteien jeweils ihre Fakten und ihre Darstellung des Falles vortragen und der Richter zuhört. In Deutschland lenkt das Gericht das – weitgehend schriftliche – Verfahren hingegen wesentlich aktiver.
Ein anderer wichtiger Unterschied: Das englische Recht kennt eine sehr weitgehende Offenlegungspflicht, auch bezüglich interner oder vertraulicher Dokumente. Das muss im Falle eines Prozesses nicht von Vorteil sein.
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