Globaler Wettbewerb:
Kräfte messen
Eine GTAI-Analyse zeigt, dass Deutschland nur noch Dritter beim Weltexport ist, aber Spitzenpositionen in wichtigen Branchen hält, wie China zum neuen Exportweltmeister aufsteigen konnte, wer die anderen Angreifer sind. Und was deutsche KMU aus alldem lernen können.
Oktober 2022
Autoren:innen: Marcus Hernig, Christina Otte, Katharina Viklenko
Wer die neuen Machtverhältnisse auf den Weltmärkten verstehen will, sollte einen Blick nach Genf werfen. Dort residiert hinter den Glasfassaden eines Hochhauses in der Innenstadt die Internationale Fernmeldeunion (ITU), eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen. Dutzende Studiengruppen erarbeiten in der ITU die Standards und Normen für das digitale Zeitalter. Eine aktuelle Studie des American Enterprise Institute warnt: Die Volksrepublik China will hier, in der beschaulichen Schweiz, nicht weniger als die Standards des Internets verändern.
Markets International im Abo – dauerhaft kostenlos!
Unser Magazin als Print oder PDF-Version versorgt Sie mit den Insiderinformationen der GTAI zu Export und Außenhandel. Werden Sie jetzt Abonnent!
Hier anmelden!
Seit März 2022 diskutieren internationale Forscher über einen Vorstoß der chinesischen Unternehmen Huawei, China Unicom, China Telecom und dem Ministerium für Industrie und Informationstechnik der Volksrepublik: Die Chinesen möchten das Internetprotokoll IPv6 erweitern und als New IP oder als IPv6+ neu standardisieren. Ihr Argument: So könnten viele autonome Netze die Bandbreite des World Wide Web entlasten, und datenintensive Anwendungen wie die des Internet of Things (IoT) wären leichter zu realisieren. Allerdings lassen sich autonome, geschlossene Netze auch weit besser kontrollieren. Sollte Chinas Vorschlag sich als neuer Standard weltweit durchsetzen, wäre das Prinzip des freien Internets Geschichte.
Der Vorstoß macht deutlich: Die Volksrepublik versucht, immer stärker international Standards zu setzen, um ihren Unternehmen Wettbewerbsvorteile zu verschaffen. Und: China wird unberechenbarer. Vor dem Hintergrund der steigenden geopolitischen Spannungen und der Zuspitzung des Konflikts in der Taiwanstraße hat das eine neue Dimension erreicht – umso wichtiger ist es, den starken Wettbewerber genauestens zu kennen.
PHARMAZEUTISCHE INDUSTRIE
Deutschland, die Schweiz und Irland sind die drei größten Exporteure von Arzneimitteln mit einem wertmäßigen Anteil am Weltexport von fast 40 Prozent 2020. Bei der Ausfuhr forschungsintensiver Güter nimmt die Bundesrepublik eine Spitzenposition ein. Antibiotika, Grundstoffe und Vorprodukte stammen jedoch häufig aus Asien, hauptsächlich aus Indien und China.
Medikamentenlager einer Apotheke. Je komplexer das pharmazeutische Produkt, desto eher kommt es aus Europa. © Keystone Schweiz/laif
Germany Trade & Invest (GTAI) hat die globale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Exporteure im Vergleich zu Konkurrenten auf dem Weltmarkt untersucht. Die Analyse zeigt: Die globalisierte Wirtschaft hat sich verändert. Deutschland selbst ist noch Dritter beim Weltexport, in immer mehr Industrien ist China dabei, zu überholen – oder hat es bereits getan. Die Gründe für diese Entwicklung sind vielfältig.
Es gibt dabei gute und auch schlechte Nachrichten. Die gute: In wichtigen Branchen nimmt die deutsche Außenwirtschaft weiter Spitzenpositionen ein. Die schlechte: Nicht nur China ist zu einem ernst zu nehmenden Wettbewerber aufgestiegen, auch andere Volkswirtschaften bringen sich in Stellung. Südkorea hat sich in die Top Ten der größten Exportnationen vorgearbeitet, die Staaten Südostasiens, allen voran Vietnam, gehören ebenfalls zu den Aufsteigern. „Weitere Volkswirtschaften der Region werden in Zukunft an Bedeutung gewinnen“, prophezeit Achim Haug, Bereichsleiter Ostasien bei GTAI und Mitautor der Exportanalyse: Das gelte zum Beispiel für Indonesien oder Thailand. „Auch Südamerika haben deutsche Exporteure bisher noch kaum auf dem Radar.“ Aus Haugs Sicht zu Unrecht.
Expertinnen und Experten von Germany Trade & Invest (GTAI) haben die weltweiten Exporte in deutschen Schlüsselindustrien untersucht: die Elektro- und die Digitalindustrie, Chemie, Maschinenbau sowie Automobilindustrie. Dazu haben sie aktuelle Außenhandelsstatistiken ausgewertet und Fachleute aus Branchenverbänden befragt.
Ergebnis: Der Wettbewerb auf internationalen Märkten wird schärfer, insbesondere China hat Marktanteile gewonnen.
In den Jahren 2003 bis 2008 war Deutschland Exportweltmeister mit einem Anteil von mehr als neun Prozent am globalen Handel. Doch China übernahm im Jahr 2009 den Titel und hat seinen Weltmarktanteil seitdem auf inzwischen rund 15 Prozent kontinuierlich ausgebaut. In immer mehr Branchen werden Unternehmen aus dem Reich der Mitte zu den größten Konkurrenten für die deutsche Wirtschaft. Die USA liegen als größte Volkswirtschaft inzwischen beim Export leicht vor Deutschland, während Japans Weltmarktanteil in den vergangenen beiden Jahrzehnten stark gesunken ist – auf 3,7 Prozent im Jahr 2020.
Die Studie zur globalen Wettbewerbsfähigkeit finden Sie unter: www.gtai.de/wettbewerb
Deutsche Autobauer bleiben top!
Deutschlands Autoindustrie, die Vorzeigebranche der deutschen Wirtschaft, ist immerhin noch die globale Nummer eins. Stand jetzt exportiert die Bundesrepublik so viele Autos und Autoteile wie kein anderes Land der Welt, der Anteil an den globalen Ausfuhren ist in den vergangenen Jahren nahezu konstant geblieben. Deutsche Autobauer haben zudem die Produktion in Schwellenländern wie China, Indien, Mexiko und Brasilien ausgebaut. Berücksichtigt man diese Auslandsfertigung, steht Deutschland sogar noch besser dar.
Die deutschen Ausfuhren der Elektro- und Digitalindustrie halten sich ebenfalls vergleichsweise gut. Chinas Aufstieg ging hier vor allem zulasten Japans und der Vereinigten Staaten, so die Analyse von GTAI. Trotz neuer Konkurrenten hat sich Deutschlands Exportanteil an den weltweiten Branchenausfuhren 2020 im Vergleich zu 2000 wenig bewegt und bei sechs bis etwa sieben Prozent gehalten. In der Elektromedizin konnten deutsche Branchenunternehmen ihren Exportmarktanteil sogar steigern und auch Mess-, Kontroll- und Prüfinstrumente made in Germany können sich auf dem Weltmarkt weiter behaupten.
Bei forschungsintensiven Arzneimitteln konnte Deutschland innerhalb von 20 Jahren Marktanteile sogar ausbauen. Umgerechnet jedes siebte Pharmaprodukt weltweit stammt heute aus Deutschland. Bei Wirkstoffen und Antibiotika hat hingegen China die Nase vorn, ein Großteil der weltweiten Exporte stammt aus der Volksrepublik.
»China hat seine Planbarkeit verloren«
Jörg Wuttke, Präsident der Europäischen Handelskammer in Beijing erklärt im Interview mit Markets International, wie sich das Chinageschäft für deutsche Unternehmen verändern wird.
Im Bereich Chemie ist Deutschland in der gesamten Branche weltweit führend. Chinesische Anbieter haben ihren Anteil an der globalen Chemieausfuhr aber vervierfacht, China ist mittlerweile nicht nur der größte Chemiemarkt, sondern auch der mit Abstand größte Produktionsstandort. Im Juni 2022 gab BASF die endgültige Genehmigung für einen Verbundstandort in Südchina – mit zehn Milliarden Euro die größte Einzelinvestition der Firmengeschichte, der Bau läuft bereits.
Im Maschinen- und Anlagenbau hat Deutschland im Jahr 2020 erstmals den Exportweltmeistertitel an China verloren. Unter anderem mit staatlicher Hilfe haben Unternehmen der Volksrepublik die Technologielücke zu ausländischen Wettbewerbern deutlich verringert. Neben einfachen Maschinen und Standardprodukten holen sie selbst bei Hightechlösungen und im Premiumsegment auf. Bei einigen Untersegmenten sind deutsche Anbieter, gemessen am weltweiten Handel, aber weiterhin führend wie bei Nahrungsmittel- und Verpackungsmaschinen, Landtechnik, Reinigungssystemen, Druck- und Papiertechnik und Holzbearbeitungsmaschinen. Der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) schätzt zudem, dass mindestens jede dritte Maschine aus China von Unternehmen mit ausländischer Beteiligung stammt. Das heißt: Ausländische Unternehmen oder Joint Ventures haben sie in China gebaut.
VERPACKUNGSTECHNIK
Deutschland gilt als das Mutterland des Maschinenbaus und dominierte jahrelang die Märkte. Seit 2020 hat China die Krone auf dem Weltexportmarkt; größter Maschinenmarkt ist China schon länger. Aber in vielen Segmenten sind deutsche Hersteller weiter führend, zum Beispiel bei Anlagen für Nahrungsmittelverarbeitung und Verpackung. 1/3 der weltweiten Anteile sind „made in Germany“ und damit Weltspitze.
Dosen soweit das Auge reicht: Das Lager des Getränkedosenproduzenten Rexam Beverage Can Berlin ist prall gefüllt. © Polaris/laif
Die Gründe, warum deutsche Exporteure so erfolgreich Marktanteile halten, liegen auf der Hand, sagt der Ökonom Holger Görg. Erstens: „Exporte korrelieren mit Wirtschaftswachstum“, erklärt der Interimspräsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft. Eine große und stark wachsende Volkswirtschaft wie Deutschland exportiert eben auch entsprechend viel. Zweitens: Deutsche Exportfirmen verfügen über eine hohe Produktivität. „Das gilt insbesondere für Hidden Champions und Mittelständler“, sagt Görg. „Made in Germany steht für hohe Qualitätsanforderungen, das Preis-Leistungs-Verhältnis ist immer noch stimmig.“
Drittens ist der deutsche Exportmix günstig für das neue Spiel der Kräfte. Deutschland liefert insbesondere Vorprodukte und Anlagen, die andere Länder dann zum Aufbau der eigenen Industrie und von Produktionskapazitäten verwenden. „Dadurch profitieren deutsche Firmen in hohem Maße vom globalen wirtschaftlichen Aufschwung“, sagt Görg. Das gelte vor allem für die Kfz-Industrie sowie für den Maschinen- und Anlagenbau.
Doch die chinesische Konkurrenz ist auf dem Sprung. Beispiel Kfz-Branche: In dem für deutsche Autobauer wichtigsten Absatzmarkt schwächeln deutsche Luxusmarken bei Zukunftstechnologien wie der Elektromobilität. Künftig könnten gar E-Autos made in China auf den deutschen Markt kommen – der Export aus China heraus hat gerade erst begonnen.
RAUMFAHRT
China hat sich längst in die Riege der Topweltraumnationen eingereiht. Seit Jahren treibt das Land sein Weltraumprogramm voran: Der Yutu-2-Rover landete Anfang 2019 als erster auf der dunklen Seite des Mondes. Im Januar 2021 setzte der Rover Zhurong auf dem Mars auf. Weitere Mondmissionen sowie der Bau einer internationalen Forschungsstation sind in Vorbereitung. Das Satellitennavigationssystem von Beidou (BDS) mit 59 Satelliten ist seit dem Jahr 2020 in Betrieb. Am BDS der nächsten Generation wird geforscht, ebenso an der Integration von Navigation und Kommunikation.
Die Rakete Langer Marsch-5B Y2 startet vom chinesischen Weltraumbahnhof Wenchang. Die Chinesen spielen längst in einer Liga mit Amerikanern und Russen. © picture alliance/Xinhua News Agency/Ju Zhenhua1
Der Erfolg der Chinesen basiert vor allem auf einer konzertierten, von langer Hand geplanten, staatlichen Strategie. In ihrer Strategie „Made in China 2025“ hat die Volksrepublik bereits im Jahr 2015 zehn Schlüsselsektoren benannt, in denen sie führend werden will. Dabei ist die Überschneidung mit deutschen Kernbranchen groß. Technische Innovationen sind der wichtigste Hebel, zu besichtigen etwa beim Thema Normung. Während seiner Amtszeit hat der scheidende ITU-Generalsekretär Houlin Zhao aus China den politischen Einfluss Pekings innerhalb des weltgrößten Normenentwicklers für Telekommunikation deutlich vergrößert. China entsendet auch die meisten Mitglieder in dessen internationale Arbeitsgruppen. Über ihre Mitarbeit in der ITU wollen sie nationale Standards zu Globalstandards entwickeln.
Häufig füllen chinesische Vorschläge wichtige Lücken internationaler Normungsarbeit aus: Allein im Bereich künstlicher Intelligenz gibt es für 80 Prozent der chinesischen Standards noch keine internationalen Normen, weiß Betty Xu, abgeordnete Expertin der Europäischen Kommission für Normung in China (SESEC).
Die Wirkung ist enorm, denn internationale und nationale Standardisierungsorganisationen entwickeln die Empfehlungen der ITU weiter und setzen sie in dann bindende Normen für das jeweilige Land um: auch die Bundesnetzagentur in Berlin. Was die ITU an Standards für das Internet der Zukunft beschließt, könnte also bald schon in Deutschland zur Norm werden.
Die Volksrepublik verstärkt dafür systematisch die Zahl ihrer Experten nicht nur in der ITU in Genf, sondern auch in anderen internationalen Gremien wie der Internationalen Organisation für Standardisierung (ISO) und der Internationalen Kommission für Elektrotechnik (IEC). Die Firma Huawei spielt eine Schlüsselrolle: In der ISO brachte das Unternehmen zuletzt die meisten neuen Vorschläge ein und erhielt entsprechend auch die meisten Genehmigungen.
Noch setzen die Europäer die meisten technischen Standards, hat das Deutsche Institut für Normung ermittelt. 2021 haben sie 55 Prozent aller neuen technischen Normungsfelder in die ISO eingebracht. Nur 13 Prozent stammten von Chinas staatlichem Verband für Standardisierung (SAC). Doch chinesische Technologieexperten dominieren bereits die internationale Normungsarbeit für Testszenarien zum autonomen Fahren, und sie arbeiten an einer wichtigen Schnittstelle zwischen künstlicher Intelligenz und Automobilindustrie. China ist auf dem Weg, seine Entwicklungen im Technologiefeld Digitale Zwillinge, einem wichtigen Baustein von Industrie 4.0, zu einem ISO-Standard zu entwickeln. Digitale Zwillinge sind virtuelle Doppelgänger eines Objekts, eines Prozesses oder einer Situation. Der zweite Hebel der chinesischen Strategie: Die Führung der Volksrepublik greift ihren Unternehmen finanziell unter die Arme, wo sie nur kann – und wie. Daten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung weisen darauf hin, dass China einzelne Branchen über die Maßen subventioniert. Regierungsgelder fließen weiterhin maßgeblich in die zehn Schlüsselsektoren von „Made in China 2025“, das zeigt eine Analyse von Nikkei Asia vom Juli 2022.
Auch bei der Internationalisierung fördert die Volksrepublik Unternehmen stark, etwa mit Investitions- und Exportkreditgarantien. Im Rahmen der Seidenstraßeninitiative baut China weltweit Häfen, Straßen oder ganze Industrieparks. Die Aufträge gehen fast ausnahmslos an chinesische Anbieter, die nicht selten ihre eigenen Arbeitskräfte mitbringen und sich weder an soziale noch an Umweltstandards halten müssen. Das verschafft ihnen einen Wettbewerbsvorteil gegenüber westlichen Anbietern, die allenfalls als Zulieferer zum Zuge kommen.
Kommentar (1)
Trackbacks & Pingbacks
[…] Hier geht es zum Artikel. GTAI-Newsletter, 10.10.22 […]
Hinterlasse einen Kommentar
An der Diskussion beteiligen?Hinterlasse uns deinen Kommentar!