August 2019
Interview: Sofia Hempel
Jair Bolsonaro ist seit gut einem halben Jahr Staatspräsident von Brasilien. Welche Bilanz ziehen Sie?
Die Unternehmen haben den Regierungswechsel begrüßt. In einer Umfrage der deutsch-brasilianischen Auslandshandelskammern unmittelbar nach der Wahl gaben sich auch die deutschen Unternehmen in Brasilien durchweg optimistisch. Die erste Euphorie über die Abwahl der linken Arbeiterpartei PT ist zwar verflogen. Es wurde deutlich, dass sich Brasiliens Wirtschaft nur langsam von der schweren Rezession der Jahre 2014 bis 2016 erholt. Doch die Bedingungen für ausländische Unternehmen dürften sich mittelfristig verbessern.
Wie kommen Sie zu dieser Einschätzung?
Die Regierung unternimmt konkrete Maßnahmen, um behördliche Prozesse zu entbürokratisieren. Die brasilianische Zertifizierungsbehörde Inmetro erarbeitet beispielsweise zurzeit einfachere Zulassungsverfahren. Das Gesetz MP 881, über dessen Verabschiedung der Kongress im August entscheiden soll, dürfte vor allem Start-Ups und kleineren Unternehmen die Geschäfte erleichtern. Zudem hat die Regierung angekündigt, den Markt für ausländische Unternehmen mehr zu öffnen. Im neuen Gesetz für öffentliche Ausschreibungen beispielsweise sollen nationale Produkte nicht mehr so stark begünstigt werden. Das Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und Mercosur wird die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Deutschland und Brasilien intensivieren.
»Der neue Präsident stellt für die Mehrheit der Brasilianer das geringere Übel dar«
Gloria Rose
GTAI-Korrespondentin in Brasilien
Müssen deutsche Unternehmen heute andere Risiken berücksichtigen als beispielsweise noch vor fünf Jahren?
2014 setzte in Brasilien die schwerste Wirtschaftskrise der jüngsten Geschichte des Landes ein. Damals war noch nicht abzusehen, wie stark die Inlandsnachfrage im Laufe der fast dreijährigen Rezession einbrechen würde. Das größte Risiko waren damals Zahlungsausfälle. Heute ist das Risiko eher keine oder zu wenige Aufträge zu bekommen, da die Inlandsnachfrage nach wie vor schwächelt. Die hohe Staatsverschuldung bleibt ein großes Problem. Ohne eine nachhaltige Konsolidierung des Haushaltes droht das Länderrisiko anzusteigen – und damit die Kosten für Exportabsicherungen. Allerdings sieht es derzeit so aus, als könnte die geplante Rentenreform bald verabschiedet werden. Diese würde den Staatshaushalt massiv entlasten.
In Deutschland kritisieren viele die rechtspopulistische Ausrichtung von Jair Bolsonaro. Er irritiert die Menschen mit der Glorifizierung der Militärdiktatur und hat angekündigt, den Amazonas stärker wirtschaftlich nutzen zu wollen. Wie stehen die Brasilianer zum neu gewählten Präsidenten?
Das Image von Jair Bolsonaro ist in Deutschland, Frankreich und anderen europäischen Ländern ist sehr negativ. Auch in Brasilien kritisieren viele Menschen die Fehltritte des Präsidenten und seine radikalen Äußerungen. Doch der neue Präsident stellt für die Mehrheit der Brasilianer das geringere Übel dar. Sie stimmten für den Populisten, um einen erneuten Wahlsieg der linken Arbeiterpartei PT zu verhindern. Leider werden viele Aspekte in den deutschen Medien verzerrt wiedergegeben. Das erschwert die Annäherung und das Verständnis der Deutschen für die Brasilianer.
Wie hat sich Ihre persönliche Arbeit am Standort verändert?
Politische Debatten nehmen immer mehr Raum ein, auch in der Wirtschaftsberichterstattung. Das war früher anders. Ich muss heute mehr darauf achten, wie ich Sachverhalte diplomatischer formuliere.
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