Juli 2018
Autoren: Esad Fazlic und Ulrich Binkert
Joseph Lubin, Mitbegründer der Blockchain-Plattform Ethereum, arbeitet am Web 3.0 – der Grundlage für ein dezentrales Internet der Zukunft. Seine Softwarefirma Consensys entwickelt Anwendungen für Ethereum. © COLE WILSON/NYT/Redux/laif
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Infografik: So funktioniert die Blockchain.
Anfang des Jahres kaufte ein chinesisches Unternehmen eine Ladung Sojabohnen aus den USA. So weit nichts Besonderes. Doch der Handelskonzern Louis Dreyfus meldete stolz, dass die Transaktion nur halb so lange dauerte wie üblich. Denn für den Handel nutzte er „intelligente Verträge“: auf Basis der Blockchain.
Die Blockchain ist in Fachkreisen in aller Munde. Sie gilt als revolutionäre Technologie in vielen Branchen. So soll sie etwa allen Teilnehmern entlang der Lieferkette den transparenten Zugriff und die Bearbeitung aller notwendigen Dokumente in Echtzeit ermöglichen.
Studien zufolge haben insbesondere die Handelsfinanzierung und die Absicherung von Transportrisiken enormes Potenzial, etwa im internationalen Schifftransport. Mithilfe der Blockchain ließen sich alle notwendigen Dokumente unveränderbar und mit Zeitstempel digital speichern. Alle Parteien hätten Zugriff, Zahlungen und Warenlieferungen gingen um einiges schneller.
Ihren Ursprung hat die Blockchain in der Kryptowährung Bitcoin. Mitten in der Finanzkrise im Jahr 2008 veröffentlichte ein bis dato unbekannter Erfinder unter dem japanischen Pseudonym Satoshi Nakamoto ein Manifest zu den Problemen des Geld- und Finanzsystems. Er schlug ein elektronisches Zahlungssystem vor, das auf Vertrauen basiert und bei dem Transaktionen schneller und dank kryptografischer Verschlüsselung auf sichere Weise funktionieren – ohne Mittler wie Banken.
Die dazugehörige Währung, der Bitcoin, entsteht als eine Art Belohnung für die Teilnehmer im Netzwerk, die mit ihrer Rechenleistung das Zahlungssystem aktiv betreiben. Der Vorgang wird Mining genannt. Anders als beim klassischen Zentralbankgeld ist die Menge an neu zu erschaffenden Bitcoins fest begrenzt. Der Wert des Bitcoin wird allein durch Angebot und Nachfrage bestimmt. Das allein ist noch nicht besonders revolutionär. Die Technologie dahinter, die Blockchain, dafür umso mehr.
Block für Block
Diese Branchen verwenden die Blockchain schon:
Energie und Mobilität
Die deutsche Innogy-Tochter Motionwerk testet die Bezahlung per Blockchain an Ladesäulen für Elektroautos. Das Start-up Electrify Asia aus Singapur arbeitet an einem Stromhandelsmarkt mit Blockchain-Verträgen.
Gesundheitswirtschaft
Das Projekt Farma Trust will mithilfe der Blockchain Medikamentenfälschungen verhindern. Mehrere Start-ups arbeiten an Patientenakten auf Blockchain-Basis (Medicalchain, Patientory, Medrec).
Logistik
RFID-Chips dokumentieren Temperatur, Feuchtigkeit oder Position während des Transports in der Blockchain (Modum, IBM). Auch Produktfälschungen oder Warenherkunft lassen sich prüfen (Vechain, Circulor).
Dezentral und fälschungssicher
Die Blockchain ist ein dezentrales Netzwerk von Nutzern, die gemeinsam einen Datensatz verwalten. Dieser Datensatz kann aus Finanztransaktionen wie dem Versand von Kryptowährungen bestehen. Alle Teilnehmer des Netzwerks überwachen sich gegenseitig und prüfen jede Transaktion, sodass eine zentrale Überwachungsinstanz entfällt.
Ist eine Transaktion bestätigt, wird sie in einen Datenblock eingetragen. Jeder Block kann eine bestimmte Zahl von Transaktionen speichern. Ist der Block voll, wird er an den aktuellen Datensatz angehängt. Auf diese Weise entsteht eine Kette von Datenblöcken, die in der sogenannten Blockchain dauerhaft und unfälschbar gespeichert sind. So funktioniert die Blockchain, siehe rechts Da alle Teilnehmer und nicht eine zentrale Instanz stets die aktuellste Kopie des Datensatzes haben, ist die Chance für einen Systemausfall äußerst gering.
Interessant ist die Blockchain vor allem für den Finanz- und Handelssektor. „Blockchain wird die Art, wie weltweit Geschäfte gemacht werden, verändern“, prognostiziert Wolfgang Hach, Partner von Roland Berger. Eine Studie der Unternehmensberatung geht davon aus, dass Blockchain-Anwendungen in der Finanzwirtschaft bereits in drei bis fünf Jahren marktreif sein werden. „Die breiten Einsatzmöglichkeiten erlauben es, etwa bei Handelstransaktionen oder Vertragsabschlüssen auf vermittelnde Institutionen oder Treuhänder zu verzichten“, sagt Hach. „Dadurch können Finanzinstitute Kosten sparen und neue Geschäftsmodelle entwickeln.“
Interview
»Schneller, transparenter und sicherer«
Kai Kirschbaum, Head of Platforms & Disruptive Solutions für Firmenkunden, erklärt, warum die Deutsche Bank bei der Blockchain-Plattform we.trade mitmacht.
Seit wann und warum ist die Deutsche Bank bei we.trade dabei?
Wir gehören dem we.trade-Konsortium seit Ende 2016 an. Kunden der beteiligten Banken sollen ihre innereuropäischen Handelsgeschäfte damit künftig schneller, transparenter und sicherer abwickeln können. we.trade wird damit eine der ersten Blockchain-Lösungen sein, die für Handelsgeschäfte in Europa genutzt wird.
Wie weit sind Sie bislang?
Wir haben uns in einem ersten Schritt bewusst für die Einführung nur im europäischen Außenhandel entschieden. Vorteil ist, dass wir uns in einem einheitlichen Rechtsrahmen befinden. Die juristische Einheit ist bereits aktiv und we.trade wird im Sommer 2018 für Kunden an den Start gehen und soll in einem nächsten Schritt dann auch außerhalb Europas verfügbar sein.
Inwieweit kann die Blockchain-Technologie Transaktionen im Außenhandel erleichtern?
Dank der Blockchain-Technologie können die an einer Transaktion beteiligten Vertragsparteien zu jeder Zeit den aktuellsten Stand der Abwicklung nachvollziehen. Die Vertragsdokumentation wird digital über sogenannte Smart Contracts auf der Plattform hinterlegt und die Akzeptanz der Konditionen durch den Vertragspartner mit einem Klick bestätigt. Zudem sorgt die Blockchain-Technologie dafür, dass vereinbarte Konditionen automatisiert ausgeführt werden.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Ja: die Zahlung bei Ankunft der Ware, wenn das Transportunternehmen durch eine integrierte Schnittstelle die Auslieferung bestätigt. So wird viel administrativer Aufwand gespart, während die hohe Sicherheit und Transparenz das Vertrauen steigern.
Völlig neue Geschäftsmodelle
Vitalik Buterin inspirierte das Prinzip hinter der Bitcoin-Blockchain zur Entwicklung von Ethereum, einer eigenständigen Plattform für intelligente Verträge, sogenannten Smart Contracts zwischen zwei oder mehreren Parteien. Das Interesse der Wirtschaft ist groß. In der Enterprise Ethereum Alliance haben sich zahlreiche namhafte Konzerne aus der IT- und Finanzbranche, aber auch aus anderen Branchen zusammengeschlossen. Zeitgleich sind auch weitere Allianzen (Hyperledger, R3/Corda) sowie Blockchain-Projekte in Konkurrenz zu Ethereum und Bitcoin entstanden. Das Rennen um die Vorherrschaft ist in vollem Gange.
Auch außerhalb des Handels- und Finanzsektors wird viel mit der Technologie experimentiert. So arbeitet das deutsche Start-up Slock.it an einer Lösung, die den kompletten Mietprozess von Ferienwohnungen über die Blockchain voll automatisiert ermöglicht, inklusive smartem Türschloss. Schritt für Schritt will man das Angebot auf alle möglichen vermietbaren Objekte wie Maschinen, Fahrzeuge oder Werkzeuge ausweiten.
Wie bei jeder technischen Neuerung gibt es nicht nur Chancen, sondern auch Herausforderungen. Eine der größten ist die sogenannte Skalierbarkeit. Je mehr Teilnehmer und Prozesse das Netzwerk nutzen, desto langsamer wird es, weil der Rechenaufwand zunimmt. Auch die Blockchain selbst wird als Datei immer größer. Doch viele Entwickler arbeiten bereits mit Hochdruck an technischen Lösungen: Einige Ansätze sind durchaus vielversprechend.
Auch rechtliche Aspekte sind noch nicht geklärt. Wer entscheidet etwa, wann ein „intelligenter“ Vertrag nichtig oder rückgängig gemacht werden muss – etwa bei Betrug? Geht das überhaupt? Auch die neue EU-Datenschutz-Grundverordnung passt nicht ohne Weiteres zur Blockchain, in der Daten dauerhaft und unveränderbar gespeichert werden sollen. Dies könnte zu Problemen führen, vor allem wenn es um persönliche Daten geht. Auch die Frage nach einem einheitlichen Standard wird sich früher oder später stellen, wenn das Interesse an der Blockchain weiter wächst.
Und das wird es allen Vorhersagen nach. Kürzlich wurde das Ethereum-Projekt Golem gestartet. Damit ist es möglich, seinen Computer an den „Weltcomputer“ anzuschließen und nachts seine eigene Rechenleistung zu vermieten. Kunden können dann je nach Bedarf eine bestimmte Zahl solcher Rechner mieten und für die Berechnung komplexer Rechenaufgaben nutzen, für Grafikanimationen oder die Forschung zum Beispiel. Die Blockchain eröffnet eben ganz neue Möglichkeiten: Jetzt gibt es sogar ein Airbnb für Computer.
Service & Kontakt
Esad Fazlic
+49 30 200 099 151
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