August 2019
Autor: Dominik Vorhölter
Softwareentwickler Strahinja Ninja Kustudic präsentiert stolz das Vorzeigeprodukt seines Arbeitgebers: Das Belgrader Unternehmen Nordeus hat 2010 „Top Eleven Football Manager“ herausgebracht: bis heute eins der erfolgreichsten mobilen Sportspiele der Welt. © ANDREJ ISAKOVIC/Kontributor
Als Facebook im Jahr 2010 den „Top Eleven Football Manager“ herausbrachte, wurde das Spiel schnell zum Hit. Es folgten Versionen für Smartphones, zuletzt war „Top Eleven“ so populär, dass sich sogar Fußballmannschaften vom Entwickler Nordeus sponsern ließen. Der sitzt nicht etwa in einer der europäischen IT-Hochburgen wie London, Amsterdam oder Berlin, sondern in Belgrad.
Die Gründer Branko Milutinovic, Ivan Stojisavljevic und Milan Jojovic waren zuvor aus Kopenhagen zurückgekehrt. Damals taten die meisten serbischen IT-Experten das Gegenteil: Sie versuchten, einen Job im Ausland zu ergattern. Die besten Köpfe verließen das Land. Ihr Vorbild: der serbische Erfinder und Elektroingenieur Nikola Tesla, Namenspatron des gleichnamigen Elektroautoherstellers.
Unterschätztes Zentrum der IT-Branche
Inzwischen hat sich Serbien zu einem europäischen Zentrum der Softwareindustrie entwickelt, vor allem Belgrad, Novi Sad und Nis. In Serbiens Großstädten sind die Lebenshaltungs- und Lohnkosten gering, Fachkräfte sind hoch qualifiziert. Die Softwareentwickler übernehmen bisher meist Tätigkeiten, die von ausländischen Firmen ausgelagert wurden. Programmierer verdienen im Monat im Schnitt zwischen 1.500 und 2.000 Euro. Der durchschnittliche Monatslohn in Serbien beträgt 420 Euro. Viele arbeiten als Selbstständige. Sie nutzen das Internet im Café, in der eigenen Wohnung oder sie mieten einen Coworking-Arbeitsplatz. Rund ein Viertel der Absolventen der technischen Universitäten wurde 2017 zu IT-Experten.
Kein Wunder, dass Microsoft schon 2005 nach Belgrad kam. Continental betreibt seit März 2018 in Novi Sad ein Entwicklungszentrum für Softwarelösungen. ZF Friedrichshafen will eins bei Belgrad bauen. Denn serbische Entwickler programmieren nicht nur Spiele, sondern auch Software für die Industrie und das Internet der Dinge (IoT). Viele sprechen sehr gut Deutsch, weil sie während der Balkankriege in Deutschland oder Österreich gelebt haben. Rund 90 Prozent der Softwarefirmen arbeiten für Auftraggeber aus dem Ausland. Das geht aus der Außenhandelsstatistik der Nationalbank Serbiens Narodna Banka Srbije (NBS) hervor. Einige von ihnen verkaufen mittlerweile eigene Softwareprodukte.
Beispiel Dunav Net: Das Start-up aus Novi Sad gewann vor zwei Jahren Henkel aus Düsseldorf als Partner. Henkel liefert Getränkeherstellern speziellen Klebstoff, mit dem sie Etiketten auf ihre Flaschen kleben. Per Software sollten sie den Klebstoffverbrauch der Produktionsanlage besser beobachten und steuern können. „Henkel hatte zuerst Microsoft gefragt, dann sind sie auf uns zugekommen“, erzählt Gründer und IoT-Experte Srdjan Krco. Dunav Net habe ihnen eine Cloud-Lösung angeboten.
Das Programm von Dunav Net misst die Klebstoffmenge, seine Temperatur, die Raumtemperatur, die Temperatur der Flaschen und schlägt Alarm, wenn es zu heiß oder zu kalt wird oder der Klebstoff ausgeht. Das Programm ist bereits in einer Brauerei des niederländischen Produzenten Heineken in Novi Sad im Einsatz. Die Partner wollen es nun an weitere Brauereien verkaufen.
Serbische Software – Die Vorzeigefirmen
Nordeus:
Auf Facebook bekannt geworden durch das Spiel „Top Eleven“
Gründung: 2010 von Branko Milutinovic, Ivan Stojisavljevic und Milan Jojovic
Mitarbeiter: 170
Topprodukte: „Top Eleven“ und „Golden Boot“ (Fußball-Games); „Heroic“ (Multiplayer)
Seven Bridges:
Amerikanisch-serbisches Bioinformatikunternehmen. Spezialisiert auf Datenanalysen im Gesundheitswesen
Gründung: 2009 von Deniz Kural und Igor Bogievic
Mitarbeiter: 200
Topprodukte: cloudbasierte Analyse biologischer Daten, Datenplattformen für Krebsforschung und Kinderkrankheiten
Car:Go:
Die serbische Version des Fahrdienstvermittlers Uber
Gründung: 2015 von Marko Vucic und Vuk Gubernic
Mitarbeiter: 15
Topprodukte: Fahrdienstvermittlung in Belgrad und Zürich. Expansion ist geplant.
FishingBooker:
Eine der weltweit größten Buchungsplattformen für Anglerurlaub
Gründung: 2013 von Vukan Simic
Mitarbeiter: 50
Topprodukte: Reisen und Ausflüge für Angler in 108 Ländern
Active Collab:
Projektmanagementtool
Gründung: 2007 von Goran Radulovic und Ilija Studen
Mitarbeiter: 39
Topprodukte: Planungstools, Workflow-Management, Kalender, Time-Tracking
Unterstützung vom Staat
Die serbische Regierung hat das Potenzial der Softwareentwickler längst erkannt. Sie will langfristig mehr Investitionen ins Land holen und fördert deshalb die Ausbildung angehender Programmierer: Schon ab der fünften Klasse lernt jeder serbische Schüler Softwareprogrammierung mit „Scratch“. In der sechsten Klasse folgt „Python“. Neu gegründete Unternehmen mit bis zu neun Angestellten müssen im ersten Geschäftsjahr keine Lohnsteuer und Sozialabgaben zahlen. Für Angestellte unter 30, die länger als drei Monate arbeitslos waren, entfällt die Lohnsteuer. Diese Regelungen sind ab Ende 2017 und bis Dezember 2020 gültig.
Um wirklich zu einem Silicon Valley des Westbalkans zu werden, braucht Serbien aber noch mehr Investitionen und neue Firmen wie Dunav Net. „In Serbien gibt es keine Gründerkultur wie in Deutschland“, erklärt Christoph Berndt, Senior Advisor für die Deutsch-Serbische Wirtschaftskammer. Es fehlt den Gründern an Geld, sie scheitern an eigener Misswirtschaft oder an Behörden, die langsam arbeiten, weil administrative Prozesse noch nicht digitalisiert sind. Auch einheimische Unternehmen hinken in Sachen Digitalisierung hinterher. Sie stecken weniger als ein Prozent ihrer Einnahmen in die Entwicklung von Informationstechnik und IoT-Dienstleistungen. Weltweit liegt der Schnitt bei 3,5 Prozent.
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