Mai 2020
Autor: Frank Malerius
Indonesien will bis 2030 zu den zehn größten Volkswirtschaften gehören. Der Inselstaat hat eine ambitionierte Zukunftsvision und investiert in Infrastruktur und Digitalisierung. © Martin Roemers/laif
Indonesien ist riesig, weit weg, bevölkerungsreich und industriell unterentwickelt. Für die deutsche Exportwirtschaft ist der Archipel mit seinen 270 Millionen potenziellen Konsumenten als Teil der wachstumsstarken Asean-Region bislang nur Projektionsfläche. Gerade einmal drei- bis vierhundert deutsche Unternehmen sind vor Ort – und das häufig nur mit einer kleinen Repräsentanz ohne deutsches Personal. Deutschland exportiert wertmäßig nicht einmal halb so viele Waren nach Indonesien wie nach Luxemburg.
Der Inselstaat entzieht sich einer einfachen Kategorisierung und lebt von Gegensätzen. Indonesien ist mittlerweile Mitglied der G20, allerdings liegt das Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf unter 4.000 US-Dollar. Es gibt vereinzelt hochtechnisierte Fertigungsstätten, doch das Land ist vor allem Standort für günstige Lohnfertigung. Indonesische Start-ups arbeiten an künstlicher Intelligenz, aber die Regierung gibt nur 0,2 Prozent des BIP für Forschung und Entwicklung aus. In den Städten sind junge Menschen digitalaffin und zahlen überwiegend bargeldlos – gleichzeitig gelten laut Weltbank 55 Prozent aller 15-Jährigen als funktionale Analphabeten.
Making Indonesia 4.0
Status quo
Niedrige Produktivität, schwache Exportwirtschaft, sinkender Industrieanteil, zu niedriges Wirtschaftswachstum.
Lösungsansatz
Implementierung von Industrie 4.0 in der Nahrungsmittel-, Textil-, Automobil-, Elektronik-, Chemieindustrie.
Maßnahmen
Mehr Ausgaben für Forschung und Entwicklung, Ausbildungsinitiativen, Steueranreize für Investoren.
Ziele
Zusätzliches Wirtschaftswachstum von ein bis zwei Prozent pro Jahr, zehn Millionen zusätzliche Jobs. 2030 will Indonesien die zehntgrößte Volkswirtschaft sein.
Aus diesen Widersprüchen heraus hat Indonesien eine Vision entworfen: Bis 2030 will das Land zu den zehn größten Volkswirtschaften gehören – und bis zum Jahr 2045 sogar zu den Top Vier. Momentan liegt Indonesien auf Rang 16. Doch der Weg dürfte steinig und lang werden: Es fehlt an Bildung, Investitionen und Technologie.
Fünf Kernbranchen im Fokus
Als Grundgerüst für die weitere Entwicklung hat die Regierung die Strategie Making Indonesia 4.0 entworfen. Digitalisierung soll fünf Kernbranchen international konkurrenzfähig machen: die Nahrungsmittelverarbeitung, die Automobilindustrie, die Elektronikbranche, den Chemiesektor und die Textilindustrie.
Der mit Abstand größte Industriesektor ist dabei die Nahrungsmittelverarbeitung, die für mehr als 30 Prozent des verarbeitenden Gewerbes steht. Das Problem: Indonesien stellt kaum eigene Maschinen her, ist also hochgradig vom Import ausländischer Technologie abhängig.
Die Automobilproduktion gehört dagegen zu den technologisch fortschrittlichsten Industriebereichen. Pro Jahr werden mehr als eine Million Einheiten produziert. Die vorwiegend japanischen Hersteller bauen zusammen mit ihren heimischen Kooperationspartnern den Archipel zu einem Exporthub aus. Im Jahr 2019 wurden 332.000 Autos ausgeführt – und damit sechsmal so viele wie zehn Jahre zuvor.
Die exportorientierte und überwiegend auf der Hauptinsel Java angesiedelte Bekleidungsindustrie – die immerhin 2,5 Millionen Indonesier beschäftigt – schafft es dagegen nicht, im Wettbewerb um Exportmärkte mit der Konkurrenz aus China, Vietnam, Bangladesch und Indien Schritt zu halten. Stoffe und Garne müssen in großem Umfang importiert werden. In der Chemieindustrie stehen die Zeichen auf Expansion, denn praktisch alle Abnehmerbranchen verzeichnen hohe Wachstumsraten.
In der Elektronikbranche dominieren ausländische Hersteller. Wichtigstes Cluster ist die Singapur vorgelagerte Freihandelszone Batam, in der Halbleiter, elektrische Bauteile, Elektrogeräte und Mobiltelefone produziert und zusammengesetzt werden.
Die neue Hauptstadt soll grün werden
Noch 2020 will Indonesien mit dem Bau seiner neuen Hauptstadt am Rande des Dschungels von Borneo beginnen. Es dürfte eines der weltweit größten und ambitioniertesten Bauprojekte werden. Die Gründe für die Verlegung des Regierungssitzes aus Java heraus sind dabei vielfältiger als das häufig angeführte Absinken Jakartas, das die Metropole immer anfälliger für Überflutungen macht. Tatsächlich untergräbt die bisherige politische und wirtschaftliche Zentrierung auf Java seit jeher die nationale Einheit. Darüber hinaus verspricht der neue Standort mit seinen geplanten 1,5 Millionen Einwohnern die Entlastung der Infrastruktur Jakartas, ein geringeres Risiko von Naturkatastrophen wie auch einen effektiven Regierungsapparat dank kürzerer Wege. Nicht zuletzt könnte sich Präsident Joko Widodo, der große Treiber des Projekts, damit ein Denkmal setzen. Wenn er sein Amt im Herbst 2024 verlässt, soll der Regierungsapparat am geografischen Mittelpunkt des Archipels einsatzfähig sein.
Tony Blair als Gallionsfigur
Es gibt noch einen weiteren gewichtigen Faktor für eine brandneue Hauptstadt: Das aufstrebende Indonesien will nach zwei Dekaden des Wirtschaftsbooms zeigen, dass es auf Augenhöhe mit den Industrienationen ist. Deshalb soll die Metropole vom Reißbrett grün werden – im wörtlichen wie im metaphorischen Sinne. Großzügige Parkanlagen sollen die Gesamtfläche von 180.000 Hektar durchziehen, der öffentliche Nahverkehr soll elektrisch sein, die Gebäude energieeffizient und der Strom – zumindest theoretisch – regenerativ erzeugt werden. Umgerechnete stattliche 33 Milliarden US-Dollar lässt sich der Archipel das Megaprojekt kosten. Die benötigte Hochtechnologie muss mangels eigener Entwicklungen aus dem Ausland kommen, genauso wie ein erheblicher Teil der Finanzierung. Als Werbefiguren für Investitionen wurde ein Steering Committee mit dem ehemaligen britischen Premierminister Tony Blair, dem japanischen Internetmilliardär Masayoshi Son und Muhammad bin Zayid Al Nahyan, dem Kronprinzen der Vereinigten Arabischen Emirate, gegründet.
Wetten gegen den Zeitplan
Bei großen Infrastrukturprojekten in Indonesien haben traditionell zumeist asiatische Anbieter die Nase vorn, allen voran chinesische und japanische, gelegentlich auch südkoreanische. Sie bringen üblicherweise die Finanzierung mit und bieten dabei großzügige Konditionen. Spezialaufträge hingegen werden in alle Welt vergeben. Deutschland genießt als Anbieter von Umwelttechnologie einen ausgezeichneten Ruf. Das Wirtschaftszentrum Indonesiens wird auch weiterhin Jakarta sein, wo die Industrieverbände, Handelskammern, Banken und die Unternehmenszentralen verbleiben. In den dortigen Expat-Bars laufen derzeit immer weniger Wetten darauf, dass Indonesien mit dem Umzug scheitert. Allerdings werden noch immer viele darauf abgeschlossen, dass die Regierung den Zeitplan nicht einhalten kann.
© Pietro-Paolini/TerraProject/contrasto/laif
Zu wenige Fachkräfte
Während die fünf Kernbranchen größtenteils noch Nachholbedarf in Sachen Digitalisierung haben, gibt es einige Leuchtturmprojekte – so wie die vom World Economic Forum als Industrie 4.0 zertifizierte Smart Factory des französischen Unternehmens Schneider Electric in Batam. Vernetzte Produktionsstätten und Big Data sind dort anerkannte Realität. Doch die Smart Factory spiegelt bei Weitem nicht den Entwicklungsstand der indonesischen Industrie wider. Deshalb dürfte sich die avisierte Digitalisierung in der Praxis zunächst auf eine erweiterte Automatisierung von Produktionsprozessen beschränken.
Eine weitere Hürde: Bei regionalen Mindestlöhnen zwischen umgerechnet 100 und 300 US-Dollar ist es günstiger, Waren mit der Hand zu produzieren als mit Hightechmaschinen. Zudem gibt es einen eklatanten Mangel an Fachkräften, die komplexe Systeme aufsetzen, bedienen und warten könnten. Dazu kommt die unterentwickelte Infrastruktur. Wie prekär es um sie bestellt ist, zeigte ein Zwischenfall Anfang August 2019: Probleme in zwei Kraftwerken schnitten weite Teile des mit 150 Millionen Menschen bevölkerten Javas teilweise länger als 24 Stunden von der Stromversorgung ab. Das war eine schmerzvolle Erinnerung daran, wie weit der Weg zum Industrieland für Indonesien noch ist.
Service & Kontakt
Ihr GTAI-Ansprechpartner
Bernhard Schaaf
+49 228 249 930 349
Weitere Informationen zu Indonesien finden Sie auf der GTAI-Länderseite und bei Twitter @GTAI_ASEAN.
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