Februar 2020
Interview: Stefanie Schmitt
Otto Fuchs engagiert sich seit vielen Jahren in der Facharbeiterausbildung für Industriemechaniker. Warum?
„Das hiesige Angebot an Arbeitskräften entspricht nicht unseren Anforderungen. Die existierende technische Ausbildung ist oft sehr theorielastig; Theorie und Praxis sind zu wenig miteinander verbunden. Außerdem werden für uns wichtige theoretische Grundlagen beispielsweise zur Hydraulik nicht vermittelt, und es fehlt an praktischer Erfahrung zum Beispiel bei der Bedienung von Maschinen. Diese Lücke wollen wir schließen.“
Wie finden Sie potenzielle Auszubildende und was tun Sie, um diesen Beruf für junge Chinesen attraktiv zu machen?
„Wir arbeiten seit vielen Jahren mit dem Shenyang Polytechnical College zusammen. Das ist eine riesige Berufsschule mit insgesamt rund 14.000 Auszubildenden. Das College schlägt uns jedes Jahr 20 bis 30 seiner Schüler vor, aus denen wir dann unsere Kandidaten auswählen. Das ist für uns sehr effektiv, weil das College bereits eine Vorauswahl an guten Auszubildenden trifft – und die Kandidaten kommen sehr gerne zu uns, weil sie für sich große Vorteile sehen: eine fundierte Ausbildung bei einem deutschen Unternehmen und die Möglichkeit, Englisch zu lernen. Denn unser deutscher Ausbilder spricht nur wenig Chinesisch.
Darüber hinaus tun wir viel für die Mitarbeiterbindung. Wir veranstalten zum Beispiel Company Outings oder planen Familientage. Denn ein Gutteil der Ausbildung in China ist `elterngetrieben´. Deshalb ist es wichtig, die Eltern der Auszubildenden von der Wertigkeit einer Berufsausbildung zu überzeugen und mit ins Boot zu holen.“
Matthias Scheurich, Geschäftsführer bei Otto Fuchs Technology in Shenyang. © OTTO FUCHS Technology (Shenyang) Co., Ltd
Welche Herausforderungen sehen Sie mit Blick auf den Arbeitsmarkt auf Ihr Unternehmen zukommen?
Wir sehen als Kfz-Zulieferer angesichts der gegenwärtigen Verkaufsrückgänge an Pkw derzeit zwar aus Unternehmenssicht eine gewisse Entspannung auf dem Arbeitsmarkt – viele Autozulieferer fahren Kurzarbeit; es hat auch schon Freisetzungen gegeben. Aber mit der weiteren Wirtschaftsexpansion erwarten wir mittel- bis langfristig eine Zuspitzung. Das betrifft nicht nur die Verfügbarkeit von Facharbeitern, sondern setzt sich auch auf anderen Ebenen fort. Einen guten Ingenieur zu finden, wird ebenfalls nicht einfacher. Hinzu kommt – speziell für uns in Liaoning – der Trend, dass nach wie vor viele junge Leute in prosperierendere Städte etwa an der Ostküste abwandern.
Aus Beijing und Shanghai heißt es, dass es immer schwerer wird, Studienabgänger in den Firmenalltag zu integrieren. Können Sie dies bestätigen?
Es ist richtig, es gibt oft eine sehr hohe Erwartungshaltung gekoppelt mit einer weniger gering entwickelten Leistungsbereitschaft. Hinzu kommt eine sehr niedrige Frustrationsschwelle, was den ein oder anderen rasch alles hinschmeißen lässt. Auch die Loyalität zur Firma ist eher gering. Allerdings denke ich, dass dieses Anspruchsverhalten in Shanghai oder Beijing viel stärker ausgeprägt ist, weil es dort viel mehr Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt gibt. Jedenfalls finden Sie Mitarbeiter wie in Deutschland, die Jahrzehnte bei einer Firma bleiben und eine große Kompetenz aufbauen, in China eher selten. Dafür sind die Leute hier deutlich flexibler, wenn es darum geht andere Aufgaben zu übernehmen. Hier `klebt´ keiner an einer bestimmten Maschine. Die Leute sind sehr aufgeschlossen gegenüber Veränderungen und bereit Neues zu lernen. Umstrukturierungen oder etwa der Aufbau von Produktionslinien lassen sich so viel schneller realisieren.
Welche Folgen erwarten Sie mit Blick auf die Personalbeschaffung von dem geplanten Social Credit System für Unternehmen und Privatpersonen?
Ich könnte mir vorstellen, dass die Abfrage des Punktestandes eines Bewerbers vielleicht einmal zu den Standard-Abfragen der Personalabteilung gehört, zumindest dürfte man gezielter auf den schwarzen Listen nachschauen. Allerdings sollte der Punktestand natürlich nur ein Kriterium sein. Dabei ist auch zu bedenken, wie schnell jemand im hiesigen Rechtssystem als kriminell gelten kann, obwohl er einfach nur anders denkt.
Umgekehrt dürften potenzielle Jobbewerber prüfen, ob der neue Arbeitgeber kreditwürdig ist, seine Löhne rechtzeitig zahlt und all seine Sozialabgaben entrichtet. Da das System öffentlich ist, kann es Arbeitnehmern sicher helfen, nicht bei einem schwarzen Schaf als Arbeitgeber zu landen. Otto Fuchs (China) ist gerade von der Distriktregierung als Modellfirma ausgezeichnet worden – wenn eine solche Auszeichnung sich irgendwann auf unser Punktesystem positiv auswirkt, dann arbeiten die Leute vielleicht noch lieber bei uns.
Mehr zum Schwerpunkt:
»Eine gute Arbeitgebermarke ist ein wichtiger Erfolgsfaktor.« – Interview mit Personalberaterin Anke Wolf
»Personalsuche in China ist besonders herausfordernd.« – Interview Stefanie Wild, Head of Talent Acquisition Evonik
»Wir achten auf Soft Skills wie Selbstorganisation.« – Interview mit Anna Yona, Gründerin von Wilding Shoes
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