Juni 2017
Autor: Robert Scheid
Mailands Hauptbahnhof ist ein zentraler Verkehrsknotenpunkt in der Lombardei. Seit Dezember 2016 verbindet eine neue Hochgeschwindigkeitsstrecke die Stadt mit der rund 90 Kilometer entfernten Stadt Brescia. Die Fahrt dauert 36 Minuten.
© Pierre Jaques/hemis.fr/laif
Während sich auf Mailands futuristischem Gae-Aulenti-Platz Investmentbanker auf einen abendlichen Aperitif treffen und Models durch die glamouröse Via Monte Napoleone mit ihren Luxusboutiquen flanieren, tritt im 25 Kilometer entfernten Rosate ein Arbeiter am Ende seiner Schicht bei Schattdecor Italien aus dem Werk und genießt den Sonnenuntergang, der einem Da-Vinci-Gemälde entsprungen scheint. Die Modestadt Mailand und die kleine Gemeinde Rosate sind Teil der Lombardei: Hier präsentiert sich Italiens Wirtschaft vielseitig, lebendig und pulsierend. Die Lombardei hält auch in schwierigen Zeiten die Konjunktur des Landes in Gang.
Das Unternehmen Schattdecor aus dem bayerischen Thansau ist Weltmarktführer für bedruckte Dekorpapiere und kam 1995 in die Lombardei: Damals übernahm das Unternehmen die Tiefdruck- und Imprägniersparte der traditionsreichen italienischen Firma Cartiere Sottrici Binda und baute anschließend in Rosate eine eigene Fabrik. „Die Lombardei und Norditalien haben logistisch gesehen deutliche Vorteile gegenüber den meisten europäischen Regionen“, sagt Dieter Schuckmann, Kaufmännischer Leiter bei Schattdecor Italien. Er bezieht sich dabei auf die gut ausgebauten Autobahnen, das Eisenbahnnetz und zahlreiche nahe gelegenen Häfen.
Schattdecor ist bei Weitem nicht das einzige deutsche Unternehmen, das die Vorzüge der Lombardei nutzt und die Region weiter voranbringt. Rund 3.000 deutsche Firmen haben sich in Italien niedergelassen, davon rund die Hälfte in der Lombardei. Auch sie stärken die Region und unterstützen sie in Krisenzeiten.
Produktion rund um die Uhr
Die italienische Tochtergesellschaft von Schattdecor beschäftigt in ihrem lombardischen Werk mehr als 170 Mitarbeiter. Aktuell erwirtschaftet sie etwa 60 Millionen Euro, 20 Prozent mehr als noch vor drei Jahren. Die meisten Kunden kommen aus der Küchen-, Möbel- und Laminatfußbodenindustrie.
Seit 2012 hat das Unternehmen mehr als 20 Millionen Euro investiert, weiteres Geld soll fließen. „Die Investitionen zeigen bereits ihre positive Wirkung. Wir konnten nicht nur unsere Produktionskapazitäten und Absatzmengen ausweiten, sondern haben 30 zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen“, sagt Schuckmann. „Zurzeit produzieren wir rund um die Uhr, sieben Tage die Woche.“
Zahlen & Fakten
aller multinationalen Unternehmen in Italien haben ihren Sitz in der Wirtschaftsmetropole Mailand.
ist der Anteil der Lombardei am italienischen BIP.
beträgt der Anteil am italienischen Handel mit Deutschland.
deutsche Unternehmen haben sich in der Lombardei angesiedelt.
Quellen: Istat, Camera di Commercio di Milano, GTAI
Heterogenes Italien
Italien ist geprägt von Gegensätzen: Das Land ist zum Teil traditionsbehaftet und voller Strukturprobleme, andererseits aber auch sehr zukunftsorientiert. Beim wirtschaftlichen Entwicklungsstand gibt es ein starkes regionales Gefälle: Neben der Lombardei liegen auch Südtirol, die Emilia-Romagna, das Piemont und Venetien besonders weit vorn, während andere Landesteile äußerst strukturschwach daherkommen. Seit einem Jahrzehnt grassiert mehr oder minder im ganzen Land eine tief greifende Wirtschaftskrise. Seit 2015 wächst das Bruttoinlandsprodukt zwar wieder, das Vorkrisenniveau ist aber noch lange nicht wieder erreicht. Nach wie vor muss Italien Herkulesaufgaben meistern: Die Banken ächzen unter einem Berg fauler Kredite, die Staatsschulden türmen sich auf Rekordhöhe, Tausende Firmen und Geschäfte sind pleitegegangen, mehr als ein Drittel aller jungen Menschen haben keine Arbeit. Auch die Lombardei ist betroffen, kann die Herausforderungen aber deutlich besser meistern als die anderen Regionen im Land.
Daneben stärkt auch die Finanz- und Modebranche die norditalienische Region. Mit Unicredit verfügt die Lombardei über die größte Bank des Landes, Modehäuser wie Armani sind weltweit bekannt. Das große Plus der Lombardei aber ist ihre stabile und breit aufgestellte Industrie, die auf einem starken Mittelstand basiert. Ähnlich wie in Deutschland dominieren produzierende Unternehmen die Lombardei, viele von ihnen sind in Familienbesitz. Besonders starker Motor der Region: Industriewerke. Die Bruttowertschöpfung der verarbeitenden Industrie in der Lombardei liegt auf Platz vier in Europa. Nur besonders starke Bundesländer wie Baden-Württemberg, Bayern und Nordrhein-Westfalen produzieren mehr als die Unternehmen der Lombardei. Mit Mailand, Brescia und Bergamo finden sich in der Region drei der vier wichtigsten und wirtschaftlich stärksten Provinzen des Landes. Zum Vergleich: Mailand liegt auf dem Niveau von München, Brescia und Bergamo rangieren jeweils vor Frankfurt am Main und knapp hinter Wolfsburg. Stark vertreten sind die mechanische, elektronische und Metall verarbeitende Industrie, Chemie, Petrochemie und Pharmazie, außerdem die Textil-, Schuh, Mode- und Möbelindustrie.
»Die Lombardei und Norditalien haben logistisch gesehen deutliche Vorteile gegenüber den meisten europäischen Regionen.«
Dieter Schuckmann, Kaufmännischer Leiter von Schattdecor Italien
Die Lombardei erzielte 2016 ein Bruttoinlandsprodukt von etwa 359 Milliarden Euro, das entspricht 22 Prozent des gesamten italienischen BIP. Damit übertrifft sie sogar Österreich. Seit 2014 legt die lombardische Wirtschaft weiter zu, inzwischen hat sie das Vorkrisenniveau übertroffen. Die Arbeitslosenquote liegt mit 7,4 Prozent deutlich unter dem italienischen Durchschnitt von 11,7 Prozent, die Kaufkraft der Haushalte liegt deutlich über EU-Schnitt. Die starke Industrie sorgt für einen florierenden Außenhandel und ist der Schlüssel für die Handelsbeziehung mit Deutschland: Als Handelspartner Deutschlands ist die Lombardei mit einem Austausch von knapp unter 40 Milliarden Euro im Jahr 2016 vergleichbar mit Japan.
Die wichtigsten Industriecluster der Lombardei
Mailand
Einwohnerzahl: 3,2 Mio.
Wertschöpfung der Industrie: 17,5 Mrd. Euro
Bergamo
Einwohnerzahl: 1,1 Mio.
Wertschöpfung der Industrie: 8,5 Mio. Euro
Brescia
Einwohnerzahl: 1,2 Mio.
Wertschöpfung der Industrie: 9,2 Mrd. Euro
Quelle: Eurostat (2015, aktuellste vergleichbare Daten); *Seit Januar 2016 Auvergne-Rhône-Alpes
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Barbara Kussel
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