»Es wird keine One-Fits-All-Solution geben«
Jörg Mutschler, Geschäftsführer der VDMA Arbeitsgemeinschaft Marine Equipment & Systems erklärt, was die Branche bewegt und wie es um alternative Antriebe in der Schifffahrt weltweit steht.
Juni 2021
Interview: Charlotte Hoffmann
Herr Mutschler, wie kommt die deutsche Schiffbaubranche durch die Coronakrise?
Vielen deutschen Werften geht es in der Coronakrise nicht gut. Deutschland und auch Europa bauen fast nur noch hochwertige Schiffe, meist Kreuzfahrtschiffe. Die Coronakrise hat den gut gefüllten Auftragsbüchern – die teilweise bis 2025 ausgebucht waren – einen Strich durch die Rechnung gemacht. Viele Kunden haben ihre Aufträge geschoben. Aber nicht nur ins nächste, sondern auch in die weiteren Jahre.
Und wie geht es der deutschen maritimen Zulieferindustrie in diesen Zeiten?
Für Zulieferer steht die Ampel nach einer kurzen Rotphase fast wieder auf grün. Der große Unterschied zu den Schiffbauern und Werften ist, dass die Zuliefererindustrie ihre Komponenten und Systeme nach dem Einbau im Betrieb weiter begleitet. Häufig sogar über das gesamte Leben eines Schiffes hinweg – im besten Fall sind das 20 bis 25 Jahre. Ein schönes Beispiel ist Predictive Maintenance, also die vorausschauende Wartungsplanung: Wenn ein deutsches Unternehmen einen Schiffsmotor einbaut, kann dieser, durch intelligente Sensorik, Veränderungen erkennen und Schäden verhindern, indem Instandhaltungsmaßnahmen, zum Beispiel ein Austausch von Verschleißteilen, während der nächsten Hafen- Liegezeit eingeplant wird. Mit diesem zum After-Sales-Service gehörendem Geschäft, erwirtschaften die Unternehmen der deutschen Schiffbau- Zulieferindustrie rund 30 Prozent ihres Umsatzes.
Die Aufträge sind also gar nicht weniger geworden?
Doch, in Deutschland und Europa sind sie stark eingebrochen, daran hatte die Zulieferindustrie zu knabbern. Doch in anderen wichtigen Abnehmerländern ist die Lage inzwischen wieder besser. Nehmen wir Asien: Hier werden die meisten Transportschiffe gebaut. Nach dem ersten Pandemieschock hat sich das Geschäft dort schnell wieder erholt. Frachtvolumen beispielsweise wird international stärker nachgefragt, deshalb haben die asiatischen Werften auch in diesem Sektor viele Neubauprojekte
Hat Corona zu einer Trendwende in der Schiffsbaubranche geführt?
Die Digitalisierung hat einen kräftigen Schub bekommen. Gerade betriebliche Abläufe werden mehr und mehr digitalisiert. Vertragsverhandlungen mit Kunden in der ganzen Welt können wir jetzt einfach online durchführen. Und selbst schwierige technische Abläufe, wie die Inbetriebnahme von Maschinen, können wir immer mehr aus der Ferne durchführen. Das war vor Corona zwar vielfach angedacht aber oft noch nicht umgesetzt. Eigentlich nehmen Techniker die Maschinen vor Ort beim Kunden in Betrieb, doch Corona bringt neue Ansätze hervor. Ferndiagnose, Unterstützung durch technisches Personal vor Ort und auch Virtual Reality ersetzen heute die bis vor kurzem oft noch notwendige Reise eines deutschen Technikers. Das wird sich auch in Zukunft weiter durchsetzen.
Welchen Herausforderungen muss sich insbesondere die Zulieferindustrie in den kommenden Jahren stellen?
Dem zunehmenden Wettbewerb. Nehmen wir zum Beispiel ein Kreuzfahrtschiff: 75 Prozent des Wertes stammen von Zulieferern, die Werft an sich entwickelt, konstruiert und baut das System Schiff, in der Wertschöpfung macht das aber nur 25 Prozent aus. Das wissen asiatische Unternehmen natürlich auch. Deshalb versuchen sie, Schiffe nicht nur in den eigenen Werften zu fertigen, sondern auch den Zuliefermarkt selbst zu bedienen. Der Wettbewerbsdruck für deutsche Unternehmen ist also kontinuierlich da.
Was machen deutsche Unternehmen besser als die Konkurrenz?
Wir haben einen Technologievorsprung, den es kontinuierlich zu halten und auszubauen gilt. Die Reeder entscheiden sich darum oft für deutsche Komponenten und Systeme, auch wenn das Schiff auf einer ausländischen Werft gebaut wird. Made in Germany hat einen sehr guten Ruf – es zahlt sich aus, dass unsere Produkte weniger wartungsintensiv, leistungseffizienter und insgesamt sehr zuverlässig sind. Das ist für Reeder entscheidend. Ein Schiff bringt nur Geld, wenn es fährt – und nicht, wenn es in der Werft liegt.
Ist die Zuverlässigkeit also der USP der deutschen maritimen Zulieferindustrie?
Deutsche Zulieferer sichern teilweise vertraglich zu, dass ihre Produkte vorgegebene Verfügbarkeiten einhalten. Damit garantieren sie nicht nur die schnelle Reparatur, sollte es doch mal zu einem Ausfall kommen, sondern zum Teil auch Ausfallentschädigungen, wenn das Schiff nicht „arbeitet“. Auch vertragliche Leistungsvorgaben bei festgelegten Kraftstoffverbräuchen sind gängige Vertragsbestandteile. Deutsche Unternehmen trauen sich zu, solche Verträge zu schließen, ausländische Wettbewerber eher (noch) nicht. Das ist ganz klar ein Wettbewerbsvorteil. Wir wissen, wie gut unsere Technologien sind.
»Die Digitalisierung hat durch Corona einen kräftigen Schub bekommen.«
Dr. Jörg Mutschler
Geschäftsführer VDMA Marine Equipment & Systems
Welche Antriebstechnologie wird künftig das größte Potential haben?
Eine One-Fits-All-Lösung wird es nicht geben. Je nach Schiffstyp wird sich eine andere Technologie durchsetzen. Fährschiffe beispielsweise kann man vergleichsweise einfach elektrifizieren, da das Schiff immer dieselbe Strecke fährt. Bei Langstrecken, also Übersee zum Beispiel von Hamburg nach Shanghai, ist das keine Lösung. Hier müssen alternative Kraftstoffe her, die das klimaschädliche Schweröl ersetzen. Eine gute Übergangslösung ist Flüssigerdgas (LNG). Das ist zwar noch fossil, also noch nicht dekarbonisiert, aber wesentlich sauberer als Schweröl. Auch Ammoniak wird eine Zwischenlösung sein. Für Motoren ist es wichtig, dass sie mit verschiedenen Kraftstoffen laufen können, oder zumindest die Möglichkeit besteht, mittel- bis langfristig nachzurüsten – auf dekarbonisierte Kraftstoffe, zum Beispiel auf grünem Wasserstoff. Bei sogenannten Power-to-X-Technologien, die Strom umwandeln, gibt es noch viel forschungsbedarf. Aber das Potenzial ist da, daraus gasförmige oder sogar flüssige Verbrennungsstoffe herzustellen. Aktuell ist das aber noch nicht gewinnbringend.
Sind die Klimaziele der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation IMO für 2050 überhaupt realistisch? Die hatte sich ja zum Ziel gesetzt, dass bereits 2050 die Hälfte der durch die Schifffahrt verursachten CO2-Emissionen eingespart werden.
Bis zu diesem Ziel ist es noch ein weiter Weg. Und die Zeit drängt. 2050 ist für die Schiffbauindustrie schon morgen. Die Motoren, die jetzt eingebaut werden, die gibt es auch in 20 bis 25 Jahren noch. Das heißt, sie müssen jetzt so gebaut werden, dass sie mehrere Kraftstoffarten verbrennen – oder später nachgerüstet werden können. Damit sich die Motorenindustrie darauf einstellen kann, braucht es eine klare Entscheidung, wann welcher Kraftstoff zugelassen ist und wann nicht mehr, und auf was sie sich vorbereiten müssen. So eine klare Ansage gibt es aber nicht, deswegen fährt die Industrie mehrgleisig: LNG, Ammoniak, Methanol sowie eine Kombination aus Strom und Kraftstoff. Und nicht zu vergessen die neuen dekarbonisierten Kraftstoffe.
Unterstützt der Staat die Branche dabei, die Antriebswende zu finanzieren?
In die Wasserstoffproduktion wird hierzulande beispielsweise schon sehr viel investiert. Für uns ist es wichtig, dass jetzt Anlagen für die Herstellung von grünem Wasserstoff gebaut werden, die mit industriellen Standards arbeiten. Pilotanlagen im Forschungsumfeld sind ein Anfang, aber es ist wichtig, dass die Produktion von großen Mengen möglich wird. Das muss der Staat gezielt fördern. Das ist zwar geplant, geht aber aus unserer Sicht leider nicht schnell genug.
Wo sehen Sie die Branche antriebstechnisch in zehn Jahren? Wie viel Prozent der Schiffe werden dann vielleicht schon umgerüstet sein?
Das lässt sich schwer abschätzen. 2031 wird sicher die Mehrheit der neugebauten Schiffe mit Motoren ausgestattet sein, die künftig auch mit dekarbonisierten Kraftstoffen fahren können. Das ist aber nur eine Seite der Medaille. Der Kraftstoff muss überall verfügbar sein. Es bringt nichts, wenn Containerschiffe mit LNG angetrieben werden, es aber keinen Hafen gibt, der ein LNG-Terminal hat. In Deutschland wird gerade erst der erste LNG-Anschluss in Brunsbüttel gebaut.
In welchen Segmenten sind die deutschen Ausrüster stark?
Deutsche Ausrüster decken die gesamte Palette von Systemen und Komponenten im höherwertigen Segment ab, die auf einem Schiff verbaut werden. 75 Prozent des Umsatzes in der Zulieferindustrie wird im Export generiert, 50 Prozent davon im außereuropäischen Raum. Ein Vorzeigebeispiel ist der Hersteller MMG, der seine Schiffspropeller über den Hamburger Hafen in die ganze Welt verschifft. MMG sichert den Abnehmern vertraglich zu, dass die Propeller eine vorab errechnete Leistung erzielen werden und garantiert einen bestimmten Kraftstoffverbrauch. Das traut sich kaum jemand.
Wer sind die stärksten Konkurrenten?
Japan ist ein starker Wettbewerber. Das Hightech-Land bietet gleichwertige Qualität und ist auch in der Zulieferindustrie gut vertreten, fertigt aber mitunter in China und Korea. Auch Korea ist ein großer Konkurrent. Die dortigen Firmen sind einfach gut, es wird aber auch in größeren Dimensionen gebaut. Beispielsweise das Schiff „Pioneer Spirit“, ein 400 Meter langes und 150Meter breites Arbeitsschiff. Darin sind deutsche Komponenten verbaut, etwa 130 Zylinder von MAN und Kräne von Liebherr. China holt langsam auf, der chinesische Fünfjahresplan setzt deutschen Zulieferer extrem unter Druck. China will Weltmarktführer werden – im Schiffbau inklusive der Zulieferindustrie. Abgesehen vom asiatischen Raum gibt es aber auch in kleineren Ländern Unternehmen, die einfach sehr spezialisiert und Technologieführer in ihrem Segment sind.
Immer mehr Länder setzen auf Produkte aus dem eigenen Land. Wie passen sich die Produzenten an immer strengere Gesetze an?
Sogenannte Local-Content-Anforderungen sind ein Problem, mit denen deutsche Firmen schon seit vielen Jahren umgehen müssen. Das betrifft viele Märkte, nicht nur Russland oder Südamerika. Es ist nachvollziehbar, dass Länder bei großen Projekten vorwiegend Teile aus dem eigenen Land verbauen wollen. Insbesondere in Japan ist es extrem schwierig. Auch wenn ich dort als Schiffskäufer auf einen deutschen Motor bestehen möchte, wird die japanische Werft viele Gründe anführen, warum ein japanischer Motor die bessere Lösung ist. Das können sie auch, weil sie das Knowhow haben. In China ist das aktuell noch nicht möglich, weil die Zulieferindustrie mit der deutschen Qualität noch nicht mithalten kann. Aber auch das wird sich ändern.
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