„Anreize spielen eine enorme Rolle bei der Wärmewende“
Die Wärmewende spielt in der Diskussion um zukunftsfähige Energie im Vergleich zum Strom noch immer eine untergeordnete Rolle. Warum das so ist und was sich ändern muss.
Interview: Quentin Blommaert

Andreas Hauer ist Vorsitzender des Bayerischen Zentrums für Angewandte Energieforschung. Rund hundert Wissenschaftler forschen dort rund um Wärmetransformation, Energieoptimierung und thermische Analysen.

Markets International: Herr Hauer, Herr Kelter – warum ist das Thema Wärme in Diskussionen zur Energiewende so unterrepräsentiert?
Hauer: Wärme ist komplexer als Elektrizität, da sie sehr viel diverser ist und viele verschiedene Anwendungen umfasst. Die Temperatur entscheidet über die Qualität der Wärme, dazu kommt die Dezentralität. Wärme kann nicht gut über lange Distanzen transportiert werden, sie muss also dort entstehen, wo sie gebraucht wird.
Kelter: Die Politik konzentriert sich auf das Thema Strom, weil es in der Energiewende etabliert ist. Und: Viele sind im Umgang mit dem Thema Wärme ahnungslos.
Welche Rolle spielen Anreize?
Kelter: Eine sehr große. Bislang war der Kostendruck einfach nicht da. Mit fossilen Brennstoffen statt mit Strom aus erneuerbaren Energien zu heizen, ist einfach viel günstiger. Gerade mit Blick auf den Produktlebenszyklus ist es wesentlich komfortabler, bei einer Erneuerung eine Gasanlage einzubauen statt einer Wärmepumpe.
Hauer: Vor acht Jahren habe ich mal ein Unternehmen betreut, das abgelaufene Lebensmittel getrocknet hat, um sie besser verbrennen zu können. Das hätte gut durch industrielle Abwärme aus der Umgebung geklappt. Das ist letztlich daran gescheitert, dass eine Braunkohlestaubverbrennung so unsagbar billig war, dass die grüne Alternative einfach keine wirtschaftliche war. Heute würde die Entscheidung sicherlich anders ausfallen, das CO2-Bewusstsein hat sich einfach verändert.
Wodurch hat sich das Standing von erneuerbarer Wärme in den vergangenen Jahren verändert?
Kelter: Durch Restriktionen, Kostendruck und Fördermittel. Beispielsweise dürfen Ölanlagen nicht mehr eingebaut werden, die CO2-Preise steigen und der finale Kauf wird oft durch Fördermittel entschieden.
Inwiefern hat der Atomausstieg Deutschlands das Thema beflügelt?
Kelter: Der Atomausstieg war quasi die impulsive Antwort auf das Reaktorunglück in Fukushima. Das hatte natürlich eine gesellschaftliche Schockwirkung. Solche Schockmomente bewirken dann eben eine schnelle Veränderung, die sonst nur Stück für Stück mit vielen Diskussionen vorangeht. Das Thema Energiewende wurde somit insgesamt präsenter.
Hauer: Aus meiner Sicht hat der Atomausstieg vor allem die Stromerzeugung beeinflusst. Der ist hierzulande nämlich bisher der Hauptfokus der Energiewende, obwohl die Wärmewende fast noch wichtiger wäre. Immerhin ist die Wärmeerzeugung für doppelt so viele CO2-Emissionen verantwortlich.
Wo sehen Sie denn noch einen großen Nachholbedarf beim Thema Wärmewende?
Hauer: Vor allem dem Bereich Wärme- und Kältebedarf in der Industrie wird zu wenig Bedeutung beigemessen. Am meisten kommt noch von den Unternehmen selbst, da sie merken, dass sie etwas tun müssen. Viele geben sich Klimaneutralität selbst als Ziel vor – ohne dass die Politik das von ihnen verlangt. Mit verbindlicheren Vorgaben seitens der Politik könnte noch viel mehr erreicht werden. Und: Das Angebot der erneuerbaren Energien stimmt nicht mit dem Bedarf überein. Energie muss zeitlich flexibel und immer dann und dort verfügbar sein, wo sie gebraucht wird. Wir brauchen mehr Speichermöglichkeiten. Ähnlich wie Stromspeicher für Elektrizität kann man Wärme und Kälte in thermischen Speichern aufheben und das auch deutlich billiger.
Kelter: Auch in der Digitalisierung und der damit einhergehenden Nutzung kleinteiliger Energieangebote und -verbräuche gibt es Nachholbedarf. Hier werden IT-Standards und Regulatorik tragende Säulen sein.
Welche Länder und Industrien sind in Sachen Wärmewende die Vorreiter?
Kelter: Im Bereich der Solarkollektoren sind die Türkei, Schweden, Österreich, Italien, China und Deutschland je nach Anforderungsgebiet gut aufgestellt. Japan ist weit bei Wärmepumpen und Heizsystemen.
Hauer: Japan hat auch sehr hohe Standards in der Industrie in Sachen Energieeffizienz. Auch die Nutzung von Abwärme ist dort ein großes Thema. Da passiert viel. Nicht zu vergessen Dänemark, das erneuerbare Energien in ein dezentrales Wärmesystem mit saisonalem Speicher integriert. Sie speichern die Energie im Sommer für den Winter.
In welchen Bereichen können deutsche Exporteure mit ihrer Expertise punkten?
Hauer: Wir sind sehr stark in der Grundlagenforschung. Aber richtig gut sind wir in der angewandten Forschung, also im Zusammenspiel mit der Industrie. Das ist ein deutsches Alleinstellungsmerkmal und sichert uns Vorteile im internationalen Wettbewerb. Vor allem, weil viele kleine Mittelständler keine eigene Abteilung für Forschung und Entwicklung haben.
Kelter: Zudem sind wir stark, wenn es um systemische Ansätze geht – wenn wir also nicht nur ein Ventil für Wärmepumpen entwickeln, sondern eine komplette Lösung bieten können. Damit sind wir im internationalen Bereich relativ allein. Wir tun uns schwer gegen eine günstige Massenproduktion aus China anzugehen, aber sobald wir Fragen von Systemlösungen betrachten, da haben wir gute Chancen. Zudem haben wir hervorragende Handwerker und Monteure, die international sehr gefragt sind.
Wo sehen Sie Handlungsbedarf, um die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen weiter zu stärken?
Kelter: Für mich als Ingenieur sind Pilotprojekte wichtig, die bei gewissen Größenordnungen von Fördermitteln flankiert werden. Das sind essenzielle erste Schritte, um Erfahrungen zu sammeln. Man muss auch etwas falsch machen dürfen. Von daher wünsche ich mir eine Fehlerkultur, aus der wir das daraus Erlernte wirklich einsetzen können.
Hauer: Auch hier kann der systemische Ansatz helfen. Es ist wichtig, innovative Lösungen zu verbinden. Eine kleine Gießerei beispielsweise kann ihre Abwärme speichern und für ihre Prozesse nutzen oder sie in das lokale Fernwärmenetz einspeisen. Solche Gesamtlösungen können der Schlüssel zum Erfolg sein.
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Bilder: © privat
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