Im Kampfmodus

Die Covid-19-Pandemie hat den Druck auf die europäische Automobilindustrie enorm verschärft. Schaffen die Autobauer den Neustart aus der beispiellosen Krise?

August 2020
Autorin: Charlotte Schneider

Projektion mit Humor: Wie im ­Videospiel Pac-Man jagt das ­VW-Logo das Coronavirus. Bitterer Humor in Zeiten, in denen die Covid-19-Pandemie einer sowieso schon angeschlagenen Branche schwer zusetzt. © Ronny Hartmann/Getty Images

Die vergangenen Monate waren harter Tobak für die europäische Automobilindustrie. Die Internationale Automobilmesse IAA? Abgesagt. Die Autohäuser? Geschlossen. Die Produktion? Im Totalstopp. Die Covid-19-Pandemie hat die Mobilitätsbranche weltweit wie ein Erdbeben erschüttert – ohne Frühwarnsystem.

Aber schon vor Corona kriselte es: 2019 war ein schwieriges Jahr, immerhin schrumpfte der weltweite Pkw-Markt bereits das zweite Jahr in Folge. Allein auf dem größten Absatzmarkt China waren die Rückgänge immens. Volkswagen, Marktführer auf dem chinesischen Pkw-Markt, musste 2019 im Vergleich zum Vorjahr einen Absatzeinbruch von fast 25 Prozent verkraften. Auch in den USA schwächelte der Markt. Mit einem Minus von einem Prozent und 17 Millionen abgesetzten Fahrzeugen im Light-Vehicle-Segment, also Pkw und leichte Nutzfahrzeuge, war der Rückgang aber nicht so dramatisch.

Für die europäische Automobilindus­trie war 2019 zwar kein pechschwarzes Jahr, doch trotz Absatzplus von einem Prozent kriselte es schon gewaltig. Kopfschmerzen bereitete nicht nur der sinkende Absatz in China. Nachbeben der Dieselkrise, schleppende Elektrorevolution und ab 2021 drohende Strafzahlungen in Zusammenhang mit den CO2-Flottenzielen der Europäischen Union (EU) sorgten für schlaflose Nächte. Der Anfang 2020 von der Europäischen Kommission vorgestellte Green Deal verschärfte den Druck weiter. Auch die anhaltenden internationalen Handelskonflikte und die ungewisse Zukunft der deutsch-britischen Beziehungen mit ihren eng verflochtenen Produktionsnetzen über den Ärmelkanal hinweg vertieften die Sorgenfalten.

Angesichts des schwierigen Marktumfelds prognostizierte der europäische Automobilherstellerverband Acea Anfang des Jahres den ersten Rückgang beim Pkw-Absatz seit sieben Jahren. Um rund zwei Prozent sollte der Verkauf von Neuwagen in der EU 2020 nach Verbandsangaben schrumpfen. Und dann kam Corona.

Frankreich:

Kaufprämien ­sollen ­Lagerbestände abschmelzen

von Peter Buerstedde, GTAI Paris

Mit dem strikten achtwöchigen Lockdown in Frankreich gingen auch die Prognosen für den Automarkt in den Keller. Marktforscher erwarten nur eine langsame Erholung und 2020 insgesamt einen Einbruch von 30 Prozent. Die Industrie hat die Produktion seit Mitte April inzwischen langsam wieder hochgefahren. Aber bei Lagerbeständen von etwa 400.000 Fahrzeugen und einer schwachen Nachfrage weiß sie gar nicht wohin mit den Wagen. Daher hat die Regierung Ende Mai ein Hilfspaket mit einer vorübergehenden Anhebung von Kauf- und Verschrottungsprämien vor allem für Elektroautos aufgelegt. Da in den Lagern allerdings vor allem Benziner und Dieselwagen stehen, hat die Regierung die Abwrackprämie nun auf Verbrenner erweitert.


Bild: Ende Mai nahm Renault die Arbeit in seinem Werk in Sandouville wieder auf – nachdem die Produktionsbänder zwei Wochen lang komplett stillstanden. ©  Lou Benoist/Getty Images

Beispiellose Krise

Die Auswirkungen von Covid-19 treffen die europäische Fahrzeugindustrie mitten ins Mark. Etwa 1,1 Millionen direkt im Automobilbau tätige Arbeitnehmer waren bis Ende April von den Werksschließungen betroffen. Den Verlust infolge des europaweiten Shutdowns der Produktionsbänder beziffert Acea Anfang Juni 2020 bereits auf 2,4 Millionen Fahrzeuge – Tendenz: steigend. Im vom Brexit gebeutelten Vereinigten Königreich verließen laut britischem Automobilverband SMMT wegen umfangreicher Produktionsstopps im April gerade einmal 197 Autos die Werke – ein Rückgang um 99,7 Prozent.

Wie hart die europäische Autoindus­trie vom Virus getroffen wurde, zeigen auch die Absatzzahlen der ersten Monate 2020. In Europa wurden im ersten Quartal rund 26 Prozent weniger Neufahrzeuge zugelassen als noch im Vorjahreszeitraum – es war das zulassungsschwächste erste Quartal seit Anfang der 2000er-Jahre. Und es kam noch schlimmer: Durch die strengen Einschränkungen des öffentlichen Lebens brachen im April auch die Zulassungszahlen in einigen, vom Coronavirus stark betroffenen Ländern komplett ein. Spanien und Frankreich, nach Deutschland die größten Kfz-Hersteller in Europa, verzeichneten Zulassungseinbrüche von 97 beziehungsweise 89 Prozent.

Im Mai gingen die Coronafallzahlen langsam zurück – und die Bänder in Europa wurden vorsichtig wieder hochgefahren. Die Auswirkungen auf die Branche sind jedoch nachhaltig, Absatzmärkte sind weltweit weggebrochen. So verlängerte die französische PSA-Gruppe die Kurzarbeit in ihren spanischen Werken bis in den Sommer, aus organisatorischen und produktionstechnischen Gründen. Die Teileversorgung sei zwar gesichert, heißt es von dem Konzern, die erwartete Fahrzeugnachfrage allerdings zu gering. Bei anderen Autobauern läuft die Produktion gedrosselt – nicht zuletzt auch, um den Gesundheitsschutz der Beschäftigten sicherzustellen.

Laut Hildegard Müller, Präsidentin des deutschen Verbands der Automobilindustrie (VDA) hat die Branche „derzeit eine beispiellose Herausforderung zu meistern“. Eine Rückkehr zum Vorkrisenmodus bleibt für die europäischen Autobauer eine Herkulesaufgabe.

Polen:

Lieferketten werden umstrukturiert

von Niklas Becker, GTAI Warschau

Der Automobilsektor gehört in Polen zu den am stärksten von der Coronakrise betroffenen Branchen. Für die Ausfuhren des exportorientierten Sektors prognostizieren Experten in diesem Jahr einen Rückgang von 25 bis 33 Prozent. Der ökonomische Schock in der Branche wird voraussichtlich bis ins Jahr 2021 hineinreichen. Von der Coronakrise sind keinesfalls nur die Fahrzeughersteller in Polen betroffen. Die Produktionsbänder laufen zwar wieder, aber noch mit geringerer Auslastung. Die negativen Auswirkungen der niedrigeren Produktion könnten für die vielen Zulieferbetriebe im Land noch deutlicher ausfallen. Mittel- und langfristig könnten einige von ihnen allerdings von einer Umstrukturierung der Lieferketten europäischer Fahrzeughersteller profitieren. Zugute kommen der polnischen Kfz-Branche viele Neuansied­lungen ausländischer Produzenten aus dem Bereich der Elektromobilität.


Bild: Das Volkswagenwerk im polnischen Białężyce: Seit Dezember 2016 fertigt der Autobauer dort seine Crafter-Kleintransporter. Die Covid-19-Pandemie hat die polnische Automobilindustrie allerdings hart getroffen. ©  Woljtek Laski/Getty Images