August 2019
Autor: Axel Simer
An den ersten Auftrag aus Österreich kann sich Till Schneider noch gut erinnern. Der deutsche Architekt und seine Kollegen von Schneider + Schumacher aus Frankfurt am Main hatten nicht einmal ein Partnerbüro, geschweige denn einen eigenen Standort im Land, als die österreichische Firma Fronius sie zum Wettbewerb um die Planung des neuen Forschungs- und Entwicklungszentrums einlud. „Wir konnten einen Schreibtisch in der Wiener Niederlassung von Bollinger und Grohman hinstellen“, sagt Schneider. „So fing alles an.“ Seit einigen Jahren gibt es nun auch Schneider + Schumacher Wien mit rund zehn Mitarbeitern.
Die Geschichte, die Schneider beim Deutsch-Österreichischen Architekturtag im Mai erzählt hat, ist eine Ausnahme: Deutsche Architekten zieht es bisher nur selten ins Ausland. Dies hat eine Umfrage ergeben, die Hommerich Forschung im Jahr 2016 durchgeführt hat. Die Umfrage ergab, dass sich von den rund 41.000 deutschen Architekturbüros nur neun Prozent mit Projekten im Ausland befassen. Zwei Drittel von ihnen sind in Europa engagiert, ein Drittel auch auf anderen Kontinenten.
Obermeyer
Der Spezialist
Öffentlicher urbaner Raum ist in China rar. Der neueste Trend ist deshalb der Bau in die Tiefe – besonders in heißen Städten, in denen sich keiner gern draußen bewegt. Für den neuen Stadtteil Guanggu der Elf-Millionen-Metropole Wuhan plant die deutsche Ingenieurfirma Obermeyer China jetzt ihre dritte Untergrundstadt im Land. Auf 500.000 Quadratmetern Bruttogeschossfläche mit bis zu fünf unterirdischen Stockwerken sind die darüberliegenden Wohn- und Bürotürme fußläufig und verkehrsfrei miteinander verbunden. Überdies sorgen zwei U-Bahn-Linien und ein Hochgeschwindigkeitsbahnanschluss für optimale Konnektivität. „Unsere erste Untergrundstadt Guangzhou haben wir in einem internationalen Wettbewerb gewonnen“, sagt Jürgen Kunzemann von Obermeyer China in Beijing. „Jetzt werden wir aufgrund unserer Referenzprojekte eingeladen.“
von Stefanie Schmitt, GTAI Beijing
© Obermeyer China, www.obermeyer-cn.com
Mehrheit der Planer bleibt in Europa
Und fast die Hälfte aller Architekten, die sich in Europa nach lukrativen Projekten umsehen, tut dies – wie Schneider + Schumacher – in Österreich und der Schweiz. Als interessant gelten ferner Frankreich, Spanien, Luxemburg und Italien. Unter den Überseemärkten steht mit einigem Abstand China im Fokus vor den USA und Indien. Der chinesische Markt besticht allein durch sein schieres Bauvolumen. Seit Jahren wird in keinem Land der Welt so viel gebaut wie in China. 2019 wird sich die Branche der Vier-Billionen-US-Dollar-Grenze nähern.
Ralf Niebergall, Vizepräsident der Bundesarchitektenkammer und dort zuständig für Internationales, kennt die deutsche Architektenseele. Seinen Kollegen ist es wichtig, nah am Auftraggeber zu sein, das gleiche kulturelle Verständnis zu haben wie ihre Kunden und die Marktbedingungen zu kennen. Deutsche Architekten suchen Projekte, die sie mit überschaubarem Aufwand von ihrer Niederlassung im Heimatland aus abwickeln können. „Das sind Faktoren, die den Blick natürlich in Richtung der unmittelbaren Nachbarländer gehen lassen“, sagt Niebergall. „Auch den von größeren Büros, die natürlich globaler aufgestellt sind.“
Niebergall sieht auch in anderen Ländern gute Chancen für deutsche Architekten: Indien sei natürlich ein riesiger Markt, bislang aber auch sehr stark von Abschottung geprägt. Er rät, auch die kleineren südostasiatischen Länder nach wie vor nicht aus den Augen zu verlieren. „Dort sehe ich noch ein nicht ausgeschöpftes Potenzial.“ Viele europäische Länder wie Portugal, Spanien und Frankreich bleiben aus seiner Sicht interessant, auch Norwegen und die osteuropäischen Staaten.
Uli Seher
Der Netzwerker
Frankreich bietet eine Fülle faszinierender Projekte etwa über Architekturwettbewerbe in der Großregion Paris. Deren Gesicht wird sich durch den massiven Ausbau der Metronetze in den kommenden Jahren völlig verwandeln. Aber: „Ohne lokalen Partner ist der Markt für deutsche Architekten schwierig zu erschließen“, sagt Uli Seher. Er ist seit mehr als 20 Jahren als deutscher Architekt außer in Köln auch mit eigenem Büro in Paris vertreten. BRS Architectes Ingénieurs arbeitet unter anderem mit dem Stararchitekten David Chipperfield an der Umwandlung der alten Präfektur im Herzen von Paris zu einer Mischnutzung mit Wohnungen, Hotels, Büros, Markthalle und Handelsflächen.
von Peter Buerstedde, GTAI Paris
© bloomimages
In China sind Spezialisten gefragt
Das Netzwerk Architekturexport Nax fördert die Auslandsaktivitäten deutscher Architekten. Dazu organisiert das Nax beispielsweise Delegationsreisen, wie 2018 nach Shanghai und Beijing. Für 2019 steht erneut eine Reise nach China auf dem Programm. Das Reich der Mitte lockt mit vielen großen und sehr großen Projekten. „China baut landesweit neue Messezentren, Museen und Sportstätten“, weiß Stefanie Schmitt, GTAI-Korrespondentin in Beijing. „Insbesondere bei prestigeträchtigen Projekten kommen immer wieder auch deutsche Firmen zum Zug.“ Die anhaltende Urbanisierung des Landes führt zu einer großen Zahl von Aufträgen. Beispielsweise der Bau der Beijinger Vorstadt Tongzhou für 1,3 Millionen Einwohner oder die Entwicklung von Xiong’an zur Smart City, wofür 1,5 Billionen US-Dollar kalkuliert sind.
Gerade in China können deutsche Architekten mit Spezialwissen punkten. Industrieanlagen würden dort wegen ihrer Emissionen aus den Innenstädten verbannt, Millionenstädte müssten sich abseits der Hot-Spot-Metropolen neu erfinden, erklärt Experte Niebergall. „Die Entwicklung geht weg von den Gründungen neuer Ansiedlungen aus dem Nichts hin zur Revitalisierung bestehender Städte.“ Weil deutsche Architekten viel Erfahrung aus der Konversion militärischer oder industrieller Areale mitbringen, etwa im Ruhrgebiet, sei ihre Expertise hochgeschätzt, sagt er. „Die Dimensionen sind freilich häufig um ein Vielfaches größer.“
Kadawittfeldarchitektur
Der Preisträger
Auch ohne Büro vor Ort ist Kadawittfeldarchitektur aus Aachen in Österreich erfolgreich. Für den Totalumbau des denkmalgeschützten Salzburger Hauptbahnhofs räumten die Architekten gleich mehrere Preise ab: etwa den Staatspreis Design 2013 und den Architekturpreis Land Salzburg 2016. Den Auftrag erhielten sie als Gewinner eines Architekturwettbewerbs der Österreichischen Bundesbahn. „Wir sind in Österreich auf größere Projekte spezialisiert und haben gar nicht vor, einen eigenen Standort zu eröffnen“, sagt Geschäftsführer Dirk Lange. „Mit unseren Projekten wie dem Salzburger Hauptbahnhof oder dem Salzburger Messezentrum hat das sehr gut funktioniert.“
von Axel Simer, GTAI Bonn
© Angelo Kaunat
Den Deutschen eilt ihr Ruf voraus
Jedes Jahr organisiert das Nax einen deutschen Gemeinschaftsstand auf der weltgrößten Immobilienmesse Mipim im französischen Cannes. „Die Mipim ist für uns die ideale Veranstaltung, um Architekten mit Stadtplanern, Stadtentwicklungsgesellschaften und Investoren aus aller Welt in Kontakt zu bringen“, erklärt Nax-Koordinatorin Claudia Sanders. „Zudem gewinnen unsere Teilnehmer regelmäßig die prestigegeladenen Mipim-Awards.“ 2019 gab es mit Sauerbruch Hutton Architects sowie Schneider + Schumacher gleich zwei deutsche Preisträger. Auf einer Messe wie der Mipim in Kontakt mit ausländischen Investoren zu kommen, ist nicht schwierig, denn den Deutschen eilt ihr guter Ruf voraus. Architekten aus Deutschland, sagt Niebergall, fühlten sich nicht nur für ihre Planung verantwortlich, sondern schuldeten ihrem Bauherren ein mangelfreies Gebäude. „Sie stehen also in der langen Tradition des Baumeisters. Das ist in vielen anderen Ländern nicht so.“ Besonders dort, wo die Bauqualität oft zu wünschen übrig lässt, schätzten Bauherren eine unabhängige Begleitung und Überwachung.
Meist kommt ein Architekt zum Zuge, wenn er einen Architekturwettbewerb gewinnt. „Fast alle unsere Aufträge waren Wettbewerbsgewinne“, sagt Dirk Lange von Kadawittfeldarchitektur. Ähnlich ist es bei Nickl & Partner aus München. Das Unternehmen ist im Krankenhausbau mittlerweile eine internationale Größe und baut derzeit in China, Frankreich und Indonesien. „Unsere Aufträge akquirieren wir zum überwiegenden Teil aus Vergabeverfahren und Wettbewerben“, sagt Firmenchef Hans Nickl.
»Wo die Bauqualität oft zu wünschen übrig lässt, sind deutsche Architekten gefragt.«
Claudia Sanders
Koordinatorin des Netzwerks Architekturexport Nax
Oft ist es sinnvoll, gemeinsam mit einem lokalen Partner an solchen Wettbewerben teilzunehmen, der mit örtlichen Besonderheiten vertraut ist. Äußerst hilfreich sind Referenzprojekte. Konstantin Jaspert, Gesellschafter bei JSWD Architekten in Köln, erinnert sich an seinen ersten Auftrag aus der Schweiz: Der Generalunternehmer hatte ihn und seine Kollegen eingeladen, bei einem Wettbewerb für ein Bürogebäude im Stadtentwicklungsprojekt Green City mitzumachen. „Das war das erste Mal, dass wir an einem Wettbewerb in der Schweiz teilgenommen haben“, sagt Jaspert. Er vermutet, dass er nur eingeladen wurde, weil das Büro über profunde Erfahrung im Segment Arbeitswelten und Büro verfügt und gute Referenzen vorweisen konnte.
Auslandsengagement geht aber auch andersherum. Im Februar 2019 gewann Schneider + Schumacher Wien den Wettbewerb für bezahlbares Wohnen am Frankfurter Hilgenfeld – direkt vor der Nase des Frankfurter Stammhauses.
Plan Srl
Der Marktkenner
Als sich die Drogeriekette DM 2017 entschied, nach Italien zu expandieren, benötigte sie einen Partner mit technischem Know-how, um ihr Konzept an die italienischen Normen anzupassen und die Planung neuer Filialen zu betreuen. Ein Fall für den deutschen Architekten Thorsten Baecker, der mit Plan Srl ein Büro im italienischen Mailand gegründet hat. Dort steht er deutschen Kunden als italienerfahrener Kontaktarchitekt vor Ort zur Seite, der über Sprach- und Bürokratiebarrieren hinweghilft. Mittlerweile hat DM ein Netz von 26 Filialen in Italien eröffnet – acht durch Plan Srl.
von Oliver Döhne, GTAI Mailand
© Plan SRL
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