Große Pläne
Ägyptens Wirtschaft kämpft mit finanziellen Engpässen. Doch für Großprojekte findet die Regierung immer Kapitalquellen. Wie deutsche Unternehmen beim Aufbau der Infrastruktur für die „Neue Republik“ helfen können.
Oktober 2022
Autor: Sherif Rohayem
Siemens liefert an Ägypten Schienen, Züge und Lokomotiven. „Damit verfügt das Land über das modernste Hochgeschwindigkeitsbahnnetz der Welt“, sagt Vorstand Roland Busch. © picture alliance/dpa/Sven Hopp
Bei Siemens arbeiten nicht nur gute Ingenieure, sondern offensichtlich auch vorzügliche Verkäufer. Nur wenige Tage, nachdem Ägyptens Premier Mustafa Madbulie die schlimmste Wirtschaftskrise seit 100 Jahren verkündete, erteilte seine Regierung dem deutschen Konzern den größten Auftrag in 175 Jahren Firmengeschichte: Für rund acht Milliarden Euro wird die Mobilitsparte von Siemens ein Bahnnetz bauen sowie Loks, Waggons und Schienentechnik liefern. Auf einer Strecke von 2.000 Kilometern werden dann künftig Hochgeschwindigkeitszüge Personen und Güter durch das ganze Land befördern.
Dass der deutsche Konzern die Finanzierung mitbrachte, dürfte ein wesentlicher Erfolgsfaktor bei den Verhandlungen gewesen sein – ebenso die langfristigen Geschäftsbeziehungen aus vorherigen Großprojekten. Außerdem holte das Unternehmen mit The Arab Contractors einen Partner aus dem öffentlichen Sektor und mit Orascom eine der größten Baufirmen Ägyptens mit ins Boot.
Auf mittelständische Unternehmen oder gar Neueinsteiger in den ägyptischen Markt ist dieses Erfolgsrezept in der gegenwärtigen Situation nur teilweise übertragbar. Mittlerweile sitzt das Geld in Kairo nicht mehr so locker. Investoren haben nach dem russischen Angriff auf die Ukraine ihr Kapital aus Ägypten abgezogen. Zudem kämpft die lokale Wirtschaft mit Liquiditätsproblemen.
Trotz Krise boomt der Bau
Allerdings ist dieser Befund vorläufig und ändert nichts an langfristigen Trends Ägyptens, etwa am stetigen Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum. Entsprechend gehen die Analysten von Fitch Solutions davon aus, dass die ägyptische Baubranche im nächsten Jahr um neun Prozent wachsen wird. Damit übertrifft der Sektor das gesamtwirtschaftliche Wachstum um mehr als das Doppelte. Wegen der knappen Kassen wird die Regierung zwar mehr denn je Prioritäten setzen – sich aber nach wie vor auf Großprojekte fokussieren. Und das nicht nur aus Marketinggründen, sondern auch aus einem gewissen Kontrollbedürfnis heraus: Zahlreiche dezentrale Projekte lassen sich eben schwerer überschauen als einige große.
So baut Ägypten zum Bespiel wegen der Wasserknappheit seine Kapazitäten zur Wiederverwertung von landwirtschaftlichem Abwasser und zur Meerwasserentsalzung aus. Beim Transport geht es darum, den Verkehr, der in Ägypten hauptsächlich auf der Straße stattfindet, auf die Schiene zu bringen. Neue Planstädte, die in der Wüste entstehen, sollen vor allem über die Bahn angebunden werden. Und im Energiebereich steht eine Partnerschaft mit der Europäischen Union an: Kurzfristig soll Ägypten Flüssiggas, mittelfristig Strom und langfristig grünen Wasserstoff liefern. Dies bekräftigte der ägyptische Präsident Abd al-Fattah as-Sisi gegenüber seinen deutschen Gastgebern jüngst im Rahmen des Petersberger Klimadialogs in Berlin.
Kurzum: Ägypten bietet ein weites Betätigungsfeld. Nicht nur für Konzerne wie Siemens, sondern auch für den deutschen Mittelstand. Außerdem ist der ägyptische Markt sehr unübersichtlich. Lokale Partner, die sich gut auskennen, sind daher nicht nur für Neueinsteiger ein wesentlicher Erfolgsfaktor. Zu finden sind sie unter anderem auf den großen Fachmessen.
Diese lokalen Partner helfen ausländischen Unternehmen zum einen dabei, für sie relevante Ausschreibungen zu entdecken. Man muss wissen: Öffentliche Vergaben werden häufig nur in lokalen Tageszeitungen beziehungsweise auf den zumeist nutzerfeindlichen Facebook- oder Webseiten der Ministerien in arabischer Sprache bekannt gegeben. Ist der Auftrag in der Tasche, bewahren die landeskundigen Helfer ihre Geschäftspartner davor, sich in eventuelle Fallstricke zu verwickeln. So verzichten ägyptische Auftraggeber bei Vertragsschluss scheinbar großzügig etwa auf die Einhaltung von Local-Content-Vorgaben. Was zunächst wie ein „freundliches Entgegenkommen“ aussieht, kann dem Geschäftspartner bei späteren Uneinigkeiten in Gestalt von „Verhandlungsmasse“ zum Verhängnis werden.
Know-how-Transfer erwünscht
Wer sich in Ägypten engagieren möchte, sollte zudem wissen: Reine Liefergeschäfte stoßen dort auf wenig Gegenliebe. Die ägyptischen Auftraggeber erwarten von ihren ausländischen Geschäftspartnern nämlich zusätzlich zum Gerät auch sichere Arbeitsplätze für Landsleute und den Transfer von Know-how. So berichtet etwa ein ägyptischer Berater im Wassersektor, dass er seinen Kunden gern zu spanischer Technologie rate. Seine Argumentation: Häufig würden die spanischen Partner Aftersales-Services vor Ort anbieten. Allerdings müssen Unternehmen wegen des Fachkräftemangels in Ägypten das dafür notwendige technische Personal in Eigenregie ausbilden.
Ein solcher Know-how-Transfer ist auch Teil des Bahnprojekts von Siemens. Es wird von einer Berufsbildungsinitiative flankiert. Die Deutsche Bahn bildet dabei lokale Kräfte zu Zugbegleitern, Lokführerinnen und Signaltechnikern aus. Ob darüber hinaus künftig auch alle anderen Ägypter Zugang zu diesem Teil der „Neuen Republik“ erhalten, werden die Preise für die Bahntickets zeigen.
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