Juli 2018
Autoren: Achim Haug und Anne Litzbarski
Programmierbare Roboter und daneben das gute, alte Skateboard – auf der Spielwarenmesse in Nürnberg mischt sich Innovatives mit Vertrautem. Besonders überrascht zeigt sich Spielzeugladenbetreiber Benjamin Perez über fast zwei Hallen voller elektrischer Züge. Die Leidenschaft der Deutschen für Modellbau hatte der Chilene nicht auf dem Schirm.
Die größte Veranstaltung für Spielwaren weltweit boomt: 120.000 Neuheiten präsentierten die Aussteller im Februar den 70.000 Besuchern aus aller Welt. Während Branchenriesen wie Lego aus Dänemark sowie Hasbro und Mattel aus den USA – die drei größten Spielwarenhersteller der Welt – schon längst global aktiv sind, ist die deutsche Branche mittelständisch geprägt. Die Firmen müssen ihre Expansionsstrategie sehr sorgfältig planen und schrecken häufig vor dem Schritt ins außereuropäische Ausland zurück.
Diese Entscheidung sollten sie aber überdenken. Denn in Deutschland – und den meisten EU-Nachbarn – stagnieren die Bevölkerungszahlen und weniger Babys kommen auf die Welt. Dagegen wächst die Zahl der Neugeborenen, und damit die Höhe der Ausgaben, gerade in den Schwellenländern noch gewaltig. Besonders die urbane Mittelschicht zeigt sich dabei spendierfreudig – und interessiert an ausländischen Produkten.
Der Markt wächst
Der weltweite Markt belief sich 2017 allein für Babyprodukte auf 66,8 Milliarden US-Dollar, so Schätzungen des Marktforschungsunternehmens Euromonitor International. Spitzenreiter sind die USA: Im Schnitt geben US-amerikanische Eltern im ersten Lebensjahr ihres Babys 12.000 US-Dollar aus. Das Geld fließt in Pflegeprodukte, Babynahrung und Bekleidung. Für den Transport der wertvollsten Fracht, die sich junge Eltern vorstellen können, kommen Kinderwagen und Autositze zum Einsatz. Ebenso investieren sie in kindgerechte Möbel. Ein Vorteil für deutsche Hersteller: In allen Segmenten sind sie gut positioniert.
Bis 2025 soll der weltweite Markt pro Jahr um 6,9 Prozent zulegen. Treiber sind vor allem steigende Einkommen der Mittelschicht sowie sich ändernde Lebensgewohnheiten in den Schwellenländern. Obwohl sich die Geschmäcker der einzelnen Länder unterscheiden, steigt überall das Bewusstsein für Hygiene und hochwertige Babypflege, was die Nachfrage nach verlässlichen Produkten erhöht.
In den USA geben Eltern für ihre Kinder fünfmal so viel Geld aus wie Eltern in anderen Ländern.
Tradition als Wettbewerbsvorteil
Der deutsche Premium-Kuscheltierhersteller Steiff erwischt diese Kundengruppe häufig am Flughafen. Von Dubai bis Singapur sehen die potenziellen Kunden die Kuscheltiere – und nehmen sie idealerweise als hochwertiges Mitbringsel für den Nachwuchs oder für Freunde mit. Spätestens, wenn Steiff dann das Heimatland der Reisenden in Angriff nimmt, ist die Marke bereits vertraut.
Auch Benjamin Perez fliegt um die Welt. Etwa viermal pro Jahr ist er in China, um Spielzeug und Ausstattungen für Feste wie Babypartys oder Kindergeburtstage zu beschaffen. Um Trends aufzugreifen, reisen er und sein Geschäftspartner in die USA, nach Kanada, Deutschland, Spanien oder Frankreich. Perez bemerkt eine stärkere Verbindung der globalen Trends. Der Fidget-Spinner-Boom aus den USA beispielsweise kam 2017 schon nach vier Wochen nach Deutschland und Chile – noch vor wenigen Jahren dauerte so etwas mehrere Monate.
Bei Trends winken deutsche Firmen aber meist ab: Zu schnelllebig sind die Zyklen, in denen diese entstehen – und vergehen, zu hart der Preiswettbewerb im Lizenzgeschäft. Und gerade bei Elektronikspielzeugen aus Billigplastik haben sie der Konkurrenz aus Fernost sowieso nichts entgegenzusetzen. Daher vertrauen viele Firmen auf sichere und nachhaltige Spielzeuge, oft mit durchdachtem Lerneffekt. Gerade im Segment der Null- bis Dreijährigen sind deutsche Hersteller deshalb stark. Hier kommt es weniger auf die neuesten Trends an, sondern auf einfache, aber wohlüberlegte Konzepte.
Die langjährige Familientradition ist hierbei ein Wettbewerbsvorteil: Häufig finden sich daher auf den Verpackungen im Ausland die Deutschlandflagge und Hinweise zur Historie. Das können chinesische Anbieter so schnell nicht aufholen.
Auch Perez sind die Holzspielzeuge in Nürnberg aufgefallen. In seinem Heimatland Chile finden sie sich bisher nur in wenigen Läden, die europäische Marken anbieten. Er selbst betreibt vier Geschäfte unter dem
Namen Carnaval, beliefert aber auch andere Läden. In Chile sind dagegen Lizenzartikel ganz besonders gefragt. Häufig sehen schon die Kleinsten Filme und Serien im Fernsehen oder auf dem Smartphone. Gern darf das Spielzeug dann bunt und lärmend sein, blinkendes Plastik verkauft sich gut. Noch werden Kriterien wie Nachhaltigkeit von den Eltern wenig beachtet.
Spielzeug wird gern um die Welt geschickt. Neben kurzlebigen Trends wie Fidget Spinner sind das vor allem die Klassiker – wie der braune Plüschteddybär. © Manuel Köpp/Kammann Rossi
Schwellenländer haben Potenzial
Chile ist ein typisches Schwellenland und attraktiv für deusche Exporteure: Die Armutsquote ist rasant gesunken, die Durchschnittseinkommen dagegen sind stark gestiegen. Selbst als der Andenstaat noch als Entwicklungsland eingestuft wurde, war die Geburtenrate relativ niedrig im Vergleich zu anderen Ländern der Region wie Bolivien oder Peru. Heute sind die Unterschiede noch größer.
Mit seinem hohen Lebensstandard ist Chile ein Einwanderungsland. 2017 kamen 19 Prozent mehr Babys mit mindestens einem ausländischen Elternteil zur Welt als 2016, in der Hauptstadtregion sogar 27 Prozent mehr.
Auch China ist ein wichtiger Markt: Das Reich der Mitte zählte 2015 laut dem chinesischen Bildungsministerium rund 224.000 Kindergärten, die Mehrheit davon privat organisiert. Der Staat legt einen großen Fokus auf vorschulische Bildung und Erziehung und hebt daher unter anderem die Standards für Kindergartenausstattung an. Die Ein-Kind-Politik und kulturelle Faktoren lassen den Kindern in China darüber hinaus besondere Aufmerksamkeit zukommen.
Generell weist die chinesische Kultur der Bildung einen hohen Stellenwert zu. Besonders gefragt ist daher pädagogisch wertvolles Spielzeug, das Bildungsaspekte im Zentrum hat. Vor allem Spielzeug mit Bezug zu Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik – den MINT-Fähigkeiten – ist beliebt. Deutsche Hersteller sollten diese Punkte also im Marketing hervorheben: Denn die Chinesen weisen hochwertigem Spielzeug made in Germany einen Bildungsaspekt zu, der bei den lernfleißigen Konfuzianern gut ankommt.
»In Südamerika steigt die Nachfrage nach Biozertifikaten und Nachhaltigkeit, aber noch ist das ein kleiner Markt.«
Anne Litzbarski
Germany Trade & Invest-Korrespondentin Santiago de Chile
Chile
In Chile sind fast alle Produkte genderspezifisch. Beim zweiten Kind wird deshalb komplett neu eingekauft – sofern es anderen Geschlechts ist als das erste. Das betrifft nicht nur die Kleidung, sondern auch den Kinderwagen, Kindergartenrucksäcke und so weiter.
Anteil der unter 14-jährige 2017
Geburtenrate 2017
Spielwarenimporte 2017
Die wichtigste südamerikanische Branchenmesse ist die brasilianische Abrin. Nächster Termin: 18. bis 21. März 2019
Geburten/1.000 Einwohner, zum Vergleich: Deutschland, Geburtenrate 2016: 9,6; Quellen: UN Comtrade, CIA Factbook, Euromonitor
Riesenmarkt China
Ähnlich wie in Chile werden auch in China Kriterien wie Nachhaltigkeit in der Regel wenig beachtet. Doch die städtische Mittelschicht orientiert sich um: Heimische Produzenten von Milchpulver haben nach Skandalen jegliches Vertrauen verspielt. Davon sind auch Hersteller von Pflegeprodukten betroffen. Ein Pluspunkt für deutsche Anbieter, die in China viele potenzielle Kunden haben: 2017 kamen dort 17 Millionen Babys auf die Welt – zwar weniger als erhofft nach der Lockerung der Ein-Kind-Politik, aber immer noch ein Riesenmarkt für Unternehmen.
Auf dieser Welle surft der Lernspielzeughersteller Haba aus Bad Rodach. „China ist unser wichtigster Wachstumsmarkt“, erklärt Exportleiter Christian Vollmer. Die Philosophie von Haba: „Zuerst kommt die Freude am Spiel für das Kind. Wenn dann noch etwas gelernt wird, umso besser.“ Diese Herangehensweise gewährleistet, dass die Kinder lange Interesse an den Produkten haben und nicht durch zu offensichtliche Pädagogik gelangweilt werden. Hohe Standards in der Herstellung sind selbstverständlich.
Dazu hat Haba Konzepte entwickelt, wie die nach Altersgruppen strukturierten Spiele in Kindergärten und Schulen bestmöglich eingesetzt werden. Diese kämen in Bildungseinrichtungen in Schwellenländern gut an, so Vollmer. Dass Auswendiglernen und Frontalunterricht nicht die ganze Weisheit sind, setzt sich auch in Ländern außerhalb Europas langsam durch. Daher sind auch Kindergärten und Spielzentren interessante Kundengruppen für Hersteller wie Haba – übrigens weltweit.
Unbedenkliche Kinderprodukte sind gefragt. Deshalb gehen Firmen wie der Wuppertaler Plüschspielwarenhersteller Efie noch einen Schritt weiter: Seit mehr als 15 Jahren lassen sie ihre Produkte mit dem Biolabel Global Organic Textile Standard (GOTS) zertifizieren. Denn Efie beobachtet ein weltweit wachsendes Bewusstsein für ökologisch korrekte Produkte. Auch das lettische Start-up Wooly Organic setzt auf diese Ausrichtung. Zunächst entwarf das Unternehmen Babyspielzeug und Beißringe, alle handgefertigt in der Europäischen Union (EU). Inzwischen gibt es auch GOTS-zertifizierte Babykleidung. Das Start-up exportiert in 35 Länder und will vor allem in Asien wachsen.
China
Kindergärten und Lernzentren sind Abnehmer für edukatives Spielzeug und Kindermöbel. Vor allem in China boomen Produkte, die auf Bildung setzen. Besonders beliebt ist Spielzeug mit Bezug zu Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik – was die Fähigkeiten in den MINT-Fächern fördert.
Anteil der unter 14-jährige 2017
Geburtenrate 2017
Spielwarenmarkt 2019
Die wichtigste Branchenmesse in China ist die Toy Fair in Hongkong. Nächster Termin: 7. bis 10. Januar 2019
Geburten/1.000 Einwohner, zum Vergleich: Deutschland, Geburtenrate 2016: 9,6; Quellen: UN Comtrade, CIA Factbook, Euromonitor
Zwiespalt Digitalisierung
Neben ökologischen Aspekten treibt auch die Digitalisierung Eltern weltweit um. Sie sind in einem Zwiespalt, wie sie mit dem „digitalisierten Kinderzimmer“ umgehen sollen. Kann man die Kleinen von elektronischen Spielzeugen und Mobilgeräten kaum fernhalten, können die digitalen Helfer auch Mehrwert bieten. Viele Eltern sorgen sich, dass ihre Kinder verloren gehen könnten oder – vor allem in den südlichen Ländern – in einem der weitverbreiteten Pools ertrinken. Ein Wachstumsmarkt sind daher Armbänder, die über Bluetooth Warnungen ausgeben, sobald das Kind einen definierten Radius verlässt. Wie etwa Meerk, das die chilenische Gründerin Maria Ignacia Encina entwickelt hat. Meerk spricht vor allem Ersteltern an, die als besonders ängstlich gelten. Eine zweite Funktion warnt, wenn das Kind unter Wasser gerät. Außerdem können die Kinder die Eltern über einen Anrufknopf kontaktieren.
In der Regel widerstehen deutsche Hersteller dem Druck, ihre Produkte landesspezifisch anzupassen – mit Ausnahme der Verpackung und Beschreibungen. Auch Steiff sagt, weltweit wäre das Interesse der Kinder an einem kuscheligen Spielpartner praktisch identisch. Lediglich für Japan entwarfen die Giengener schon Manga-Charaktere.
Auch in Chile gibt es länderspezifische Besonderheiten: Mädchen bekommen in der ersten Lebenswoche bereits Ohrringe. Die Vorstellung, dass Fremde fragen könnten, ob es ein Mädchen oder ein Junge ist, wirkt so abschreckend, dass die meisten Eltern keine Zeit verlieren. Die Ohrlöcher werden gleich in der Klinik gestochen. Nur Ausländer fragen erstaunt, ob Impfungen und andere medizinische Fragen nicht Vorrang hätten. Wer genderspezifische Produkte anbietet, hat in Lateinamerika noch bessere Karten.
Fünf Tipps für den Erfolg im Ausland
1. Marktforschung betreiben
Nur, wer den Markt kennt, kann die Konkurrenz richtig einschätzen. Eine Marktanalyse offenbart Nischen, die – einmal besetzt – zum Erfolg führen.
2. Zielgruppen analysieren
Hersteller sollten nicht nur die Kinder im Blick haben. Denn letzlich sind es die Eltern, die das Produkt kaufen.
3. Qualität herausstellen
Deutsche Unternehmen haben ein Alleinstellungsmerkmal: Produkte aus der Bundesrepublik stehen für Qualität und Sicherheit.
4. Nachhaltigkeit berücksichtigen
Eltern wollen Spielzeug ohne Schadstoffe, das im besten Fall aus nachhaltiger Produktion stammt. Gütesiegel können hier zum Wettbewerbsvorteil werden.
5. Regularien beachten
In jedem Land gelten andere Regeln, was die Zertifizierung betrifft. Vor dem Markteintritt sollten sich Hersteller informieren, welche Zertifikate nötig sind.
Gut zu wissen
Weitere Informationen zu allen Ländern weltweit finden Sie auf den Länderseiten der GTAI.
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