Juli 2018
Autor: Gerit Schulze
Am Prager Wenzelsplatz drücken sich ausländische Touristen an den Schaufenstern die Nasen platt: Öl, Seife und Schokolade aus Hanf. Natürlich enthalten sie den berauschenden Wirkstoff Tetrahydrocannabinol (THC) nur in mikroskopisch kleinen Mengen und machen keineswegs high. Doch das vielfältige Angebot zeigt, wie stark Hanf als Nutzpflanze in Tschechien auf dem Vormarsch ist. Selbst Hanfbeton, Holzlasur und Isolierstoffe aus Cannabis werden inzwischen hergestellt.
Auf fast 600 Hektar haben Landwirte die Nutzpflanze im vergangenen Jahr angebaut – und immerhin 466 Tonnen geerntet. Damit gehört Tschechien zu den führenden Anbauregionen von Cannabis. Und auch bei der Verarbeitung des krautigen Gewächses sind böhmische Unternehmen Vorreiter.
»Die Akzeptanz von Cannabis ist in Tschechien viel höher als in Deutschland.«
Martin Meinreiß
Deutscher Hanfverband Augsburg
„Tschechien hat noch aus der Zeit des Kommunismus unheimlich viel Wissen über die Hanfnutzung“, erzählt Vaclav Cerveny, der in München einen Hanfladen betreibt und überwiegend Produkte aus seiner alten Heimat bezieht. „Die Leute mussten sich damals zum Teil selbst versorgen. Da der Anbau von Hanf geduldet war, nutzten sie das aus.“ Heute profitiere Tschechien davon, dass die Ernte besonders ergiebiger Sorten kaum automatisiert werden kann und bei der Blütenlese viel Handarbeit nötig ist. „Das wäre in Deutschland gar nicht mehr zu bezahlen.“ Cerveny schätzt, dass bis zu 80 Prozent der in Deutschland verkauften Hanfprodukte über Umwege aus Tschechien kommen. „Bei Lebensmitteln und Kosmetik haben die dortigen Hersteller einen großen Vorsprung.“
Liberale Gesetzgebung hilft
Zum Cannabisboom trägt die liberale Gesetzgebung bei. „Der Besitz von bis zu zehn Gramm Marihuana oder fünf Gramm Haschisch wird strafrechtlich nicht verfolgt und gilt lediglich als Ordnungswidrigkeit“, erklärt Rechtsanwalt Stephan Heidenhain von der Prager Kanzlei bnt attorneys-at-law. Sogar der Anbau von bis zu fünf Hanfpflanzen mit höherem THC-Gehalt werde weitgehend toleriert. Ebenso könnten Ärzte Cannabisprodukte als Heilmittel verschreiben. Seit 2013 ist der Apothekenverkauf von medizinischem Hanf gegen Rezept möglich.
„Die liberale Haltung führt dazu, dass die Akzeptanz von Cannabis in Tschechien viel höher ist als in Deutschland“, meint Martin Meinreiß vom Deutschen Hanfverband Augsburg. Er ist Stammgast beim Cannafest in Prag, dem laut Veranstalter weltweit größten Branchentreff für die Hanfwirtschaft. „Die Messe dient uns als Schnittstelle zwischen Ost und West. Dort treffen wir Hersteller aus ganz Osteuropa“, sagt Meinreiß.
Auf der weltgrößten Hanfmesse, dem Cannafest in Prag, dreht sich alles um die Vielfalt einer Pflanze. Jedes Jahr kommen mehr als 250 Aussteller aus 25 Ländern.
©Cannafest
Prag könnte zu einem echten Hotspot für das künftige Milliardengeschäft mit Hanfprodukten werden. Die Moldaustadt ist Sitz des Internationalen Instituts für Hanf und Cannabinoide, in das Investoren aus den USA und Kanada rund 20 Millionen Euro gesteckt haben. Dort forschen Wissenschaftler an der Heilwirkung von Cannabis und entwickeln Medikamente und Salben.
Die Produktpalette der tschechischen Hanfverarbeiter ist aber viel größer und umfasst auch Lebensmittel, Baustoffe und Textilien. Das Unternehmen Annabis aus Olomouc etwa hat sich auf Kosmetik und Nahrungsergänzungsmittel mit Hanf spezialisiert, die bei Krampfadern, Gelenkschmerzen und Hämorrhoiden helfen. Geschäftsführer Robin Kazik schätzt das Marktpotenzial allein in Tschechien auf bis zu 20 Millionen Euro. „Die große Konkurrenz im Inland treibt uns voran“, sagt er. Annabis exportiert bereits in 20 Länder, nur im größten Nachbarland hat Kazik noch keinen exklusiven Distributor gefunden. „Deutschland ist sehr konservativ. Aber ich bin sicher, dass wir auch dort bald zu den Marktführern gehören werden.“
Ein breiteres Portfolio hat auch Hemp Production CZ aus Mittelböhmen. Das Unternehmen produziert Kekse, Speiseöl, Teigwaren, Kosmetik und sogar Holzlasuren aus Cannabis. Seit 19 Jahren baut es die Pflanzen zum Teil auf eigenen Feldern an. „Hinsichtlich des Sortiments an Hanflebensmitteln gehören wir zu den führenden Herstellern in Europa“, bekräftigt Firmengründer Vaclav Riha. Dabei arbeiten in der kleinen Werkhalle nur ein Dutzend Beschäftigte.
Um das Geschäft auszubauen, wären breitere Absatzkanäle nötig. Aber in den Supermärkten sind die Produkte von Hemp Production CZ bislang nicht zu finden. „Für die Handelsketten sind wir zu klein. Die brauchen ein bestimmtes Liefervolumen, das wir noch nicht schaffen können und das die Kundennachfrage noch nicht hergibt“, so Riha. Außerdem verlangten die großen Händler viel Geld für Regalplatzierung und Werbeaktionen. Hemp Production CZ konzentriert sich daher auf kleinere Abnehmer und auf seinen Onlineshop. Mit deutschen Partnern arbeitet das Unternehmen bei der Erntetechnik zusammen. Ein süddeutscher Geschäftspartner half dabei, einen Mähdrescher speziell für die Hanfernte umzubauen.
Allheilmittel Hanf
Typische Hanfprodukte aus Tschechien
Lebensmittel
Hanfsamen, Hanföl, Kekse, Teigwaren, Schokolade, Müsliriegel, Tee, Bier
Kosmetik
Hautcreme, Badesalz, Seife, Lippenpflege, Körperlotion, Mundwasser, Dusch- und Intimgel, Faltencreme
Medizin
Muskelsalbe, Massageöl, Franzbranntwein, Aknecreme, Hanfproteine, Schmerzmittel
Baustoffe
Holzlasur, Lacke, Isoliermaterial, Hanfbeton, Hanfplatten, Hanfseile
Textilien/Bekleidung
Handtücher, Schuhe, Beutel, Mützen, Socken, Hemden, T-Shirts, Blusen, Pullover, Futonmatratzen
Service & Kontakt
GTAI-Ansprechpartnerin Tschechien
Regina Wippler
+49 228 24 993 416
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