Extrawurst
Das Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und dem Vereinigten Königreich rutschte als Last-Minute-Geschenk unter den Christbaum. Acht Monate später schaut Markets International auf den holprigen Anpassungsprozess und die wichtigsten Fristen des Brexit.
August 2021
Autoren: Nadine Bauer, Stefanie Eich, Karl Martin Fischer und Marc Lehnfeld
Wie kommt die Nürnberger Wurst zollfrei ins Vereinigte Königreich? Und wie das Päckchen zum Geburtstag der Enkelin nach London? Das Freihandelsabkommen zwischen Großbritannien und der EU soll solche Fragen klären. © bortonia/Getty Images/Verena Matl
Pünktlich zu Weihnachten war die Einigung da – und brachte leider nicht nur Erleichterung, sondern auch die ersten Probleme. Unternehmen, die Geschäfte auf der britischen Insel machten, blieb nur eine Woche Zeit, sich auf die neue Zollgrenze vorzubereiten. Entsprechend groß war der Informationsbedarf, vor allem nach verlässlichen Informationen in deutscher Sprache.
Wann hat ein Produkt EU-Ursprung, der für die vollständige Zollfreiheit benötigt wird? Wie muss der Präferenznachweis aussehen, der bei der Zollanmeldung eingereicht werden muss, damit die Ware zollfrei eingeführt werden kann? Normalerweise genügt eine kurze Recherche in den Datenbanken der deutschen Zollverwaltung oder der EU-Kommission. Aber durch das kurzfristige Inkrafttreten konnten beide Datenbanken nicht rechtzeitig aktualisiert werden. Es blieb nur die mühsame Suche in dem rund 2.500 Seiten langen Abkommen. Darin kann man schnell den Überblick verlieren.
Die Folge: Ab dem 28. Dezember 2020 standen die Telefone bei den Mitgliedern der GTAI-Projektgruppe Brexit nicht mehr still. Während ein Unternehmen wissen wollte, ob die Nürnberger Würstchen aus eigener Herstellung zollfrei nach Großbritannien exportiert werden könnten, waren sich Mitarbeiter anderer Firmen unsicher, ob die Erklärung zum Ursprung eine Unterschrift benötige. Um Ware zollfrei in Großbritannien einzuführen, ist ein Präferenznachweis notwendig. Der sieht laut Abkommen die Angabe einer Ausführer-Referenznummer vor. Aber was ist das, und wo kann man sie beantragen? Auch der ein oder andere Großvater rief an und wollte wissen, wie das Päckchen zum Geburtstag der Enkelin in London am besten zollfrei über den Ärmelkanal transportiert werden konnte.
Zollgrenze trotz Abkommen
Nicht nur die Details des Abkommens, sondern auch die neue Zollgrenze stellte Unternehmen vor Herausforderungen. Vor allem viele britische Unternehmen hatten sich auf das Versprechen von Premierminister Boris Johnson verlassen und sich von dem Abkommen weiterhin reibungslosen Außenhandel erwartet. Dass unabhängig vom Ausgang der Verhandlungen über das Abkommen ab 1. Januar 2021 Zollformalitäten notwendig sein würden, war für zahlreiche Firmen eine Überraschung. Selbst bei gut vorbereiteten Unternehmen mussten sich die neuen Prozesse erst einspielen.
Besonders schwierig war die Situation für Onlinehändler, die an britische Privatkunden versenden. Das bestätigt eine verbandsinterne Umfrage des Bundesverbands E-Commerce und Versandhandel (BEVH) aus dem Februar 2021. „Rund 60 Prozent der von uns befragten Mitgliedsunternehmen gaben an, den Versand nach Großbritannien vorerst – zumindest für manche Produktkategorien – eingestellt zu haben oder einstellen zu wollen, sollte sich die Situation nicht bald bessern“, sagt Alien Mulyk, Referentin Public Affairs Europa und International beim BEVH.
»Mit der Freihafeninitiative könnte die britische Regierung ausländische Investoren anlocken.«
Marc Lehnfeld, GTAI-Korrespondent London
Vom Verbündeten zum Wettbewerber
Nach dem Brexit bleibt die Frage nach dem neuen wirtschaftspolitischen Kurs der Briten außerhalb der Union. In der EU wird besonders kritisch beäugt, wie sich die britische Insel als Standortkonkurrenz zum europäischen Festland positionieren könnte.
Steuern steigen
Das von den Brexiteers gepriesene Modell eines Singapurs an der Themse mit niedrigen Steuern und entschlackter Regulierung ist bisher nicht absehbar. Die hohe Staatsschuldenlast aus der Coronakrise sorgt gar für Steuererhöhungen in den nächsten Jahren.
Zollvorteile in den Freihäfen
Investoren könnten hingegen hoffnungsvoll auf die Freihafeninitiative der Regierung schielen. Dabei überwiegen die Vorteile weniger beim Zoll als vielmehr bei den Steuervorteilen an den acht ausgewählten englischen Standorten. Ein Beispiel ist der Freihafen entlang des Humber, an dem Freiflächen für Cluster in der Offshorewindenergie, Wasserstoff- und Schienentechnologien entstehen sollen. Der einzige Haken: Die Gesetzgebung ist noch nicht erlassen. Das bedeutet im Königreich auch, dass sich noch vieles ändern kann. Die Landesteile Nordirland, Wales und Schottland planen unterdessen ihre eigenen Freihafenprogramme.
Hilfreich für viele Exporteure waren die Vereinfachungen, die die Briten für Einfuhren aus der EU gewähren. Doch diese einseitigen Erleichterungen enden bald. Die Briten führen das neue Zollregime für Waren aus der EU stufenweise ein. Am 1. Januar 2021 feierten die britische Regierung und die Brexit-Befürworter den endgültigen Abschied aus der EU. Aber der Brexit ist kein einmaliges Event, sondern ein Prozess, der noch lange nicht abgeschlossen ist. Beim Marktzugang zeigt sich das sehr deutlich: Für unterschiedliche Produkte gelten unterschiedliche Übergangsfristen. Das Abkommen sieht keine gegenseitige Anerkennung von Produktstandards vor.
Um Produkte auf dem britischen Markt in Verkehr bringen zu können, ist es notwendig, die britischen Standards einzuhalten. Zwar sind Produktanforderungen zurzeit noch identisch, da die europäischen Normen in britische Standards übernommen wurden. Dennoch müssen Unternehmen aktiv werden: Statt der CE-Kennzeichnung ist ab 1. Januar 2022 das neue UKCA-Label Pflicht. Für bestimmte Waren wie Medizinprodukte müssen Registrierungspflichten beachtet und ein bevollmächtigter Vertreter benannt werden. Auch die neue UK-REACH-Verordnung zur Regulierung von Chemikalien erfordert eine separate Registrierung in Großbritannien. Exportierende Unternehmen sollten deshalb die unterschiedlichen Fristen im Blick behalten, um den britischen Markt weiterhin bedienen zu können.
Guten Tag,
ich möchte mich für die professionelle, umfassende und zeitnahe Berichterstattung der Brexit-Experten der GTAI bedanken. Das ganze Jahr über haben Sie uns mit den neuesten und wirklich zuverlässigen Informationen versorgt und sich auch bei individuellen Fragestellungen sehr engagiert gezeigt.
Das ist tolle Arbeit und ich und unsere Mitgliedsfirmen freuen uns sehr, wenn Sie das so weitermachen.
Beste Grüße aus Stuttgart
Silvia Jungbauer
GESAMTMASCHE e. V.