Asien und Amerika im Visier

Deutsche Agrargüter sind Exportschlager. Hans-Joachim Fuchtel, Staatssekretär im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL), erklärt, wie sich die Rahmenbedingungen entwickeln – und wie der Staat Exporteure unterstützt.

April 2021
Interview: Andreas Bilfinger

Deutsche Agrarprodukte genießen im Ausland einen hervorragenden Ruf und erfreuen sich großer Beliebtheit. © Ollo/Getty Images

Markets International: Die Agrarwirtschaft hat ein Imageproblem – zumindest im Inland. Viele Menschen in Deutschland haben das Gefühl, dass bei Agrarerzeugnissen vor allem auf Masse und nicht auf Klasse gesetzt wird. Ist das eine rein „interne“ Sichtweise und entspricht sie der Realität?

Hans-Joachim Fuchtel: Ich sehe kein pauschales Imageproblem, sondern eher die kommunikative Herausforderung, komplexe biologische und wirtschaftliche Prozesse, die unsere Land- und Ernährungswirtschaft kennzeichnen, sachlich fundiert und zugleich verständlich und vertrauensbildend zu vermitteln. Tatsache bleibt, dass die deutschen Verbraucherinnen und Verbraucher mit ihrem Kaufverhalten das Angebot unserer Agrar- und Ernährungswirtschaft maßgeblich bestimmen. Und fest steht auch, dass deutsche Agrargüter und Lebensmittel sich durch höchste Qualität auszeichnen. Dazu trägt auch unser hoher Standard im Bereich der Lebensmittelsicherheit bei. Hier liegen wir im weltweiten Vergleich in der Spitzengruppe.

Was für ein Image haben deutsche Agrarprodukte im Ausland?

Im Ausland genießen Agrarprodukte made in Germany einen hervorragenden Ruf und erfreuen sich großer Beliebtheit. Mit seiner hoch entwickelten Land- und Ernährungswirtschaft, die vergleichsweise zum Ausland mit hohen Arbeitskosten verbunden ist, exportiert der deutsche Agrar- und Ernährungssektor vorrangig Güter mit hoher Wertschöpfung. Der Anteil unverarbeiteter Agrarerzeugnisse liegt nur bei etwa zehn Prozent. Die rege Nachfrage im Ausland lässt sich auch mit Zahlen belegen. Nach einer leichten Eintrübung im Jahr 2018 im Zuge der Finanzkrise stiegen die Exporte von Gütern der Agrar- und Ernährungswirtschaft 2019 wieder deutlich an, und zwar auf einen Gesamtwert von rund 74 Milliarden Euro. Damit ist Deutschland weltweit drittgrößter Exporteur von Agrarprodukten.

Welche Bedeutung hat der Export von Agrar- und Ernährungsgütern für die deutsche Volkswirtschaft?

Agrarexporte sind für die Land- und Ernährungswirtschaft wie auch unsere gesamte Volks­wirtschaft von großer wirtschaftlicher Bedeutung. Im Durchschnitt der letzten Jahre machten die Agrarexporte knapp sechs Prozent der gesamten deutschen Ausfuhren aus. Die Exportquote der deutschen Ernährungsindustrie hat sich in den letzten Jahren kontinuierlich erhöht und betrug im Jahr 2019 knapp 34 Prozent. Damit wird auch klar, welchen Stellenwert der Export für die rund 4,7 Millionen Beschäftigten der überwiegend klein- und mittelständisch geprägten deutschen Agrar- und Ernährungswirtschaft sowie der ihr vor- und nachgelagerten Wirtschaftsbereiche hat. Dem Sektor kommt damit große volkswirtschaftliche Bedeutung zu, denn er sichert und schafft mit seiner Wertschöpfung zahlreiche Arbeitsplätze, insbesondere in den ländlichen Räumen.  Für die Funktionsfähigkeit unserer ländlichen Räume sind diese Arbeitsplätze unverzichtbar.

Was genau exportiert Deutschland?

Die bedeutendsten Warengruppen waren 2019 mit 10,2 Milliarden Euro Fleisch und Fleischwaren, dicht gefolgt von Milch und Milcherzeugnissen mit 10,1 Milliarden Euro sowie Getreide, Getreideerzeugnisse und Backwaren, auf die 8,9 Milliarden Euro ­entfielen. Auch Kakao und Kakaoerzeugnisse ­erfreuen sich bei einem Exportwert von 5,4 Milliarden Euro großer Beliebtheit. Mehr als drei Viertel aller Agrarexporte gingen 2019 in die Mitgliedstaaten der EU. Hauptzielländer unserer Agrarausfuhren sind die entwickelten Volkswirtschaften mit hohem Einkommen sowie aufstrebende Schwellenländer. In die Staaten Afrikas gingen 2019 weniger als zwei Prozent der deutschen Agrarausfuhren, in die am wenigsten entwickelten Länder nur etwa ein halbes Prozent.

Welche Auswirkungen hat die Corona­pandemie bislang gehabt?

Die bislang für 2020 vorliegenden Daten deuten darauf hin, dass die negativen Effekte der Coronapandemie bei den deutschen Agrarexporten deutlich geringer ausfielen als bei den Exporten insgesamt. Während von Januar bis November 2020 der Gesamtexport gegenüber der Vorjahresperiode um 10,3 Prozent sank, verringerte sich der Agrarexport nur um 1,6 Prozent.

Wo liegen die Absatzmärkte der Zukunft?

Bevölkerungswachstum und steigendes Pro-Kopf-Einkommen führen zu steigender Nachfrage nach Gütern der Agrar- und Ernährungswirtschaft. Länder, die eine solche Entwicklung zeigen, könnten künftig wichtige Absatzmärkte für die qualitativ hochwertigen Produkte der deutschen Agrar- und Ernährungswirtschaft werden. Besonderes Augenmerk gilt dabei den sogenannten BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) sowie Mexiko. Auch Länder, mit denen die EU Handelsabkommen geschlossen hat und die im regionalen Kontext als Handelsdrehscheibe agieren, bieten Wachstumspotenziale. Als Beispiel möchte ich Vietnam nennen.

Zur Person

Hans-Joachim Fuchtel ist seit 2018 Parlamentarischer Staatssekretär im
Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL). Das BMEL bietet für Exporteure Markterkundungsreisen, Informationsveranstaltungen und Marktanalysen.

Herstellung und Verarbeitung von Agrarprodukten sind heute in globale Prozesse eingebunden. So landet deutsche Milch als Joghurt in chinesischen Supermarktregalen, aus deutschen Schweinehälften werden Steaks auf philippinischen Straßengrills und Nordseekrabben werden in Indonesien gepult und re-importiert. Wie wichtig sind heute Informationen über Auslandsmärkte für Exporteure?

Sektor- und produktspezifische Marktinformationen sind zur Beurteilung der Marktchancen auf Auslandsmärkten unerlässlich. Neben dem Informationsangebot der GTAI und den Hilfestellungen seitens der deutschen Auslandshandelskammern hilft das BMEL hier in enger Abstimmung mit den Exportfachverbänden mit maßgeschneiderten Maßnahmen. Hierzu zähle ich etwa die regelmäßig durchgeführten Markterkundungsreisen, bei denen Unternehmen Gelegenheit gegeben wird, sich vor Ort über die spezifischen Marktbedingungen sowie ihre konkreten Marktchancen zu informieren. Ebenso fördert das BMEL in Bezug auf bestimmte Zielmärkte die Durchführung von Informationsveranstaltungen und die Erstellung von Marktanalysen. Diese beinhalten beispielsweise eine Übersicht über die Branchenführer sowie Informationen zur Markt- und Wettbewerbssituation, zu Vermarktungsstrukturen und potenziellen Geschäftspartnern, zur aktuellen Lage und zu Entwicklungstendenzen des jeweiligen Sektors.

Gerade im nicht-europäischen Ausland werden deutsche Produkte im Supermarktregal oft mit „made in Germany“ vermarktet. Wie lässt sich sicherstellen, dass das ein Qualitätsmerkmal bleibt?

Deutschland ist ein Hochlohnland. Und das bedeutet, dass wir nur mit hochveredelten und besonders hochwertigen Produkten international wettbewerbsfähig sind. „Billig“ können andere leichter. Hinzu kommen im Bereich der Agrar- und Ernährungsgüter die hohen Anforderungen an die Lebensmittelsicherheit der Produkte. All dies führt zu einem hohen Qualitätsniveau, das sich zu Recht „made in Germany“ nennen darf. Diesen Markenkern müssen wir nicht nur bewahren, sondern immer wieder aufs Neue selbstkritisch überprüfen und im Sinne eines aktiven Qualitätswettbewerbs weiterentwickeln. Denn „made in Germany“ ist in erster Linie ein Qualitätsversprechen, das jedes damit gekennzeichnete Produkt im globalen Wettbewerb immer wieder aufs Neue erfüllen muss.

Nahrungsmittel sind wie kein anderes Gut von Zöllen und nichttarifären Handelshindernissen geschützt. Kann die Welthandelsorganisation (WTO) noch einen fairen Handel durchsetzen oder sind angesichts der aktuellen Schwäche der WTO Regionalabkommen eine Alternative?

Ziel der WTO ist es, durch den Abbau von Zöllen und handelsverzerrenden Subventionen die Bedingungen für den internationalen Handel zu fördern. Bei Nahrungsmitteln, die ja unsere unmittelbare Lebensgrundlage sind, wollen sich viele Länder eine gewisse Ernährungssouveränität ­erhalten. Gleichzeitig gibt es Länder, die auf Nahrungsmittelimporte angewiesen sind, etwa Stadtstaaten oder Länder, die aufgrund ihrer landwirtschaftlichen Standortbedingungen oder fehlendem Know-how nicht genug eigene Nahrungsmittel produzieren können oder aber auch von Ernteausfällen und Missernten stark betroffen sind. Regionalabkommen sind keine Alternative, sondern ein wichtiger Baustein für die Ziele der WTO. Durch bilaterale oder regionale Handelsabkommen können die Zölle, Quoten und nichttarifären Handelshemmnisse maßgeschneidert auf die Bedürfnisse der Vertragsparteien abgebaut werden. Die WTO selbst kann mit ihren multilateralen Abkommen aber immer nur One-size fits-all-Lösungen bieten. Diese werden beim Abbau von Subventionen oder Exportrestriktionen gebraucht. Das sind auf der WTO-Agraragenda die Bereiche, die oben stehen und auf die wir setzen.

Wo gibt es die besten Aussichten für Abschlüsse?

Derzeit laufen Verhandlungen mit Australien und Neuseeland, denen wir sehr gute Aussichten einräumen. Diese Länder sind uns mit ihren demokratischen und gesellschaftlichen Werten sowie ihren hohen Umwelt-, Arbeits- und Sozialstandards sehr ähnlich. Dennoch gibt es hier im Agrarbereich sensible Punkte, etwa im Milchbereich, wo wir noch intensiv verhandeln müssen. Wir schauen natürlich auch mit Spannung auf die künftige Handelspolitik der USA. Es wird sich zeigen, ob Verhandlungen wieder aufgenommen werden können und an welcher Stelle die Europäische Kommission mit der neuen Regierung wird einsteigen können. Die Bundesregierung unterstützt auch Geist und Intention des EU-Mercosur-Assoziierungsabkommens. Angesichts der aktuellen Entwicklungen im Waldschutz und in der Walderhaltung – insbesondere in Brasilien – sehen wir mit Sorge, dass die Bedingungen für eine Unterschrift nicht gegeben sind. Vor einer möglichen Ratifizierung müssen alle Vertragspartner ihre Verpflichtungen aus dem Nachhaltigkeitskapitel ernst nehmen, was derzeit vor allem bei Brasilien nicht erkennbar ist.

Welche Unterstützung gibt es für kleine und mittelständische Unternehmen der Agrar- und Ernährungswirtschaft bei der Erschließung neuer Märkte?

Säulen der Exportförderung des BMEL sind das Programm des BMEL zur Förderung der Exportaktivitäten der deutschen Agrar- und Ernährungswirtschaft mit einem aktuellen Finanzvolumen von drei Millionen Euro pro Jahr sowie das Auslandsmesseprogramm (AMP) mit einem Finanzvolumen von 8,8 Millionen Euro. Ziel der Exportförderung des BMEL ist es vor allem, kleinen und mittelständischen Unternehmen der deutschen Agrar- und Ernährungswirtschaft den Eintritt in ausländische Märkte zu erleichtern. Im Rahmen unseres Auslandsmesseprogramms, das konsequent unter dem Label „Made in Germany“ steht, bieten wir kleinen und mittelständischen Unternehmen die Möglichkeit, auf zahlreichen Auslandsmessen mit BMEL-Beteiligung unsere dortige Kontaktplattform zu nutzen. So können deutsche Firmen neue Märkte kennenlernen, ihre Produkte testen und neue Geschäftskontakte knüpfen.

Wo liegen die Schwerpunkte beim Exportförderungsprogramm?

Klassische Schwerpunkte des Exportförderprogramms sind Unternehmerreisen zur Markterkundung und Geschäftsanbahnung, Maßnahmen zur Information deutscher Unternehmen sowie imagefördernde Maßnahmen. Zur Überwindung von ungerechtfertigten sanitären und phytosanitären Handelshemmnissen fördern wir darüber hinaus auch die Kontakte der zuständigen deutschen Behörden zu ihren ausländischen Partnern. Selbstverständlich sind auch Inspektionen ausländischer Behörden sehr wichtig. Hier können wir zeigen, dass wir die eigenen Anforderungen ebenso erfüllen wie mögliche spezielle Anforderungen der Zielländer.

Und wie funktioniert das jetzt unter Coronabedingungen?

Die mit der Coronapandemie einhergehenden Reisebeschränkungen beeinträchtigen leider auch die physische Durchführung vieler Maßnahmen. Das BMEL setzt deswegen in enger Absprache mit der betroffenen Wirtschaft dort, wo möglich und sinnvoll, verstärkt auf virtuelle Formate. Unsere bisherigen Erfahrungen und die Resonanz der Unternehmen mit diesen Formaten sind sehr positiv. Ich persönlich wünsche mir jedoch, dass wir in naher Zukunft wieder Austauschformate, die den persönlichen Kontakt ermöglichen, anbieten können.

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