November 2017
Autor: Ulrich Binkert
Kreuzung in Hongkong. Schlechte Sicherheitsstandards und ruppige Fahrweise sind die größten Gefahren für Dienstreisende. © picture-alliance/dpa
Das wäre es fast gewesen mit meiner Karriere als Korrespondent in Chile: Eine Runde Joggen nach Feierabend, am Zebrastreifen blickte ich dem Fahrer des roten Autos in die Augen. Der Mann fuhr trotzdem einfach weiter, nur ein beherzter Sprung in den Graben verhinderte Schlimmeres.
Unfälle sind, zusammen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen, mit Abstand der wichtigste Grund, warum Kunden des Unternehmens International SOS Deutschland eine Dienstreise im Ausland abbrechen müssen. „In vier von fünf Fällen handelt es sich dabei um Verkehrsunfälle“, sagt Stefan Eßer, Regional Medical Director Central Europe des führenden Medizin- und Reisesicherheitsdienstleisters. Magen-Darm-Infektionen und andere Erkrankungen kommen deutlich seltener vor, Überfälle, Entführungen und Terroranschläge tauchen in der Statistik nur als Einzelfälle auf.
Verkehrsunfälle sind weltweit eine Gefahr für reisende Unternehmer. In China kamen im Jahr 2013 nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation mehr als viermal mehr Menschen im Straßenverkehr ums Leben als in Deutschland. In Südafrika waren es fast sechsmal so viele – und das bei wesentlich niedrigerer Verkehrsdichte. Schuld sind nicht nur unsichere und überladene Fahrzeuge oder schlechte Straßen: In vielen Ortschaften fehlen auch effektive Geschwindigkeitsbegrenzungen. Die Mentalität ist ein zusätzlicher Faktor, denn oft spielt Sicherheit im Straßenverkehr kaum eine Rolle. In Sudan konnte ein deutscher Manager sein ehemals weißes Hemd gleich nach der Landung in Khartum entsorgen – er hatte den Sicherheitsgurt anlegen wollen. „Der war aber völlig verdreckt, kein Mensch hatte den jemals benutzt. Der Taxifahrer hat sich kaputtgelacht“, sagt der Manager.
Betriebliche Pflichten – Gesetzliche und private Absicherung
Firmen haben ihren Angestellten gegenüber eine Fürsorgepflicht. Sie bezieht sich auch auf den dienstlichen Einsatz im Ausland, lässt sich rechtlich allerdings nicht genau abgrenzen. Deutsche Berufsgenossenschaften kommen demnach für arbeitsbedingte Unfälle auf, wofür sie eine Dokumentation fordern. Sonstige Unfälle – die häufiger vorkommen – sind anderweitig abzudecken. Die gesetzliche Krankenversicherung greift nur in Ländern, mit denen ein Sozialversicherungsabkommen besteht. Arbeitgeber handeln für ihre Reisenden daher üblicherweise einen Gruppentarif mit einer privaten Reisekrankenversicherung aus.
Weniger spaßig ist die Lage, wenn es tatsächlich kracht. Hilfe kann dann sehr weit entfernt sein. „Ein Rettungssystem wie in Deutschland oder Westeuropa ist eher die Ausnahme“, sagt Sicherheitsexperte Stefan Eßer. „In Indien liegt das nächste Krankenhaus im Zweifelsfall weit entfernt, und ein Notruf geht dort auch nicht ein. Ein Krankenwagen ist womöglich nicht verfügbar, ein Rettungshubschrauber schon gar nicht.“ Auch in anderen, für Geschäftsreisende wichtigen, Ländern wie China gibt es allenfalls in den Städten so etwas wie ein Rettungssystem.
Fast 22 Millionen Geschäftsreisen
Dabei sind deutsche Unternehmer besonders oft geschäftlich in der Welt unterwegs: Für das Jahr 2016 zählte der Verband Deutsches Reisemanagement, kurz VDR, 21,9 Millionen Geschäftsreisen ins Ausland. Das entsprach zwölf Prozent aller Business-Trips. Die Zahl war schon einmal höher, im Jahr 2013 waren es 27,9 Millionen. Die häufigsten Ziele der deutschen Unternehmer sind Nachbarstaaten wie die Niederlande oder Frankreich. Auf Rang drei liegt aber schon die Volksrepublik China, mit deutlich raueren Sitten im Straßenverkehr.
Die meisten Geschäftsreisenden haben ihre Termine nicht nur im Meetingraum des Flughafens, sondern müssen zwangsläufig in die Stadt hinein- oder auf das Land hinausfahren, wenn sie Vertragsdetails klären oder technische Geräte installieren wollen. So setzen sie sich zwangsläufig Gefahren aus. Deutsche Geschäftsreisende sind zudem selten für Großunternehmen unterwegs, sondern typischerweise für Mittelständler wie jenen Hidden Champion aus Baden-Württemberg, dessen Mitarbeiter ihre Auslandsreisen immer noch selbst vorbereiten – oder auch nicht. „Sicher, wir haben hier schon eine Karte mit den Länderrisiken an der Wand hängen“, meint dazu der Vertriebsleiter Subsahara und Lateinamerika, der nicht namentlich genannt werden möchte. „Der Straßenverkehr hält uns aber von keiner Reise ab, da kann die Karte noch so rot sein.“
Geschäftsreisende pro Jahr melden sich mit Problemen von ihrer Geschäftsreise im Ausland. 1.200 davon sind so gravierend, dass die Reisenden ihre Geschäfte im Ausland abbrechen müssen.
der Dienstreiseabbrüche haben mit Unfällen zu tun, 500 weitere mit Herz-Kreislauf-Beschwerden. Für die restlichen Abbrüche sind Infektionen oder andere Krankheiten die Ursache.
Die Daten beziehen sich ausschließlich auf Geschäftsreisekunden von International SOS Deutschland. Es handelt sich um grobe Richtwerte.
Quelle: International SOS
Immerhin befassen sich deutsche Firmen immer häufiger mit dem Thema Sicherheit auf Geschäftsreisen. 2017 taten dies laut VDR schon 70 Prozent der Unternehmen mit weniger als 500 Mitarbeitern und sogar 87 Prozent der größeren Firmen. Zum Vergleich: 2014 waren es gerade einmal 46 Prozent der kleineren und 74 Prozent der größeren Unternehmen. Konzerne sind bei dem Thema meist besser aufgestellt, weil sich oft eine zentrale Stelle damit befasst, beispielsweise die Personalabteilung. Sie bietet den Dienstreisenden Schulungen an, bereitet sie auf etwaige Verkehrsunfälle vor und versichert sie dagegen. Bei Siemens können deutsche Mitarbeiter auf Reisen weltweit rund um die Uhr per Notfallnummer ein Callcenter in Erlangen erreichen. Im Ernstfall schaltet die Zentrale externe Partner ein, die vor Ort tätig werden. Auch andere Konzerne haben Medizin- und Sicherheitsdienste aufgebaut, die das Unternehmen global abdecken.
Safety First gilt auch im Ausland
Deutsche Firmen sorgen nach der Einschätzung von Sicherheitsexperte Stefan Eßer recht gut für die Sicherheit ihrer Geschäftsreisenden im Ausland. „Sie sind das gewohnt, zumal in Deutschland der Arbeitsschutz relativ gut organisiert ist.“ Im Jahr 2011 stellte International SOS deutschen Unternehmen noch ein mageres Zeugnis aus.
Besonders gut sieht es in Branchen aus, in denen strikte Sicherheitsvorschriften zum Arbeitsalltag gehören. Öl- und Chemieunternehmen haben beispielsweise längst erkannt, dass Prinzipien wie Safety First unverzichtbar sind, im In- und Ausland, und dass verletzte oder gar tote Mitarbeiter ein Verlust für das Unternehmen sind.
Viele Geschäftsreisende haben bei Auslandseinsätzen oft mehr Angst vor Überfällen, Entführungen oder Terroranschlägen als vor Verkehrsunfällen. Mitarbeiter müssen ein Bewusstsein für die Sicherheit im Straßenverkehr entwickeln, damit Unfallzahlen sinken, so die Überzeugung von Ulrich Schulte. Der Siemens-Manager arbeitet in der Münchner Konzernzentrale am Arbeits- und Gesundheitsschutz und setzt darauf, dass Mitarbeiter Regeln verstehen und akzeptieren.
Sie sollen sich also nicht deswegen angurten, weil es eine gesetzliche Pflicht ist, sondern, weil sie es für sich und ihre Familien tun. In indischen Siemens-Niederlassungen bekommen Mitarbeiter besondere Anreize dafür. „Wer dort mit dem Helm zur Arbeit kommt, darf sein Moped auf dem Firmengelände abstellen, die anderen müssen draußen parken“, sagt Schulte. Der Konzern bietet zudem Fahrtrainings an, zum Beispiel in Irland für Servicetechniker. Ein Zuviel an Regeln stumpft Mitarbeiter aber auch ab. „Wir müssen das richtige Maß finden“, sagt Schulte. „Und dürfen uns da nicht überregulieren.“
Checkliste
Darauf sollten Sie bei Auslandsreisen achten
• Informieren Sie sich über die Verkehrssicherheit in dem jeweiligen Land, beispielsweise mit Risikokarten, bei der Weltgesundheitsorganisation und beim Auswärtigen Amt.
• Schließen Sie passende Versicherungen ab.
• Richten Sie Notfallnummern und -pläne ein.
• Organisieren Sie die medizinische Betreuung im Ausland und eine Evakuierung für den Notfall.
• Lassen Sie sich unter Umständen von externen Firmen beraten. Einige Dienstleister bieten einen Komplettservice oder einzelne Bausteine an. Eine Liste von Anbietern stellt der Verband Deutsches Reisemanagement auf Anfrage zur Verfügung.
• Achten Sie darauf, dass jemand für Ihre Mitarbeiter ständig erreichbar ist.
Für Fahrer
• Ein nationaler Führerschein kann erforderlich sein, etwa bei längerem Aufenthalt in China (siehe Auswärtiges Amt). Manche Unternehmen verbieten ihren Angestellten grundsätzlich, in bestimmten Ländern selbst Auto zu fahren.
• Passen Sie sich den lokalen Sitten beim Fahren an.
• Nutzen Sie möglichst keine Motorräder, Mopeds oder andere Zweiräder.
Für Mitfahrer
• Nutzen Sie nur offizielle Taxis sowie vertrauenswürdige Fahrzeuge und Fahrer.
• Lassen Sie sich von vertrauenswürdigen Geschäftspartnern vom Flughafen oder Hotel abholen.
• Organisieren Sie einen eigenen Fahrdienst.
• Schnallen Sie sich stets an, und sitzen Sie nach Möglichkeit hinten.
Gut zu wissen
In welchen Ländern die Risiken besonders groß sind, sehen Sie hier.
GTAI-Ansprechpartner
Ulrich Binkert
+49 228 24 993 267
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