Februar 2020
Interview: Josefine Hintze
Sie beraten Unternehmen rund ums Talentmanagement. Welche Herausforderungen sehen Sie konkret in der Personalbeschaffung in ausländischen Märkten?
Sich auf dem ausländischen Arbeitsmarkt zu orientieren, ist für die meisten deutschen Unternehmen eine Herausforderung. So sind die Hochschulabschlüsse mit unseren nicht so einfach zu vergleichen. Berufliche Ausbildungen im Ausland sind häufig nur theoretisch und nicht wie bei unserem dualen System mit hohem Praxisanteil versehen. Einige deutsche Firmen erwarten Deutschkenntnisse von dem Bewerber. Das schränkt den Kandidatenpool jedoch sehr ein. Es herrscht in vielen Ländern ein akuter Fachkräftemangel. Das macht die Personalbeschaffung nicht einfacher.
Deutsche, international bekannte Unternehmen sind immer noch interessant für Bewerber im Ausland, weil sie mit hohem Prestige in Verbindung gebracht werden. Allerdings ändert sich der lokale Arbeitgebermarkt. In China zum Beispiel, gibt es viele heimische Unternehmen, die Talenten attraktive Jobs und gute Gehälter sowie internationale Aufstiegschancen bieten. Nicht so bekannte deutsche Unternehmen haben es deshalb zunehmend schwerer, als attraktiver Arbeitgeber wahrgenommen zu werden. Eine gute Arbeitsgebermarke, die auch die Besonderheiten des jeweiligen Arbeitsmarktes berücksichtigt, ist deshalb ein wichtiger Erfolgsfaktor.
Und natürlich sind auch kulturelle Unterschiede auf dem ausländischen Arbeitsmarkt zu überwinden. Die Unternehmenszentralen in Deutschland wollen ihre etablierte Unternehmenskultur auf ausländische Standorte übertragen. Allerdings beinhaltet die Unternehmenskultur auch einen großen Teil der Heimatkultur. Da stößt das deutsche Verständnis von Macht, Leistung und professionellem Umgang auf ein anderes lokales Verständnis in den Tochterunternehmen. So kann es zu Missverständnissen und Unzufriedenheit auf Seiten des Unternehmens aber auch beim Mitarbeiter kommen. Kündigungen und Neubesetzungen sind dann leider an der Tagesordnung.
Welche Zielgruppen sind besonders schwer zu rekrutieren? Unterscheidet sich das im In- und Ausland?
Auch der Arbeitsmarkt ist mit der Digitalisierung globaler geworden. Deshalb herrscht bei IT-Fachkräften weltweit ein großer Bedarf. Auch Mitarbeiter in der Produktion arbeiten vermehrt IT-basiert. Hier mangelt es häufig an entsprechend qualifizierten Bewerbern, vor allem in Ländern ohne gutes berufliches Ausbildungssystem.
In den Schwellenländern ist es schwierig, Führungspositionen zu besetzen, weil es an Bewerbern mit dem entsprechenden fachlichen Knowhow und langjähriger praktischer Erfahrung mangelt. Führungspositionen werden deshalb häufig mit Managern aus dem Mutterland besetzt. Diese Expats bleiben jedoch nicht lange im jeweiligen Land und haben nicht selten Anpassungsschwierigkeiten. Unternehmen müssen sich deshalb um ihre lokalen Nachwuchsführungskräfte kümmern, sie rechtzeitig ausbilden und ihnen Karriereoptionen bieten. Auch, um sich als attraktiver Arbeitgeber zu positionieren.
In Ihrer Beratung sprechen Sie von „agilem Talentmanagement“, also davon, dass Personalbeschaffung flexibler und kundenzentrierter werden muss. Was meinen Sie damit konkret? Und wie können Unternehmen, die keine agile Organisationsstruktur haben, dennoch davon profitieren?
Agile Prinzipien auf die Personalbeschaffung zu übertragen bedeutet, die Arbeitsweisen an die komplexe und schnelllebige Arbeitswelt anzupassen. Jobprofile ändern sich ständig. Bewerber sind heute anspruchsvoller. Der klassische 08/15-Personalprozess wird vom Business oft als bremsend empfunden. Die Personaler müssen deshalb lernen, genau hinhören, was die einstellende Fachabteilung, aber auch der Bewerber brauchen, damit der Besetzungsprozess ein Erfolg wird. Hierzu analysiere ich mit meinen Kunden Schritt für Schritt ihren Rekrutierungsprozess. Anhand von Interviews mit den einstellenden Managern und den Bewerbern finden wir heraus, was diese an den einzelnen Stationen des Prozesses erleben, was stört und was hilft. Durch diese Customer Experience Journey kommen überraschende Erkenntnisse zutage, auf die die Personaler aus ihrer Innensicht allein nicht gekommen wären. Und damit kann der Personalbeschaffungsprozess so angepasst werden, dass er für alle Beteiligten zielführend ist. Eine solche Vorgehensweise kann jedes Unternehmen anwenden, unabhängig davon, ob mit agilen Methoden und in agilen Organisationsstrukturen gearbeitet wird. Es geht hier eher um eine agile Denkweise als um konkrete Methoden.
Anke Wolf, Geschäftsführerin bei Coaching & Consulting. © Julia Sellmann/laif
Welche Technologien treiben die Entwicklungen in der Personalbeschaffung? Was wird in fünf Jahren Standard sein?
Auch im Personalbereich heißen die Zukunftsthemen Big Data, Data Analytics und Künstliche Intelligenz. In der Personalbeschaffung kann das bedeuten, aufgrund von einer breiten Datenlage, zum Beispiel aufgrund von zahlreichen Bewerberdaten, Analysen zu fahren und daraufhin mithilfe von KI Schlüsse für z.B. eine Besetzungsentscheidung für eine Führungsposition zu ziehen. Natürlich sind Datenanalysen und erst recht datenbasierte Schlussfolgerungen nur so gut wie die zugrundeliegende Datenlage und außerdem benötigen sie eine Interpretation durch den Menschen. Unternehmen sind im Moment sehr daran interessiert zu verstehen, wie das Potenzial dieser neuen Technologie sinnvoll einzusetzen ist. Ziel ist, basierend auf der Datenlage zukünftig schneller und zuverlässiger Personalentscheidungen zu treffen und zugleich ethisch angemessen mit Daten umzugehen.
Welche Recruiting-Kanäle empfehlen Sie Unternehmen, die im Ausland nach Personal suchen?
Das kommt auf die Position an, die zu besetzen ist. Für Führungspositionen oder Positionen mit speziellem Anforderungsprofil bietet sich ein auf die Region spezialisierter Executive Searcher an. Aber auch dieser wird sich in den sozialen Netzwerken nach geeigneten Kandidaten umsehen. Generell ist Social Media sehr wichtig für die Personalsuche. Unternehmen müssen hier präsent sein. Eine gute Unternehmensdarstellung dort mit interessanten fachlichen Beiträgen aber auch Informationen zur Unternehmenskultur spricht außerdem auch Talente an, die zwar im Moment nicht aktiv einen Job suchen, aber grundsätzlich offen für Gespräche sind. Diese passiven Kandidaten sind ein wichtiger Kandidatenpool, insbesondere wenn gute Bewerber knapp sind.
Die Suche über persönliche Netzwerke wie zum Beispiel Mitarbeiterempfehlungsprogramme sind auch erfolgsversprechend. Insbesondere dann, wenn der Arbeitgeber im Land nicht bekannt ist, sind Referenzen durch zufriedene Mitarbeiter eine valide Informationsquelle für Jobsuchende. Post-and-Pray funktioniert schon lange nicht mehr. Wenn die Bewerber eine große Auswahl an Jobs haben, müssen die Unternehmen aktiv Talente ansprechen und ihnen unterschiedliche Möglichkeiten bieten, das Unternehmen kennen zu lernen.
Mehr zum Schwerpunkt:
»Personalsuche in China ist besonders herausfordernd.« – Interview Stefanie Wild, Head of Talent Acquisition Evonik
»Wir achten auf Soft Skills wie Selbstorganisation.« – Interview mit Anna Yona, Gründerin von Wilding Shoes
»Wir wollen die Lücke schließen.« – Interview mit Matthias Scheurich, Geschäftsführer bei Otto Fuchs Technology Shenyang
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