Raus aus dem Schatten

Die Coronapandemie hat die prekäre Situation informell Beschäftigter noch einmal deutlich verschärft. Deutsche Unternehmen können sich engagieren – mit Nutzen für das Ausland und sich selbst.

Oktober 2022
Autor: Janosch Siepen

Der 18-Jährige Jimmy Buitrago arbeitet auf einer Zuckerrohrplantage in Kolumbien. In dem südamerikanischen Land verdienen die meisten Menschen ihr Geld informell. ©  The NewYork Times/Redux/laif

Eduardo hängt kopfüber in einem schwarzen Müllcontainer am Straßenrand des wohlhabenden Viertels El Chicó im Norden Bogotás. Seit fünf Stunden schon sammelt der 24-Jährige den Müll der kolumbianischen Hauptstadt ein – Flaschen, Kartons, Plastiksäcke. Die Arbeit ist schmutzig, seine Hose dreckig und zerrissen. Er klettert aus dem Container und wirft den Abfall in einen Holzkarren. Den zieht sein Kollege. 200 Kilo wiegt ihr Gefährt, schätzen die beiden, je nachdem, wie voll es ist. Sie gehen zügig am rechten Fahrbahnrand entlang, zwischen Taxis und Kleintransportern, Smog und Lärm überall. Auf dem Gehweg sitzen ein paar andere Sammler. Eduardo grüßt sie, hält einen kurzen Plausch, lacht. Dann zieht er weiter. Sein Tag ist noch lang. Zwölf Stunden täglich läuft Eduardo in seinen knallpinken Sportschuhen durch die Metropole, seit drei Jahren.

Pandemie hat die Situation verschärft

Er ist einer von rund 47.000 Wertstoffsammlern in Kolumbien und arbeitet informell. Das heißt, seine Arbeit wird weder staatlich erfasst noch kontrolliert. Er hat keinen Arbeitsvertrag und damit auch keine rechtliche und soziale Absicherung. Wie ihm ergeht es über 60 Prozent aller arbeitenden Menschen weltweit – rund zwei Milliarden Personen, so Zahlen der International Labour Organization (ILO).

Zwar sank die Informalität in den letzten zwei Jahrzehnten weltweit. Doch zeigt die Covid-Pandemie seit 2020 noch einmal, in welcher prekären Situation sich informell Arbeitende befinden. Viele Betroffene rutschten während der Pandemie weiter ab und konnten ihrer täglichen Arbeit als Tagelöhner, in nicht angemeldeten Geschäften oder als Straßenverkäufer kaum nachgehen. Ausgangsbeschränkungen und fehlende Arbeitsalternativen machten ihre Arbeit unmöglich. Vor allem die vielen kleinen Firmen, die den informellen Sektor dominieren, konnten lange Perioden ohne Geschäftsaktivität nicht überbrücken. So fiel die Zahl der informell Beschäftigten auf dem Höhepunkt der Pandemie im Jahr 2020 laut ILO weltweit um rund 20 Prozent.

Mit der Erholung der Arbeitsmärkte steigt nun auch erneut die Informalität auf ihr Vorpandemieniveau. Es fällt auf: Fast alle informell Beschäftigten arbeiten in Schwellen- und Entwicklungsländern wie Kolumbien, der überwiegende Teil in der Landwirtschaft. Gerade in Afrika, dem Nahen Osten und Asien sind die Zahlen besonders hoch. Das Ergebnis sind oftmals Volkswirtschaften mit niedriger Produktivität, geringen Steuereinnahmen und fehlender sozialer Absicherung. Die Gründe für Informalität sind vielfältig: Neben strukturellen Faktoren wie einem fehlenden rechtlichen Rahmen, kaum Anreizen, formal zu arbeiten, oder einem schwachen Arbeitsmarkt sind es vor allem auch individuelle Ursachen, die eine Rolle spielen. Junge Menschen in den jeweiligen Ländern haben keine ausreichende Qualifikation, Unternehmen kein Kapital und Ressourcen, um Personal angemessen auszubilden.

Wie zum Beispiel in Pune. In der westindischen Großstadt sind qualifizierte Schweißer Mangelware, wie das Unternehmen Lorch Schweißtechnik feststellen musste. Gleichzeitig haben viele Jugendliche ohne formelle Bildung kaum Chancen auf eine Ausbildung oder einen Arbeitsplatz. Um die Pattsituation aufzulösen, hilft meist nur Eigeninitiative weiter: Seit 2013 durchliefen mehrere Hundert Jugendliche eine Ausbildung zu Schweißern. In der Lorch-Don Bosco Welding Technology School of Excellence trainierte sie das Unternehmen nach aktuellen Standards und ähnlich einer dualen Ausbildung. Das baden-württembergische Unternehmen profitiert gleich doppelt: Es konnte nicht nur qualifizierte Arbeitskräfte gewinnen. Das Engagement wirkt sich auch verkaufsfördernd aus: Die Nachfrage nach Lorch-Produkten erhöhte sich.

Vielfältiges Engagement möglich

Die Auflösung der Informalität ist nicht nur aus ökonomischer und entwicklungspolitischer Perspektive sinnvoll. Denn ein hoher Grad an informeller Arbeit wirkt sich negativ auf die Entwicklung von Produktivität, Humankapital und das Wirtschaftswachstum aus. Auch für deutsche Unternehmen ist das Thema von Bedeutung – sei es für die Erschließung neuer Personalmärkte, die Außenwirkung der Firma oder ihre Positionierung in Auslandsmärkten.

Auch die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) hat sich des Themas angenommen. Im Rahmen des Programms Prevec (Programa de Empleos Verdes y Economía Circular) erarbeitet die GIZ gemeinsam mit ihren Partnern Strategien für die Kreislaufwirtschaft in ausgewählten Großstädten Kolumbiens. Dabei will sie laut Projektleiterin Sarah Hirsch auch dazu beitragen, dass der Status informeller Wertstoffsammler wie der von Eduardo aufgewertet und formalisiert wird. Die Formalisierung erhöht nämlich Stabilität und Planbarkeit für die Arbeitgeber und ermöglicht über formelle Aus- und Fortbildungsangebote eine stetige Kompetenzverbesserung sowie soziale Sicherheit für die Arbeitnehmer – und sei also auch im Sinne der Privatwirtschaft. „Deutsche Unternehmen können sich auf vielfältige Weise engagieren“, sagt Britta Lambertz, Expertin für Bildung und Arbeitsmarkt bei der GIZ. Ob duale Ausbildung, Trainings für betriebliche Ausbilder, Anerkennung von informeller oder formeller Qualifizierung oder Beauftragung von kleineren Zulieferern – die Möglichkeiten seien zahlreich.