Fahrradmarkt in Argentinien
Kaum eine andere Branche erlebt derzeit einen solchen Boom wie die Fahrradindustrie. Auch Länder, in denen Fahrradfahrer bislang kaum zum Straßenbild gehörten, sind mit dabei – ein Blick nach Argentinien.
Dezember 2021
Autor: Carl Moses
»Wer den rasant wachsenden Fahrradmarkt Argentiniens erschließen will, sollte vor Ort produzieren. Der Moment ist günstig.«
Carl Moses,
GTAI Buenos Aires/Argentinien
In Argentinien hatte die Nutzung des Fahrrads bereits in den Jahren vor der Pandemie einen starken Aufschwung erlebt. Nach dem Ausbruch von Corona, als die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel viele Monate lang nur noch den Beschäftigten essentieller Wirtschaftszweige erlaubt war, stieg die Nachfrage nach Zweirädern aller Art sprunghaft an. Während in normalen Jahren rund eine Million Fahrräder im Jahr verkauft werden, konnte die Branche 2020 rund 1,6 Millionen Drahtesel absetzen – nahezu eine Verdreifachung gegenüber dem Vorjahr, als die Nachfrage rezessionsbedingt eingebrochen war. Ein noch deutlich höherer Absatz wäre ohne weiteres möglich, doch die Ausweitung der heimischen Produktion stößt auf Hindernisse.
Lange Lieferzeiten
Es fehlt vor allem an importierten Vorprodukten, die Lieferzeiten der überwiegend asiatischen Lieferanten von Teilen und Komponenten erscheinen den normalerweise sehr kurzfristig disponierenden Herstellern in Argentinien unendlich lang. Zudem sind in Argentinien Devisen für Importe chronisch knapp. Die Unsicherheit über die künftige Entwicklung des Währungskurses und über die Verfügbarkeit von Devisenzuteilungen zum offiziellen Wechselkurs erschweren Pläne und Kalkulationen und Pläne für eine Ausweitung der Produktion in Argentinien. Zudem scheuen die überwiegend kleinen Fabrikanten aufgrund von hohen Lohnnebenkosten die Einstellung von zusätzlichem Personal. Lieber erhöhen sie die Preise für die begehrten Drahtesel. Am besten gehen immer noch Mountainbikes und traditionelle Tourenräder, die Nachfrage nach E-Bikes und -Rollern kommt gerade erst in Fahrt. Besonders beliebt sind Klappräder, die als Komplement zum Auto für die Bewältigung der letzten Meile zum Arbeitsplatz dienen.
Zahlen & Fakten
Importumsatz von Fahrrädern 2020
(in Mio. US-Dollar)
Fahrräder pro Einwohner
Anteil am Modal Split in Buenos Aires
Trotz des Nachfragebooms sank der Wert der Fahrradimporte 2020 mit 11,6 Millionen Dollar auf die Hälfte des Werts von 2018. Schuld ist der Devisenmangel. Zudem geht die Regierung gegen Dumping bei den Importen aus China vor, von wo 95 Prozent der Importräder stammen. Ausländische Hersteller können an dem Marktwachstum am besten partizipieren, wenn sie eine Produktion vor Ort aufbauen. Die Übernahme einer lokalen Firma könnte den Einstieg erleichtern. Von Argentinien aus ließe sich auch der Markt der Nachbarländer erschließen, vor allem im Wirtschaftsverbund Mercosur. Die Regierung fördert vor allem die Produktion und den Absatz von E-Bikes mit günstigen Krediten.
Prekäre Sicherheitslage
Ein Hemmnis für ein noch schnelleres Wachstum der Nachfrage sind diverse Sicherheitsaspekte. Jede Woche sterben zwei bis drei Radfahrer bei Verkehrsunfällen. Zwar wurde in den großen Städten Argentiniens in den letzten Jahre eine gewisse Infrastruktur für den Fahrradverkehr aufgebaut, doch sie gilt weiterhin als prekär. Zudem verhalten sich Argentiniens Fahrradfahrer laut einer Studie der staatlichen Agentur für Verkehrssicherheit ANSV ebenso fahrlässig und rücksichtslos wie andere Verkehrsteilnehmer. Das Diebstahlrisiko ist außerordentlich hoch, immer wieder kommt es gar zu Überfällen auf Radfahrer, dabei mitunter zu schweren Verletzungen oder gar tödlichem Verlauf. Fazit: Die Argentinier haben ihre Liebe zum Fahrrad gerade erst entdeckt. Aber ein Paradies für Radfahrer und Hersteller ist das Pampaland noch lange nicht.
Service & Kontakt
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Weitere Informationen zu Argentinien finden Sie auf der GTAI-Länderseite.
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