Steiniger Ausweg

Die Energiewende mit dem Umweg über Flüssigerdgas könnte für Deutschland schwierig und teuer werden. Hauptpartner dürften die USA sein. Doch dort wird Erdgas größtenteils mit dem umstrittenen Fracking-Verfahren gewonnen.

Oktober 2022
Autor: Heiko Steinacher

Umweltsünde oder Hoffnungsträger? Laut einem Abkommen vom März 2022 wollen die USA der EU bis Ende des Jahres zusätzliche 15 Milliarden Kubikmeter LNG bereitstellen. © Höegh/Independence, Angelha/Alamy

Es herrscht Krieg in der Ukraine, und deutsche Energieversorger müssen improvisieren – im Auftrag der Bundesregierung. Weil es hierzulande keine stationären Terminals für Flüssigerdgas (LNG) gibt, wie zum Beispiel in Frankreich, Italien und den Niederlanden, haben die Energiekonzerne RWE und Uniper kurzerhand vier schwimmende gechartert. Zwei sollen im Winter einsatzbereit sein. Die Spezialschiffe nehmen das LNG von Tankern auf, wandeln es an Bord in Gas um und speisen es dann ins Erdgasnetz ein.

Deutschland will eine Infrastruktur für die Versorgung mit Flüssiggas schaffen – und das im Eiltempo. Helfen sollen dabei unter anderem schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren. Aber zaubern geht nicht. Die ersten stationären Terminals können die provisorischen nicht vor dem Jahr 2025 ersetzen. Um sie ans Fernleitungsnetz anzuschließen, sind weitere Investitionen notwendig. Uniper hat Anfang Juli mit dem Bau in Wilhelmshaven begonnen. Als weitere Standorte sind Brunsbüttel und Stade geplant. Immerhin haben die Betreibergesellschaften bereits erste Großkunden gewonnen: EnBW für Stade und Shell für Brunsbüttel. „Wir werden alles daransetzen, Planung und Umsetzung zügig voranzutreiben“, sagt Michael Kleemiß, Geschäftsführer von German LNG Terminal in Brunsbüttel.

Schon vor dem Krieg war klar: Gas wird als Brückentechnologie voraussichtlich noch über viele Jahre eine zentrale Rolle auf dem Weg ins Zeitalter der erneuerbaren Energien spielen. Doch jetzt muss alles plötzlich ganz schnell gehen, und ein Kontinent lernt umzudenken: Für die Europäische Union (EU) stehen mit einem Mal LNG-Lieferungen aus den USA im Fokus, um unabhängiger von russischen Energieimporten zu werden.

Dieser Weg dürfte für Deutschland steinig und teuer werden – und das nicht nur wegen der Technologie und der fehlenden Infrastruktur, sondern auch deshalb, weil die neuen US-Lieferanten das LNG mitunter durch das umstrittene Fracking gewinnen. Doch besondere Umstände erfordern besondere Maßnahmen: Versorgungssicherheit, das hat Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck seit Ausbruch des russischen Angriffskriegs wiederholt betont, sei im Zweifel wichtiger als Klimaschutz.

Dennoch drängt sich parallel dazu die ­Frage auf, wie lange Deutschland auf den fossilen Brennstoff LNG setzen soll, wo es doch eigentlich die Energiewende vorantreiben will – und wie teuer die Transformation dadurch werden könnte. Denn eine spätere Umrüstung der Terminals auf grünen Wasserstoff oder Wasserstoffderivate wie Methan wäre kostspielig.

LNG-Boom: Geschäftschancen neben den Upstream-Chancen

In der Infrastruktur:

  • Bau von Ship-to-Shore-Interfaces, also Verbindungen zwischen schwimmenden Speicher- und Verdampfungseinheiten und Anlagen an Land
  • Anschluss an das Fernleitungsnetz
  • Bau stationärer Terminals mit Entlade- und Umschlagsmöglichkeiten für grüne Gase wie Ammoniak
  • Bau und Wartung von Schiffen, die verflüssigtes Erdgas wieder in Gasform umwandeln

Beim Energiesparen:

  • Einsatz von Wärmepumpen statt Gasheizungen
  • Umstellen auf Produktionsverfahren mit weniger Gasverbrauch
  • Identifizieren weiterer Energieeinsparungen – in der Industrie (Energieaudits, Energieeffizienzuntersuchungen) und in Privathaushalten (Smart Metering)
  • Beschleunigter Ausbau von Ökostromquellen und alternativen Wärmeträgern

Arme Staaten bekommen weniger LNG

Die US-Regierung hat ihren Verbündeten in Europa versprochen, sie mit LNG zu beliefern, US-Unternehmen haben dabei insbesondere den deutschen Markt im Blick. Venture Global baut für 13 Milliarden US-Dollar eine LNG-­Exportanlage an der US-Golfküste. Auch Cheniere Energy will stärker ins Transatlantik-Business einsteigen. Geht es für die Deutschen um die Versorgungssicherheit, könnte sich für die US-Amerikaner ein einträgliches Geschäft anbahnen. Denn die Nachfrage ist hoch. Der Gaspreis in den USA hat sich im ersten Halbjahr 2022 in etwa verdoppelt.

Der hohe Preis kann bei gleichzeitig knappem Angebot aber zu einem ernsten Problem werden. Die US-Schieferöl- und -gasindustrie ist zwar bereits seit dem vergangenen Jahr dabei, viele Großprojekte wiederaufzunehmen. Das hat dem Preisanstieg von fossilen Brennstoffen und Energieträgern zunächst entgegengewirkt, der durch die weltweite wirtschaftliche Erholung entstanden war. Doch dann brach Anfang Juni in einer Anlage des Betreibers Freeport LNG ein Großbrand aus. Die Anlage macht rund ein Fünftel der gesamten US-LNG-Verarbeitungskapazität aus und dürfte mindestens bis September komplett ausfallen. Wegen des hohen Verstromungsanteils bei Gas schlug das Unglück sofort auf die Strompreise durch. Energieintensive Aluminium- und Stahlwerke mussten in der Folge bereits die Produktion drosseln.

Das nährt Befürchtungen, dass ein künftiger US-Präsident LNG-Lieferungen ins Ausland im Sinne der America-First-Strategie politisieren und letztlich stoppen könnte. Zumal das Genehmigungs- und Finanzierungsverfahren für Gasverflüssigungsanlagen mehrere Jahre dauert, das Angebot aus den USA also kurz- bis mittelfristig starr ist.

Das Gros der vorhandenen US-Liefermenge an LNG ist an bestehende Langfristverträge mit Kunden in Asien gebunden. Dennoch gehen 2022 vermutlich etwa drei Viertel davon nach Europa. „LNG-Käufer können die Ladungen manchmal umleiten, indem sie eine Strafe zahlen, oder sie können es auf dem Spotmarkt verkaufen“, sagt Jason French, Geschäftsführer des LNG-Kompetenzzentrums an der McNeese State University in Lake Charles, Louisiana.

Das Rennen ums knappe LNG geht damit zulasten ärmerer Länder in Asien, die angesichts der hochschnellenden LNG-­Preise wieder stärker auf kohlenstoffintensivere Energieträger wie Heizöl zurückgreifen. „Um längerfristig den Bedarf wirklich decken zu können, müssen wir in den USA neue Anlagen bauen“, meint French. Das wiederum muss die Biden-Regierung in Einklang mit ihren klimapolitischen Zielen bringen. Dass sich US-Behörden bereits dafür einsetzen, die Genehmigungsverfahren für neue Anlagen zu beschleunigen, zeigt, wohin die Reise geht.