Anders zum Erfolg

Die Vielfalt der Mitarbeitenden zu respektieren und zu nutzen, ist das Ziel des Diversitätsmanagements. Markets International zeigt, warum dieser Aspekt auch für Unternehmen im Auslandsgeschäft wichtig ist.

Februar 2023
Autorinnen: Leonie Schneiderhöhn und Edda vom Dorp

Danil Krivoruchko ist Schöpfer der Ksoids, die diesen Schwerpunkt „Diversität“ illustrieren. Der Motion Designer schuf seit 2013 insgesamt 1.000 Exemplare. Sie sind die ersten softwarekreierten 3-D-Figuren, die online zum Leben erwachten. Mehr Infos: www.ksoids.com © Danylo Kryvoruchko

Der internationale Duft- und Geschmackstoffhersteller Symrise aus dem niedersächsischen Holzminden setzt auf Diversitätsmanagement. Angefangen hat alles fernab des Headquarters an seinem Produktionsstandort in Brasilien. Hier, im größten Land Südamerikas, leben sehr viele verschiedene Ethnien aus Europa, Afrika, Asien sowie indigene Ureinwohner. Doch diese Vielfalt spiegelte sich nicht in den einzelnen Unternehmensbereichen wider. „2019 haben wir ein großes Ungleichgewicht in der Belegschaft festgestellt – das wollten wir ändern“, sagt Eder Ramos im Symrise-Mitarbeitermagazin „Team Spirit“.

Ramos, Global President der brasilianischen Fragrance-Division im Konzern, ist Initiator und Motor der Initiative Diver Sym. Sie wurde im März 2019 ins Leben gerufen und setzt sich mittlerweile unternehmensweit für Diversität und Inklusion ein. So sollen zum Beispiel bis 2025 mindestens 45 Prozent der Führungskräfte in der zweiten Ebene weiblich sein. Außerdem gibt es heute bei Symrise, das weltweit 11.000 Mitarbeitende beschäftigt, Arbeitsgruppen zu Themen wie Geschlechtergerechtigkeit, Rasse, ethnische Zugehörigkeit und LGBTQ+ (lesbisch, schwul, bisexuell, transsexuell, queer). Dabei spielt Diversitätsmanagement nicht nur im Hinblick auf die Mitarbeiterzufriedenheit eine Rolle. „Als modernes Unternehmen haben wir verstanden, welchen Wert eine vielfältige Belegschaft hat“, sagt die globale Personalchefin Katharina Dürbaum. Sie weiß: Nicht nur die Belegschaft selbst, auch Kunden und Lieferanten interessieren sich heute mehr denn je für den sozialen Fußabdruck eines Unternehmens.

Europäische Union führt Geschlechterquote ein

Im Juni 2022 haben sich die Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) auf eine Geschlechterquote in den Vorstandsetagen geeinigt. Ab 2026 müssen alle Spitzenpositionen in der Wirtschaft ausgewogener zwischen Männern und Frauen besetzt werden.

Die neue Regelung sieht zwei Modelle vor. Entweder gehen mindestens 40 Prozent der Aufsichtsratsposten börsennotierter Unternehmen an das jeweils unterrepräsentierte Geschlecht. Alternativ müssen etwa 33 Prozent der Vorstands- sowie der Aufsichtsratsposten an das jeweils unterrepräsentierte Geschlecht gehen. Unternehmen, die diese Ziele nicht erfüllen, müssen dies begründen und Maßnahmen zur Abhilfe umsetzen.

Für Länder, die bereits Maßnahmen zur Geschlechtergerechtigkeit eingeführt haben, soll es eine Ausnahmeregelung geben. Nach Angaben der Vertretung der Europäischen Kommission in Deutschland haben demnach aktuell nur acht Mitgliedstaaten verbindliche Geschlechterquoten eingeführt, darunter die Bundesrepublik. In zehn weiteren EU-Staaten existieren lediglich Quoten mit Empfehlungscharakter.

Globaler Handel fördert Diversität

Ursprünglich wurde die Diversitätsdebatte in den USA geführt. Dort ging es in den 1960er-Jahren um die Benachteiligung von Frauen und um People of Color, also um Menschen, die in weißen Mehrheitsgesellschaften rassistische Diskriminierung erfahren. In Deutschland steht das Vielfaltsmanagement erst seit den 1990er-Jahren auf der Agenda. Die Globalisierung der Wirtschaft hat es auch in die Unternehmen getragen: Die Verlagerung von Produktionsstätten ins Ausland, weltweite Exporte, neue Freihandelsabkommen und die Beschäftigung von Fachkräften aus der ganzen Welt erfordern, dass Unternehmen ihre diversen Teams besser in die Gesamtstruktur einbinden. Dies kann mithilfe des Diversitätsmanagements entlang der gesamten Wertschöpfungskette gelingen.

„Gerade exportorientierte Unternehmen profitieren vom Diversitätsmanagement“, weiß Juliane Schlei von der Charta der Vielfalt, einem Verein, der sich für mehr Diversitätsförderung in der Arbeitswelt einsetzt. Diversität zu managen, heißt, in den Unternehmen die individuellen Unterschiede der Mitarbeitenden und die damit oft einhergehenden Vorurteile zu bemerken und aktiv ein Umdenken anzuregen. „Diversität im eigenen Team abzubilden, bedeutet, die internationale Kundschaft besser verstehen und mit ihnen verhandeln zu können. Auch die Menschen am Ende der Lieferkette sind in allen Vielfaltsdimensionen divers. Wer für potenzielle Kundschaft attraktiv sein möchte, tut gut darin, sie auch intern vertreten zu wissen. So ergibt sich aus Vielfaltsförderung nicht nur ein Beitrag zur sozialen Verantwortung von Unternehmen, sondern auch ein messbarer wirtschaftlicher Vorteil.“

USA: Diversität als Qualitätsmerkmal

Diversität und Political Correctness wird im Vielvölkerstaat USA auch aktuell großgeschrieben. Initiativen zur Förderung von Menschen mit Behinderungen, von Mitarbeitenden unterschiedlicher Hautfarbe, Herkunft, Religion oder sexueller Orientierung sowie zur Gleichstellung von Frauen im Berufsleben werden von zahlreichen Firmenvorständen unterstützt, Angestellte für die organisatorische Arbeit freigestellt.

Der US-amerikanische Telekommunikationsriese Verizon etwa lebt das Thema bis in die Unternehmensspitze: Der Vorstand, das Board of Directors, ist multiethnisch besetzt, vier von zwölf Mitgliedern sind weiblich. Geschlechtsspezifische Lohngefälle existieren nach eigenen Angaben nicht. Über zehn Themengruppen bringen Mitarbeitende Vorschläge ein und stehen als Ansprechpartner zur Verfügung. Seit Neuestem umfassen die konzerninternen Diversitätsansprüche sogar das Zuliefernetz: Wer als Lieferant weiterhin Verträge mit Verizon abschließen will, muss Vielfältigkeitsfortschritte nachweisen.



Auch der US-amerikanische Fachverband für Medizintechnikhändler AdvaMed – Advanced Medical Technology Association hält seine Mitgliedsunternehmen dazu an, die Patientenvielfalt in den Unternehmensvorständen widerzuspiegeln. Der Aufruf zeigte Wirkung: So hat Medtronic, das sich als weltweiter Marktführer in Gesundheitstechnologie bezeichnet, Sally Saba als Diversitätsverantwortliche in leitender Stellung etabliert. Unter ihrer Verantwortung ist das Unternehmen zu einem Modell übergegangen, bei dem Führungskräfte Vielfältigkeitsziele zu erfüllen haben. Von den Ergebnissen hängt am Ende ihre Vergütung ab. Sean Palacio, Personalchef Abbott, einem weiteren Gesundheitsunternehmen und Mitglied von Adva Med, unterstreicht ebenfalls den positiven Einfluss von Diversität auf die Innovationskraft: „Frische Ideen entstammen nicht selten unterschiedlicher Herkunft und unterschiedlichen Blickwinkeln“, stellt er fest und ergänzt: „Aus diesem Grund werden wir den Anteil bislang unterrepräsentierter Gruppen an Führungspositionen bis 2025 auf mindestens 30 Prozent aufstocken.“

»Betriebsklima, Produktivität und die Rekrutierung hängen von der Diversität eines Unternehmens ab.«

Ullrich Umann, GTAI Washington, D.C.

Dass diverse Teams die Wettbewerbsfähigkeit steigern, stellte auch die Beratungsgesellschaft Pricewaterhouse Coopers im Rahmen einer Studie fest: Eine Gruppe, die sich aus unterschiedlichen Nationalitäten, Geschlechtern und sozialen Hintergründen zusammensetzt, wird außergewöhnlichere Ideen haben als ein homogenes Team. Ein weiteres Ergebnis: Die Wahrscheinlichkeit, innovativer zu sein als der Wettbewerber, ist um 14 Mal höher, wenn das Unternehmen einen hohen Diversitäts- und Inklusionsgrad, den D & I-Reifegrad, erreicht. „Vielfalt hat einen klaren Einfluss auf die Kundenzufriedenheit und die Gewinnung neuer Zielgruppen: Während 66 Prozent der Unternehmen mit einem hohen D & I-Reifegrad von einer sehr zufriedenen Kundschaft berichten, trifft dies lediglich auf 35 Prozent der Vertreter mit niedrigem Reifegrad zu“, schreiben die Autoren der Studie.

Und auch im Hinblick auf den Fachkräftemangel kann der Schritt zu mehr Diversität ein Ausweg sein. Konkret heißt das, ältere Arbeitskräfte besser in die Organisation einzubinden, Menschen mit Behinderungen zu inkludieren, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu gewährleisten, um Frauen als (Ganztags-)Arbeitskräfte zu gewinnen, sowie Zuwanderung aus dem Ausland zu fördern. Doch Unternehmen können dies nicht allein umsetzen. Staat und Gesellschaft müssen mitziehen und entsprechende Rahmenbedingungen schaffen.

Polen: Mehr Frauen dank Industrie 4.0

Wie stark Diversitätsmanagement ein Unternehmen beeinflussen kann, zeigt das Beispiel von Mercedes-Benz in Polen. Das Werk in Jawor hat geschafft, was anderen Unternehmen schwerfällt: Frauen stellen 45 Prozent der Produktionsbelegschaft. Zum Vergleich: Der Frauenanteil in Polens gesamter Fahrzeugindustrie liegt bei nur rund einem Drittel. Mercedes-Benz will sich nicht auf dem Erreichten ausruhen. Ab 2023 sollen Frauen in Jawor die Hälfte des Produktionspersonals ausmachen.

Um dieses Ziel zu erreichen, bemüht sich das Unternehmen vor allem um Bewerberinnen. Das Problem aber ist, dass viele Frauen sich generell nicht trauen, einen technischen Beruf zu ergreifen. Es fehlt vor allem an Schnupperangeboten. Im Oktober 2022 startete Mercedes -Benz deshalb nun schon die fünfte Auflage des Programms „Girls Go Technology“. In den mehrwöchigen Workshops zur Orientierung erhalten die jungen Teilnehmerinnen Einblicke in moderne Produktionstechnologien.



Rund 200 Absolventinnen hat das Programm bereits hervorgebracht. Viele von ihnen arbeiten heute in technischen Unternehmen. „Ich wage zu behaupten, dass sie sich nicht auf diese Stellen beworben hätten, wenn sie nicht im Rahmen unseres Projekts mit technischen Berufen in Berührung gekommen wären“, sagt Ewa Łabno-Falęcka, Leiterin Unternehmenskommunikation von Mercedes-Benz Manufacturing Poland. Darüber hinaus baut der Konzern die Kooperation mit Schulen aus. Das Unternehmen hat bereits in drei Bildungseinrichtungen die Schirmherrschaft für Mechatronik- und Elektromechanikkurse übernommen.

Doch nicht nur Bildungsoffensiven machen Frauen auf Mercedes-Benz aufmerksam. Auch die Arbeitsbedingungen stimmen. „Unsere Produktion ist nach Industrie-4.0-Standard automatisiert und digitalisiert. Es gibt hier praktisch keine Position mehr, an der Frauen aufgrund der vorgeschriebenen körperlichen Belastungsrichtlinien nicht arbeiten könnten“, sagt Personalleiterin Ewa Korwek.

»Diversität kann Polens Industrie dabei helfen, den Fachkräftemangel zu überwinden.«

Christopher Fuß, GTAI Warschau

Die Angst vorm Regenbogen

Viele deutsche Unternehmen haben einzelne Vielfaltsdimensionen bereits gut aufgegriffen und Veränderungen angestoßen. „Insbesondere im Bereich Geschlecht und geschlechtliche Identität investieren sie viel. Flexibilität in Arbeitszeit und -ort für alle Geschlechter, aber auch Quoten und gendergerechte Sprache sind wichtige Maßnahmen, die Unternehmen vielerorts bereits umgesetzt haben“, sagt Juliane Schlei von der Charta der Vielfalt. Doch Diversitätsmanagement umfasst noch viel mehr – die Charta der Vielfalt spricht von insgesamt sieben Vielfaltsdimensionen und sieht in einigen Punkten noch Handlungsbedarf. So auch in der Unterstützung von LGBTQ+-Personen. „Es muss noch viel passieren. In der Studie Diversity Trends 2020 wurde deutlich, dass gerade der Umgang mit unterschiedlichen sexuellen Orientierungen und Religionen am Arbeitsplatz sich weiterhin als schwierig erweist, da hier noch immer wenig Handlungsbedarfe gesehen werden“, so Schlei.Tatsächlich haben viele Menschen, die der LGBTQ+-Gruppe angehören, am Arbeitsplatz schon Erfahrung mit Diskriminierung gemacht oder haben Angst davor. Laut der Studie „A long way to go for LGBTI equality“ der Europäischen Union aus dem Jahr 2020 gab einer von vier Befragten an, seine sexuelle Orientierung am Arbeitsplatz noch nie offengelegt zu haben.