Mai 2020
Autoren: Corinne Abele, Michael Monnerjahn und Michal Wozniak
Wer Reifen für Nutzfahrzeuge von Continental kauft, kann auf ein Reifeninformations- und Reifenmanagementsystem zählen. Conticonnect überwacht Parameter wie den Reifendruck für die gesamte Fahrzeugflotte – inklusive Servicepartner, falls mal etwas nicht stimmen sollte. © Continental AG
Damit folgt der Zulieferer einem Trend: Immer mehr Industrieunternehmen verkaufen inzwischen nicht mehr nur ihre Maschinen, Fahrzeuge oder Zulieferteile, sondern machen ihre Kunden zu Nutzern eines mithilfe von Big Data und Konsorten geschnürten smarten Service-Pakets.
Ein komplett neues Dienstleistungsmodell stellt wiederum das Data Trust Center von Tüv Süd in Kooperation mit dem IT-Konzern IBM dar. Daten verschiedener Fahrzeughersteller, die beim Autofahren erfasst werden, können auf der Plattform sicher gesammelt und dann Dienstleistern, Versicherern oder Behörden zur Verfügung gestellt werden – nachdem Fahrzeughalter beziehungsweise -hersteller zugestimmt haben.
Digital gestützte Dienstleistungen haben längst zum Siegeszug um die Welt angesetzt. Wegbereiter sind Smart Manufacturing, Industrie 4.0 beziehungsweise Internet der Dinge, Big Data, Clouds und künstliche Intelligenz. Erlauben es Dateninfrastruktur und Rechtsrahmen, machen sie vor keiner Branche halt: ob Equipment as a Service in China, smarte Landwirtschaft in Dänemark oder Mobilitätslösungen in Ruanda. Bereits heute machen Dienstleistungen rund 65 Prozent des weltweiten Bruttosozialprodukts aus. Nicht zuletzt dank Digitalisierung und Co. dürfte dieser Anteil in den kommenden Jahren weiter steigen.
Definition
„As a Service“ stammt ursprünglich aus der IT-Branche. Anstatt eine Softwarelizenz zu erwerben, wird nach Nutzung per Use oder bei Webservices nach Aufruf der Website per Klick bezahlt. Inzwischen hat sich das Dienstleistungskonzept emanzipiert und dringt als Geschäftsmodell in immer mehr Branchen vor.
Ruanda bewegt sich
Manch ein Land hofft, dadurch direkt den Sprung in eine moderne Dienstleistungsgesellschaft zu schaffen. Auch in Ruanda setzt die Regierung in ihrer Strategie Vision 2050 unter anderem auf die Themen Digitalisierung und Tourismus. Bereits jetzt haben Dienstleistungen einen Anteil von 49 Prozent am ruandischen Bruttoinlandsprodukt, vor allem Immobilienwirtschaft und Handel sind stark. Das Pro-Kopf-Einkommen liegt bei 800 US-Dollar im Jahr.
Obwohl oder gerade weil sich nur ein sehr kleiner Teil der Bevölkerung Ruandas ein Auto leisten kann, sieht Volkswagen Chancen für zukunftsorientierte Mobilitätskonzepte. „Viele Ruander wollen ein modernes und sicheres Auto nutzen“, sagt Thomas Schäfer, Subsahara-Afrika-Chef von VW. Deshalb hat VW speziell für Ruanda das Mobilitätskonzept Move entwickelt, das der Konzern gerade in der Hauptstadt Kigali testet.
Rund 40.000 Nutzer haben sich bereits die App Move Ride heruntergeladen. Wer über die App eines der 350 Autos anfordert, wird innerhalb von fünf Minuten am virtuell festgelegten Standort abgeholt. Der Unterschied zur Taxifahrt: Der Kunde teilt sich das Auto mit weiteren Mitfahrern. Mehr als 100.000 Fahrten wurden mit Move Ride bereits durchgeführt.
Interview
»Ökonomisches Kalkül«
Hermann Simon, Gründer der Strategieberatung Simon-Kucher & Partners, erklärt, warum Dienstleistungen nicht nur für einen Wettbewerbsvorteil sorgen, sondern auch Geld in die Kassen spülen.
Herr Simon, warum sind Dienstleistungen für Industrieunternehmen so wichtig?
Die meisten Produkte erfordern zusätzliche Dienstleistungen wie Wartung, Reparaturen und Beratung. Vor allem Schulungen als Dienstleistung gewinnen zunehmend an Bedeutung. Gerade in Entwicklungs- und Schwellenländern sind die Mitarbeiter vor Ort nicht ausreichend qualifiziert und können mit komplexen Maschinen wenig anfangen.
Warum bieten Unternehmen diese Dienstleistungen selbst an? Sie könnten sie ja auch outsourcen …
Wer Dienstleistungen selbst anbietet, behält die Kontrolle über die Qualität. Ich habe mich gerade mit einem malaysischen Importeur unterhalten, der jahrelang ReinigungsmasChinen eines deutschen Herstellers kaufte. Die Servicedienstleistung kam aber von einem lokalen Anbieter – der keine gute Arbeit machte. Der Importeur bezieht seitdem seine Maschinen aus Japan.
Wie können sich Firmen durch Services einen Wettbewerbsvorteil verschaffen?
Industrieunternehmen sind längst zu Dienstleistern geworden. Dahinter steckt ökonomisches Kalkül: Je mehr Leistungen ein Kunde von einer Firma bezieht, desto stärker ist er an sie gebunden. Und: Zusätzliche Dienstleistungen spülen mehr Geld in die Kassen der Firmen.
Welche Rolle spielen hierbei Technologien?
Künstliche Intelligenz und Big Data spielen eine zentrale Rolle. Zum Beispiel in der Luftfahrt: Triebwerke messen Tausende Parameter, aus denen Algorithmen Muster erkennen und Unregelmäßigkeiten entdecken. Dank dieser Predictive-Maintenance-Maßnahmen können Zulieferer ihre Kunden schon warnen, bevor überhaupt etwas kaputtgeht.
© Simon-Kucher & Partners/Jörn Wolter
Obwohl Volkswagen erst Mitte 2018 in Ruanda gestartet ist, beschäftigt der Autobauer bereits mehr als 300 Mitarbeiter. „Wir steuern auf den Break-even zu“, sagt Schäfer. „In Ruanda wollen wir dauerhaft vor Ort sein und die Flotte weiter ausbauen. Das Land ist für uns eine Blaupause für Afrika.“
DaaS in Ruanda – was ist das?

Das IT-Unternehmen kooperiert inzwischen auch mit dem Outsourcing-Dienstleister Code of Africa, der vor rund einem Jahr gegründet wurde. Code of Africa bietet digitale Projektentwicklung als Dienstleistung an – im Fachjargon: DaaS oder Development as a Service. „Wir wollen die Brücke schlagen zwischen IT-Talenten Ostafrikas und Unternehmen aus der DACH-Region“, sagt Anja Schlösser, Geschäftsführerin von Code of Africa. Wer IT-Dienstleistungen sucht, kann sie über Code of Africa vermitteln und steuern lassen.
Auf zu neuen Ufern: Seit Oktober 2019 fahren Elektrogolfs von Volkswagen durch die Straßen der ruandischen Hauptstadt Kigali. Wer einen E-Golf fahren möchte, kann ihn im Rahmen des VW-Mobilitätskonzeptes „Move“ nutzen – ohne das Auto kaufen oder mieten zu müssen. © Volkswagen Group South Africa
»Equipment as a Service hat das Potenzial, den Maschinenbau umzukrempeln.«
Franc Kaiser
Inter China Consulting
Made in China as a Service
So gehört in Chinas Megastädten Mobility as a Service bereits zum Alltag. Zum einen besaß 2018 erst jeder dritte Haushalt ein Auto, zum anderen schließen Metropolen wie Beijing, Shanghai, Chongqing oder Shenzhen ihre Straßen zunehmend für Autos mit herkömmlichen Verbrennungsmotoren. Gleichzeitig muss die Autobranche aufgrund der staatlich angeordneten Elektroquote Elektroautos produzieren und verkaufen.
Eine Sternstunde also für Mobilitätsanbieter wie Didi Chu Che oder Meituan. Auch deutsche Automobilbauer wie BMW oder Audi mischen mit ihren Mobilitätsplattformen und Ride-Hailing-Angeboten mit und bieten so Fahrgenuss im Premiumsegment an. Das Auto als Statussymbol bleibt damit erhalten – nur besitzen muss es keiner mehr.
Kommentar
Das Dienstleistungskonzept „As a Service“ hat das Zeug, die bisherige Wirtschaftsweise zu revolutionieren. Immer mehr Produkte mutieren zur Dienstleistung, immer mehr Käufer zu Nutzern – und durch ihre Daten zu Produktentwicklern. Damit verändern sich Zahlungsströme und Haftungsrisiken, Produktlebenszyklen und Steuermodelle. Die Digitalwirtschaft macht das Konzept nicht nur möglich – sondern mitunter zwingend notwendig. Es ist die Waffe der Hersteller gegen die wachsende Zahl von Onlineplattformen, ein Kampf um die Kunden, deren Daten und damit Marktkenntnis. Nicht der Verkäufer, nur der Dienstleister begleitet und berät seinen Nutzer, wenn alles gut geht, ein Leben lang. Also alles Dienstleistung – oder was? Irgendwie schon. Muss ja.
von Corinne Abele, Shanghai
Digitale Gesundheitspakete
Auch vor dem Maschinenbau macht der Dienstleistungstrend nicht halt. „Equipment as a Service hat das Potenzial, die Branche umzukrempeln“, sagt Franc Kaiser von der Unternehmensberatung Inter China Consulting. Weg vom Maschinenverkauf, hin zu Nutzungsentgelten für Maschinenlaufzeiten, gefertigten Stanzteilen oder verringertem Materialeinsatz. Gerade kleinere Hersteller könnten damit große Anschaffungskosten vermeiden und Flexibilität gewinnen. „Gleichzeitig könnten Maschinenbauer auf einer spezialisierten Onlineplattform ihre jeweiligen Angebote darstellen und so dem Endkunden ermöglichen, seine technischen Zeichnungsvorlagen direkt an den richtigen Hersteller zu senden“, sagt Kaiser.
BASF will mit der Digital-Farming-Lösung Xarvio den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln effizienter machen. So kann zum Beispiel die Xarvio-Scouting-App durch Fotoerkennung Unkraut und Krankheitsbedrohungen auf Feldern identifizieren. © BASF SE, Bosch
Als Pilot unter den deutschen Maschinenbauern gilt Heidelberg Druckmaschinen. Auch hier kann die Druckmaschine im Besitz des Herstellers verbleiben, bezahlt wird dann pro gedruckter Seite. Gerade in China gebe es auch für deutsche Maschinenbauer als Dienstleister Chancen, ist sich Kaiser sicher. „Kleinere private Hersteller scheuen häufig große, langfristige Anschaffungskosten“, sagt der Berater. „Sie denken in kürzeren Zeiträumen.“
In China vermarkten daher bereits seit Jahren die sogenannten Energy Saving Companies (Esco) Energieeinsparung als Dienstleistung relativ erfolgreich. Sie finanzieren beispielsweise energiesparende Pumpen, Motoren oder Beleuchtungskonzepte für Unternehmen. Mit den eingesparten Energiekosten wird das Esco dann monatlich bezahlt. Auch Schneider Electrics, Johnson Controls, Honeywell International oder Siemens arbeiten chinesischen Pressemeldungen zufolge bereits mit diesem Geschäftsmodell.
»Unsere Kunden erwarten, dass wir nicht nur Produkte wie Dünger oder Pflanzenschutzmittel anbieten, sondern sie auch mit Know-how unterstützen.«
Robert Racz,
Head of Agricultural Solutions Nordic bei BASF
Smarte Landwirtschaft in Dänemark
Digitale Infrastruktur und digitale Akzeptanz gelten als Katalysatoren auf dem Weg in die Dienstleistungsgesellschaft der Zukunft. Auch Dänemark geht hier mit gutem Beispiel voran. Bereits heute stellen Dienstleistungen laut Eurostat mehr als drei Viertel der Wertschöpfung der dänischen Wirtschaft. Vor allem für digitale Services sind die Voraussetzungen sehr gut: Hier rangieren die Dänen seit Jahren an der Weltspitze.
Dank des hohen öffentlichen Vertrauens und einer langen Tradition von Datentransparenz sehen die Dänen Datenschutz viel pragmatischer als die Deutschen. Amtliche Geschäfte laufen längst elektronisch. Ärzte helfen bei kleinen Wehwehchen über E-Health-Lösungen. Bezahlt wird mit Karte oder via App: Die Dänen bezahlen nur jeden fünften Einkauf bar, in Deutschland sind es 80 Prozent.
Auch traditionelle Industriebranchen nutzen digitale Möglichkeiten. So bietet der Ludwigshafener Chemiekonzern BASF beispielsweise die Digital-Farming-Lösung Xarvio an. Aus dem reinen Verkauf von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln ist ein Dienstleistungspaket für die moderne dänische Landwirtschaft geworden. Xarvio wertet mit künstlicher Intelligenz etwa Satellitenbilder aus, schätzt Risiken ein, gibt Empfehlungen zum Nährstoffmanagement oder beobachtet das Pflanzenwachstum. Der moderne Landwirt kann zudem dank -Smartphone und einer App Unkraut und Krankheiten erkennen oder Blattschäden analysieren lassen.
„Unsere dänischen Kunden erwarten, dass wir nicht nur Produkte wie Dünger oder Pflanzenschutzmittel anbieten, sondern sie auch mit Know-how unterstützen“, sagt Robert Racz, Head of Agricultural Solutions Nordic bei BASF. „Die wachsende Zahl der Xarvio-Nutzer verbessert nicht nur deren Ernte, sondern leistet durch den gezielten und somit effektiveren Einsatz chemischer Wirkstoffe einen Beitrag zum Umweltschutz.“ Nicht nur die Dänen erwarten Dienstleistungen. Der Trend umspannt vielmehr die ganze Welt – und macht die Warenwirtschaft zum Auslaufmodell.
Gut zu wissen
Mehr Informationen rund um Dienstleistungstrends gibt es beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie.
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