August 2019
Autor: Fabian Nemitz
Antrittsbesuch von Wolodymyr Selenskyj bei Bundeskanzlerin Angela Merkel in Berlin Mitte Juni. Der Comedian und Schauspieler ist ein Politikneuling. © picture alliance/Kay Nietfeld/dpa
Fiktion wird Wirklichkeit Am 20. Mai hat Wolodymyr Selenskyj das Amt als Staatspräsident der Ukraine angetreten. Neu ist diese Aufgabe für den 41-jährigen Comedian und Schauspieler nicht. In der Fernsehserie „Diener des Volkes“ („Sluha narodu“) spielt er bereits einen ehrlichen und anständigen Präsidenten, der die Korruption bekämpft und sich für das Wohl des Volkes einsetzt.
Dies soll der Politikneuling, dessen Partei ebenfalls Sluha narodu heißt, nun auch im wahren Leben tun. Mit einer Zustimmung von 73 Prozent konnte sich Selenskyj in der Stichwahl klar gegen Amtsinhaber Petro Poroschenko durchsetzen. Die Ukrainer sind von ihren Eliten enttäuscht, sie wünschen sich bessere Lebensverhältnisse, sind zermürbt vom Krieg in der Ostukraine und der grassierenden Korruption.
Für den Westen, gegen Korruption
Selenskyj ist Hoffnungsträger für einen Wandel. Wie dieser genau aussehen soll, blieb im Wahlkampf aber weitgehend unklar. Seit der Amtsübernahme hat der neue Präsident betont, dass er den Westkurs fortsetzen und mit dem Internationalen Währungsfonds zusammenarbeiten will. Einsetzen will er sich für ein Ende des Krieges in der Ostukraine, für den Kampf gegen die Korruption und für Wirtschaftsreformen.
Die Kompetenzen des Präsidenten beschränken sich allerdings hauptsächlich auf die Sicherheits- und Außenpolitik. „Für die Wirtschaft hat der Ausgang der Parlamentswahlen einen größeren Stellenwert als die Präsidentschaftswahlen“, sagt Alexander Markus, Vorstandsvorsitzender der AHK Ukraine. Nachdem Selenskyj das Parlament bei seinem Amtseintritt aufgelöst hat, wurden vorgezogene Neuwahlen für den 21. Juli 2019 angesetzt. Das Wahlergebnis stand bei Redaktionsschluss am 12. Juli 2019 noch nicht fest. Dabei hofft Selenskyj auf ein gutes Abschneiden seiner Partei Sluha narodu, die bislang noch nicht im Parlament vertreten ist.
Seit dem Sturz der Regierung Janukowitsch Anfang 2014 hat die Ukraine achtbare Fortschritte erzielt. Nach dem heftigen Einbruch 2014 und 2015 wächst die Wirtschaft seit 2016 wieder. Die Regierung hat wichtige Reformen auf den Weg gebracht – nicht zuletzt auf Druck internationaler Geber. Viele deutsche Firmen wie Siemens machen gute Geschäfte im Land. Das Auftragsvolumen des Technologiekonzerns wächst zweistellig. „Wir erwarten weiter Wachstum. Das Potenzial der Ukraine ist enorm“, sagt Thomas Stuemer, Finanzchef von Siemens Ukraine. Vom neuen Präsidenten erwartet er, dass er die Reformen beschleunigt, insbesondere im Kampf gegen die Korruption und bei der Rechtssicherheit. „Wir hoffen, dass die Nationalbank ihren positiven Reformkurs beibehält“, sagt Stuemer.
Deutsche setzen auf weitere Reformen
Der Chemiekonzern BASF ist vor allem in der ukrainischen Landwirtschaft erfolgreich, aber nicht nur dort. „Wir sehen, dass die Modernisierung der Wirtschaft weiter an Fahrt gewinnt“, sagt Andreas Lier, Managing Director von BASF und Präsident der AHK in der Ukraine. Die Lebensmittelindustrie nähere sich an EU-Standards an. Auch in der Bauindustrie liefen viele Projekte, sagt Lier.
Die deutsche KWS Saat hat 2016 ein Werk für die Produktion von Maissaatgut in der westukrainischen Stadt Kamjanez-Podilskyj eröffnet. „Vom neuen Präsidenten erwarten wir eine Fortsetzung der positiven Veränderungen der vergangenen fünf Jahre“, sagt Oleksandr Fedorov, Geschäftsführer von KWS Saat in der Ukraine. „Wir müssen unser Business jetzt nicht mehr laufend gegen staatliche Strukturen und administrative Einmischungen verteidigen.“
Dennoch gibt es für den neuen Präsidenten noch viel zu tun, um das Investitions- und Geschäftsklima zu verbessern. Ausländische Investoren halten sich zurück. Sie vermissen vor allem Rechtssicherheit. „Business und Gesellschaft haben weiterhin nur begrenzt Vertrauen in den Rechtsstaat und seine Akteure“, sagt Robert Kirchner, stellvertretender Leiter der Deutschen Beratergruppe Ukraine. Der Präsident stehe vor einer Mammutaufgabe. Allein werde Selenskyj es nicht schaffen. „Das ist eine gemeinsame Aufgabe von Präsident, Parlament und Regierung.“
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