Interview mit Jens Eichler, Deputy Director und Head of Equipment Sales beim Nahrungsmittelmaschinenhersteller GEA
August 2018
Interview: Hans-Jürgen Wittmann
Russland setzt seine Politik der Importsubstitution fort. Bis 2030 soll sich der Anteil lokal gefertigter Nahrungsmittel- und Verpackungsmaschinen verdoppeln. Was bedeutet das für GEA?
Unsere Kunden sind vor allem Großunternehmen. Die Maschinen von GEA setzen oftmals eine gewisse Mindestkapazität voraus. Es macht nicht immer wirtschaftlich Sinn, bestimmte Produkte und -lösungen zu lokalisieren, weil diese immer eine jährliche Mindestabnahme voraussetzen, die der russische Markt derzeit nicht hergibt. Es kann schon sein, dass der Anteil lokaler Produzenten ansteigt, doch dabei handelt es sich vor allem um Hersteller, welche ein anderes Marktsegment bedienen als wir. Dazu verwenden sie hauptsächlich importierte Komponenten und Zulieferteile, unter anderem auch von GEA.
Derzeit produzieren wir nur einen geringen Anteil unserer breiten Produktpalette von Maschinen zur Nahrungsmittelverarbeitung vor Ort in Russland. Doch Lokalisierungspotenziale stehen bei uns immer auf dem Prüfstand. Wenn wir vor der Entscheidung stehen, ein Produkt zu lokalisieren, stehen bei uns immer der Nutzen für unsere Kunden sowie der ökonomische Nutzen im Vordergrund.
Die meisten deutschen Anbieter von Nahrungsmittel- und Verpackungsmaschinen liefern aus Deutschland. Sieht sich GEA im Vorteil, weil bereits eine Produktion im Land besteht?
Im Werk Klimovsk bauen wir unter anderem Pasteurisierungsanlagen für die Milchverarbeitung und Separatoren für Brauereien. Im Werk Kolomna fertigen wir beispielsweise Stallausrüstung und Ventilationssysteme für Milchproduzenten. Doch der Großteil unserer Anlagen wird importiert. Gegenüber unseren Wettbewerbern haben wir bei bestimmten Maschinen, die wir lokal produzieren, einen Wettbewerbsvorteil. Bei der Stallausrüstung beispielsweise sind wir attraktiver, da durch die lokale Fertigung keine Importzölle anfallen und Transportkosten reduziert werden. Der größte Vorteil für alle Produktionswerke besteht in einer höheren Produktionsflexibilität und verkürzten Lieferzeiten.
Was sind die größten Herausforderungen bei der Bearbeitung des russischen Marktes?
Ein Dauerbrenner in Russland ist die Situation auf dem Markt für Fachkräfte. Wir als GEA sind dabei mit 350 Mitarbeitern, davon mehr als 200 Ingenieure, sehr gut aufgestellt. Da wir sowohl Metropolregionen, als auch dezentrale Märkte wie Sibirien oder den Fernen Osten bearbeiten und uns nicht nur als Lieferant von Anlagen, sondern auch als Service-Partner für unsere Kunden, verstehen, benötigen wir qualifiziertes Personal. Vor allem in den Regionen ist es häufig nicht einfach, geeignetes Personal zu finden. Derzeit haben wir etwa 120 Servicemitarbeiter unter Vertrag. Eine weitere Herausforderung stellt die Volatilität der russischen Wirtschaft dar, die eine langfristige Planung v.a. im Neumaschinengeschäft schwieriger macht. Hinzu kommt, dass Russland ein relativ junger Markt für uns ist, also ist auch der Austauschbedarf von Anlagen entsprechend niedrig.
Allgemeine Informationen zu GEA in Russland
GEA ist ein weltweit führender Anbieter für Technologien für die Lebensmittelindustrie. Etwa 80 Prozent des Umsatzes werden in der Lebensmittelindustrie erwirtschaftet. Weltweit wird jede vierte Milch mit Hilfe von Ausrüstung der Firma GEA verarbeitet, jedes dritte Hühnernugget wird mit GEA-Anlagen produziert und fast jeder zweite Liter Bier durch Einsatz von GEA Komponenten gebraut.
Auf dem russischen Markt ist GEA ist seit 1991 vertreten und hat seither weit mehr als 1.000 Projekte realisiert. Der Konzern aus Düsseldorf beschäftigt derzeit etwa 350 Mitarbeiter (davon über 200 Ingenieure) in der Niederlassung in Moskau sowie den drei Werken in Klimovsk und Kolomna im Gebiet Moskau sowie im Gebiet Tula. Am Hauptproduktionsstandort in Klimovsk hat GEA alle notwendigen Voraussetzungen, um maßgeschneiderte Lösungen speziell für die russische Nahrungsmittel verarbeitende Industrie, aber auch für die Öl- und Gas- oder pharmazeutische oder die chemische Industrie zu konzipieren und zu produzieren.
Russland ist in der Konzernstruktur was die Standortgröße und den generierten Umsatz angeht unter den Top-5. Das belegt eine Vergleichsanalyse von über 50 Ländern, in denen GEA präsent ist, die 2014 durchgeführt wurde. Dabei wurden zwei Faktoren untersucht: einmal die eigene Präsenz im jeweiligen Land und zum anderen das lokale Wachstumspotenzial. Russland kam dabei unter die Top 5.
Wie schätzt GEA das Potenzial der russischen Nahrungsmittelproduktion ein?
Wir haben global drei Megatrends identifiziert, die auch in Russland aus unserer Sicht künftig richtungsweisend sein werden: zum einen sehen wir eine fortschreitende Urbanisierung der Weltbevölkerung und ein stetiges Bevölkerungswachstum. Ein demographischer Anstieg der Bevölkerung ist zwar in Russland mittelfristig nicht zu erwarten, dafür umso mehr in den Ländern Zentralasiens, deren Märkte wir auch von Russland aus bedienen. In Zukunft werden immer mehr Menschen in Metropolen leben und sich nicht mehr selbst ernähren. Hier ergibt sich ein Potenzial für russische Lebensmittelproduzenten, die auch die Exportmärkte in den GUS-Staaten und in China nicht aus den Augen verlieren werden.
Weiterhin rechnen wir damit, dass die Ausbildung einer urbanen Mittelschicht mit steigenden Anforderungen an Lebensmittelsicherheit und -qualität einhergehen wird. Mit einer wachsenden Mittelschicht steigen auch die Ansprüche an die Qualität der Lebensmittel. Menschen wollen sich gesund, vernünftig und praktisch ernähren. Dadurch steigt der Bedarf an Lösungen zur Prozesssicherheit, um eine gleichbleibende Lebensmittelqualität zu gewährleisten, aber auch die Nachfrage nach modernen Nahrungsmitteln, wie Convenience-Food. Und schließlich werden die Themen Ressourcenknappheit und sich verschärfende Umweltauflagen seitens der Behörden die Nachfrage des Marktes verändern.
Welche Erwartungen und Pläne hat GEA für Russland für die kommenden zwei bis drei Jahre?
Mittelfristig sind wir positiv gestimmt. Was die Lokalisierung angeht, sind für uns Kundennutzen und ökonomischer Nutzen maßgeblich. Wenn der Aufbau einer lokalen Produktion sinnvoll ist, um unseren Kunden mit der Individualität und hohen Qualität unserer Produkte sowie geringeren Lieferzeiten an uns zu binden, dann gehen wir das langfristig auch an. Dabei prüfen wir jede Produktkategorie individuell.
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