August 2018
Autorin: Sofia Hempel
In der Ukraine reichen Getreidefelder oft bis zum Horizont. Im vergangenen Jahr hat das Land mehr als 60 Millionen Tonnen Getreide produziert und einen großen Teil davon exportiert.
© Pieter-Jan De Pue/laif
Sonnenblumen, Weizen und Gerste so weit das Auge reicht, darüber blauer Himmel, der einen scharfen Kontrast zum leuchtenden Gelbgold der Felder bildet: Die Ukraine präsentiert sich zur Erntezeit in ihren Nationalfarben. In keinem Land Europas spielt die Agrarwirtschaft eine derart große Rolle wie hier. Der Sektor erwirtschaftet rund zehn Prozent des Bruttoinlandsproduktes, ein Gros der Agrarprodukte geht in den Export, darunter Sonnenblumenöl, das wichtigste Gut der Ukraine. Und die Bedeutung der Landwirtschaft nimmt weiter zu: Während der Wirtschaftskrise und dem Konflikt mit Russland konnten sich die Agrarunternehmen schneller anpassen als die Industriebetriebe und neue Absatzmärkte jenseits von Russland erschließen.
In den vergangenen Jahren wurde der Pflanzenanbau in der Ukraine immer weiter ausgebaut, das Land erzielte eine Rekordernte nach der anderen. Wurden im Jahr 2010 beispielsweise noch knapp 17 Millionen Tonnen Weizen geerntet, waren es im Jahr 2017 schon 26 Millionen Tonnen, ein Anstieg um über 50 Prozent.
Deutsche Technik gefragt
Von solchen Steigerungen profitieren deutsche Landtechnikanbieter wie Horsch, Ropa oder Claas besonders stark. Denn die großen Agrarholdings, die Getreide und Ölsaaten für den Weltmarkt produzieren, bewirtschaften Flächen, die größer sind als eine Million Fußballfelder. Dafür benötigen sie leistungsstarke und zuverlässige Technik – bevorzugt aus Deutschland, wie die aktuellen Exportzahlen belegen: Die deutschen Ausfuhren von Bodenbearbeitungsmaschinen und Traktoren in die Ukraine stiegen im vergangenen Jahr
um über 30 Prozent auf 432 Millionen US-Dollar. Damit gehört das Land zu den wichtigsten Wachstumsmärkten weltweit, so der Verband Deutsche Maschinen- und Anlagenbau Landtechnik.
»Leider exportieren wir Rohstoffe. Es ist an der Zeit, in Rumänien zu produzieren.«
Mihai Daraban,
Präsident der Industrie- und Handelskammer Rumänien
Die positiven Zahlen beschränken sich jedoch nicht allein auf die Ukraine. In Rumänien, wo jeder vierte Beschäftigte in der Landwirtschaft tätig ist, nahmen die deutschen Landtechnikausfuhren im Vergleich zum Vorjahr um beinahe 14 Prozent zu. Die Exporte in die Türkei, ebenfalls stark vom Agrarsektor geprägt, kletterten um über 36 Prozent nach oben.
Deutsche Landtechnikhersteller fertigen etwa 72 Prozent ihrer Maschinen für den Export. Noch höher ist die Quote bei Nahrungsmittel- und Verpackungsmaschinen: Hier gehen 84 Prozent der Maschinen ins Ausland. Umso erfreuter sind die Maschinenbauer, wenn die Nachfrage nach verarbeiteten und verpackten Nahrungsmitteln auf den wichtigen Absatzmärkten steigt – wie derzeit in Russland, nach den USA und Mexiko drittwichtigster Abnehmer für diese Maschinensparte. Dort investieren die Betriebe vor allem in die Fleisch- und Milchverarbeitung. Marktführer Miratorg steckt mehrere Milliarden Euro in neue Schweinefarmen und Schlachtbetriebe. Einzelhandelskonzerne wie Auchan aus Frankreich errichten eigene Betriebe zur Fleischverarbeitung im Land. In der Milchwirtschaft sorgt der Expansionskurs der Agrarholding Ekoniva des deutschen Landwirts Stefan Dürr für Aufmerksamkeit: Bis Ende 2019 will das Unternehmen neue Milchfarmen bauen und bestehende Betriebe übernehmen, um so seinen täglichen Milchertrag auf insgesamt 2.000 Tonnen zu verdoppeln.
In der Ukraine bewirtschaften einzelne Agrarholdings Flächen, die größer sind als eine Million Fußballfelder. Dafür brauchen sie zuverlässige, effiziente Technik aus Deutschland.
© picture alliance/NurPhoto
Fleisch satt für das größte Land der Erde
Die Investitionen machen sich bereits bemerkbar: Russland produzierte im Jahr 2017 7,4 Prozent mehr Geflügelfleisch als im Jahr zuvor, insgesamt 2,3 Millionen Tonnen. Gleichzeitig stellten russische Betriebe 6,7 Prozent mehr Rind-, Schweine- und Lammfleisch her, insgesamt 4,8 Millionen Tonnen. Russlands Ziel: In fünf bis sieben Jahren will sich das Land weitgehend selbst mit Nahrungsmitteln versorgen. Dahinter steckt eine Politik der Importsubstitution, die Russland in vielen Branchen verfolgt. Das Prinzip ist immer gleich: Die Regierung unterstützt lokale Produzenten mit staatlichen Hilfen und schafft für Anbieter aus dem Ausland höhere Marktschranken. Bei Fleisch und Fleischprodukten scheint der Plan aufzugehen: Importierte Russland im Jahr 2010 noch für 5,7 Milliarden US-Dollar, war es im Jahr 2017 nur noch halb so viel. Dass Russland verstärkt auf eigene Produkte setzt, hat auch mit dem Embargo auf Nahrungsmittel aus dem Westen zu tun, eine Gegenmaßnahme Russlands auf die Sanktionen der Europäischen Union nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim.
INTERVIEW
»Deutsche Technik ist zuverlässig.«
Alexander Haus vom Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau im Interview über Chancen und Herausforderungen in Ost- und Südosteuropa.
Welcher ost- oder südosteuropäische Markt überrascht derzeit am meisten?
Bei Landtechnik zählt die Ukraine zu den wichtigsten Wachstumsmärkten der Welt. Der Absatz von Traktoren stieg 2017 um 75 Prozent, der Absatz von Mähdreschern lag bei 1.600 Neumaschinen und über 500 gebrauchten Maschinen. Die ukrainischen Großbetriebe erzielen hohe Erlöse mit dem Export von Getreide und Ölsaaten und investieren in Landtechnik aus Deutschland.
Deutsche Landtechnik ist oft teurer als die Konkurrenz. Womit punkten die Unternehmen?
Gerade bei Großbetrieben können hochleistungsfähige Traktoren und Landmaschinen ihre Effizienzvorteile ausspielen. Dabei wird die Technik extremen Belastungen ausgesetzt. In Teilen Russlands und in Kasachstan muss ein Mähdrescher pro Saison bis zu 2.000 Hektar Getreide dreschen. Ein Ausfall wäre fatal. Die Zuverlässigkeit der Technik spielt eine ganz wichtige Rolle.
Was sind die größten Herausforderungen für deutsche Landtechnikhersteller in der Region?
In Ländern der Wirtschafts- und Zollunion sind es die tarifären und nichttarifären Handelshemmnisse, die uns Sorgen bereiten. Es gibt keine Transparenz bei den politischen Entscheidungen, und die Spielregeln können über Nacht geändert werden. Auch fehlende Finanzierungsmöglichkeiten verhindern, dass das vorhandene Potenzial in der Landwirtschaft ausgenutzt wird.
Was raten Sie deutschen Unternehmen bei einem Markteintritt?
Fast alle deutschen Landtechnikunternehmen sind in Osteuropa aktiv. Ganz wichtig sind Auswahl und Weiterbildung des Personals. Auch wenn man sehr gute Produkte im Portfolio hat, sind es Menschen, die das Geschäft voranbringen. Das gilt sowohl für den Verkauf, Kundenschulungen, aber auch für den Service der Maschinen.
Der Düsseldorfer Konzern Gea profitiert von der steigenden Lebensmittelproduktion in Russland. Das Unternehmen ist seit 1991 im Land aktiv und baut in Werken vor Ort beispielsweise Pasteurisierungsanlagen für Molkereien und Ventilationssysteme für Milchproduzenten. Gea ist weltweit an über 50 Standorten präsent, Russland gehört zu den fünf wichtigsten. Das werde auch so bleiben, erklärt Jens Eichler, Leiter der Abteilung Equipment Sales für Russland und Zentralasien. „Zum einen sehen wir eine fortschreitende Urbanisierung der Weltbevölkerung und ein stetiges Bevölkerungswachstum“, sagt der Experte. „Ein demografischer Anstieg ist zwar in Russland mittelfristig nicht zu erwarten, dafür aber in Zentralasien, dessen Märkte wir auch von Russland aus bedienen.“ (zum ausführlichen Interview mit Jens Eichler) In Zukunft würden immer mehr Menschen in Metropolen leben und sich nicht selbst ernähren, sagt Eichler. Hier ergebe sich ein Potenzial für russische Lebensmittelproduzenten, die auch die Exportmärkte in der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten und in China nicht aus den Augen verlieren würden.
Risiken und ungenutztes Potenzial
Allerdings gibt es auch Herausforderungen für deutsche Maschinenanbieter. Ein Dauerbrenner ist der Fachkräftemarkt in Russland: Da die Unternehmen Hightech verkaufen, benötigen sie qualifizierte Mitarbeiter, um ihre Kunden nach dem Verkauf betreuen zu können, auch jenseits der Metropolregionen Moskau und Sankt Petersburg. „Gerade in den entlegenen Regionen ist es nicht einfach, geeignetes Personal zu finden“, sagt Eichler. Das Unternehmen beschäftigt insgesamt 350 Mitarbeiter, davon rund 200 Ingenieure, und sieht sich in Russland vergleichsweise gut aufgestellt.
Eine weitere Herausforderung ist die volatile Wirtschaft in Schwellenländern: Die Schwankungen erschweren langfristige Planungen, vor allem im Neumaschinengeschäft. In Zeiten hoher Kreditzinsen und einer schwachen lokalen Währung wird deutsche Premiumtechnik für viele potenzielle Käufer unerschwinglich.
In der Ukraine oder Rumänien ist die Nahrungsmittelverarbeitung ohnehin gering ausgeprägt, was die Absatzchancen für deutsche Anbieter schmälert. So beklagt Mihai Daraban, Präsident der Industrie- und Handelskammer Rumäniens: „Leider exportieren wir Rohstoffe. Es ist an der Zeit, in Rumänien zu produzieren, Produkte made in Romania zu konsumieren und Erzeugnisse mit höchster Wertschöpfung zu verkaufen.“
Auch in der Landwirtschaft steckt noch viel ungenutztes Potenzial. Die meisten Betriebe arbeiten mit Mähdreschern oder Traktoren, die bereits 15 Jahre und mehr auf dem Buckel haben. Den wenigen kapitalstarken Agrarholdings mit Zugang zu moderner Technik stehen Subsistenzwirtschaften gegenüber, die in den ehemaligen Sowjetstaaten oder Ländern wie Rumänien und der Türkei noch weitverbreitet sind. Die Bauern bestellen die Böden mit einfachem Gerät und geringem landwirtschaftlichen Know-how, um sich und ihre Familien zu ernähren. Unterm Strich liegen die durchschnittlichen Erträge trotz geringer Kosten und hervorragender Böden deutlich unter dem Niveau östlicher Staaten der Europäischen Union. Polen beispielsweise produziert jährlich mehr als doppelt so viele Agrarerzeugnisse wie die Ukraine, obwohl das Land nur über ein Drittel der Ackerfläche verfügt.
Service & Kontakt
Interview mit Jens Eichler, GEA:
»Lokalisierungspotenziale stehen bei uns immer auf dem Prüfstand.«
Weitere Informationen zur Region finden Sie unter:
www.gtai.de/ernaehrung-gus-soe
GTAI-Ansprechpartnerin GUS/Südosteuropa
Sofia Hempel
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