Oktober 2018
Autorin: Meike Eckelt
Weltweit leiden fast 40 Millionen Menschen unter Formen der modernen Sklaverei. Darunter fällt auch Kinderarbeit in Minen, so wie im indischen Bundesstaat Meghalaya.
© Daniel Etter/laif
Die Medien beschäftigen sich schon lange mit global agierenden Unternehmen, die schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschäden verursachen. Ein prominentes Beispiel: Im Jahr 2013 stürzte das Rana-Plaza-Gebäude mit fünf Bekleidungsfabriken nördlich der bangladeschischen Hauptstadt Dhaka ein. Das Unglück forderte mehr als 1.130 Menschenleben und noch mehr Verletzte. In den Textilfabriken wurde auch Kleidung für den deutschen Markt produziert.
Bisher konzentriert sich das öffentliche Interesse an der menschenrechtlichen Sorgfalt hauptsächlich auf größere, weltweit agierende Unternehmen mit starker Markenpräsenz. Jedoch sind viele kleine und mittlere Unternehmen Geschäftspartner oder Zulieferer von Großunternehmen und staatlichen Stellen, die selbst Erwartungen in Bezug auf Menschenrechte ausgesetzt sind und nachweisen müssen, wie sie mit diesen Fragen in ihrer Wertschöpfungskette umgehen. Das Bundeskabinett verabschiedete vor zwei Jahren deshalb den sogenannten Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte, kurz: NAP. Dort heißt es: „Die Verantwortung von Wirtschaftsunternehmen zur Achtung der Menschenrechte obliegt allen Unternehmen unabhängig von ihrer Größe, dem Sektor, ihrem operativen Umfeld, ihren Eigentumsverhältnissen und ihrer Struktur.“
Mit dem NAP setzt Deutschland die Leitprinzipien der Vereinten Nationen für Wirtschaft und Menschenrechte aus dem Jahr 2011 um. Damit verankert die Regierung auch die Verantwortung von deutschen Unternehmen in globalen Liefer- und Wertschöpfungsketten. Eine rechtliche Pflicht zur Umsetzung besteht derzeit nicht, stattdessen setzt die Regierung auf eine freiwillige Selbstverpflichtung.
Der Aktionsplan soll die weltweite Menschenrechtslage verbessern und die Globalisierung sozial gestalten. Verantwortliches Operieren von Unternehmen umfasst damit, neben dem Thema Menschenrechte und Arbeitsnormen, auch das Vorsorgeprinzip im Umgang mit Umweltthemen und das Eintreten gegen alle Arten der Korruption. So sieht es United Nations Global Compact, die weltweit größte und wichtigste Initiative für verantwortungsvolle Unternehmensführung.
Kurz & Knapp
Risikobranchen für moderne Sklaverei
Dass kaum eine Industrie frei von Formen der modernen Sklaverei ist, zeigen die Zahlen der Internationalen Arbeitsorganisation. Auch heute noch leben weltweit rund 40 Millionen Menschen unter sklavenähnlichen Bedingungen. Hinzu kommen 152 Millionen Fälle von Kinderarbeit, die zu 70 Prozent in der Landwirtschaft vorkommen. Die Land- und Fischereiwirtschaft, der Chemiesektor sowie die Bekleidungsindustrie zählen nach Angaben des Deutschen Global Compact Netzwerks zu den besonders risikoreichen Branchen. Besonders betroffen sind auch der Bergbau, die Elektronikbranche sowie die Bauwirtschaft und der Einzelhandel. Der Nationale Aktionsplan der Bundesregierung empfiehlt, Elemente des Sorgfaltsprozesses auf Verbands- oder Branchenebene zu etablieren. Beispiele dafür sind das Bündnis für nachhaltige Textilien und Chemie hoch 3, die Nachhaltigkeitsinitiative der deutschen Chemieindustrie.
Standards vor Ort überprüfen
In der Praxis gibt es dazu bereits viele positive Beispiele. So haben Unternehmen ihre Lieferkette weiterentwickelt, um einen größeren direkten Einfluss auf ihre Zulieferer zu bekommen und um Umwelt- und Sozialstandards durchzusetzen. Dabei werden beispielsweise die Geschäftsbeziehungen mit den Zulieferern persönlich vor Ort geregelt. Die Standards kontrollieren Unternehmer durch Auditsysteme, die unter anderem sicherstellen, dass alle Zulieferer faire Löhne zahlen und dass Zwangs- und Kinderarbeit ausgeschlossen sind.
Geht es um Menschenrechte, formulieren die Leitprinzipien der Vereinten Nationen keine neuen Rechte, sondern Erwartungen. Genauer gesagt: Es geht darum, bestehende Rechte einzuhalten und Prozesse dafür zu schaffen. Die Grundlage dafür sind Menschenrechtsverpflichtungen wie die Internationale Menschenrechtscharta oder die Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO). Das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit müssen Unternehmen ebenso wahren wie das auf gerechte und angemessene Arbeitsbedingungen oder das Recht auf Beitritt zu einer Gewerkschaft.
Das sei kein Selbstläufer, warnt Katharina Hermann. Sie leitet den NAP Helpdesk für Wirtschaft und Menschenrechte bei der Agentur für Wirtschaft & Entwicklung und berät täglich Unternehmen. „Es ist selbst für gut aufgestellte Unternehmen oft nicht leicht, zum Beispiel Arbeitssicherheitsstandards im Ausland umzusetzen.“ (zum ausführlichen Interview) Gerade in strukturschwachen Gegenden sei es illusorisch, Veränderungen von heute auf morgen zu erwarten. Auch deshalb räumt der NAP den Unternehmen etwas Zeit ein. Das Ziel: Im Jahr 2020 sollen mindestens die Hälfte aller Unternehmen in Deutschland mit mehr als 500 Beschäftigten die wichtigsten Elemente menschenrechtlicher Sorgfalt in ihre Prozesse integriert haben. Sollte dieses Ziel nicht erreicht werden, will die Regierung „national gesetzlich tätig“ werden und sich für eine EU-weite Regelung einsetzen. So steht es im aktuellen Koalitionsvertrag.
Ob und inwieweit es in den Unternehmen vorangeht, möchte die Bundesregierung mit repräsentativen Stichproben herausfinden. In den kommenden zwei Jahren befragt die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY deutsche Unternehmen, die mehr als 500 Mitarbeiter beschäftigen. Die Auswertungen erfolgen anonymisiert. Die Aussagekraft des Monitorings hängt von einer hohen Rücklaufquote ab, die Bundesregierung bittet daher alle betroffenen Unternehmen um aktive Teilnahme an der Befragung.
Als das Rana-Plaza-Gebäude in Bangladesch einstürzte, starben mehr als 1.130 Menschen, 2.438 wurden verletzt. Die meisten von ihnen arbeiteten in Textilfabriken und nähten auch für bekannte deutsche Modefirmen. An der Stelle, an der das Gebäude einmal stand, klafft heute eine große Lücke. Angehörige kommen regelmäßig hierher, um den Opfern zu gedenken. Als Reaktion auf die Katastrophe hat Bangladesch etliche Fabriken überprüft und aus Sicherheitsgründen geschlossen.
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Sorgfalt in der Lieferkette
Um die Anforderungen zu erfüllen, konzentrieren sich international aufgestellte Unternehmen normalerweise auf eine globale Risikoanalyse, oft wählen sie auch bestimmte Produkte oder Regionen aus. Dabei werden die gesamte Lieferkette geprüft und die Risiken ermittelt. Hier sollten Unternehmer insbesondere darauf achten, dass sie die ILO-Kernarbeitsnormen einhalten. Bevor Unternehmen neue Beschaffungsmärkte und Regionen erschließen, ist zudem eine Risikoanalyse empfehlenswert. Bei Stammlieferanten können Unternehmer bis in die tiefere Lieferkette Audits und Assessments durchführen. Neue Lieferanten müssten gezielt vorher geprüft werden.
Grundsätzlich gilt: Unternehmen sollten einen proaktiven Ansatz verfolgen. Das wirkt sich zum einen positiv auf die Unternehmensstrategie aus, weil es unter anderem ein erfolgreicheres Wirtschaften in Entwicklungs- und Schwellenländern mit einem nachhaltigen Lieferkettenmanagement ermöglicht. Gleichzeitig stellt sich das Unternehmen auf wachsende Stakeholder-Erwartungen ein. Und: Das Unternehmen profitiert, indem es höhere menschenrechtliche Standards beachtet als seine Wettbewerber. Viele Verbraucher fordern vermehrt nachhaltige Produktion. Zudem gibt es die Möglichkeit, am Markt mit positivem Engagement zu werben.
Andererseits gilt es, Risiken zu verringern oder ganz zu vermeiden. Das Reputationsrisiko existiert vor allem für Unternehmen, die nahe am Markt agieren und einen Markennamen etabliert haben. So können Medien und öffentliche Meinungsäußerungen das Image einer Marke im Handumdrehen verändern. Operative Risiken, wie beispielsweise Unruhen vor Ort, können zudem verringert werden. Regulatorische Risiken gilt es ebenso zu vermeiden: So sind international operierende Unternehmen zum Beispiel durch Gesetze anderer Länder betroffen, wie bei Lieferungen nach Großbritannien durch den 2015 erlassenen UK Modern Slavery Act. Wer menschenrechtliche Sorgfaltsprozesse einführt, verringert aber vor allem auch Klagerisiken. Der NAP verweist auf Ansprüche Betroffener, die an deutschen Zivilgerichten geltend gemacht werden können. So heißt es: „Auch wer sich durch Handlungen eines deutschen Unternehmens im Ausland in seinen Rechten verletzt sieht, kann in Deutschland klagen, und zwar grundsätzlich am Sitz des Unternehmens.“
Checkliste
Der Nationale Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte der Bundesregierung erwartet von den Unternehmen, fünf Kernelemente zu berücksichtigen und umzusetzen:
1. Grundsatzerklärung zur Achtung der Menschenrechte
Unternehmen sollten öffentlich zum Ausdruck bringen, dass sie ihrer Verantwortung zur Achtung der Menschenrechte nachkommen.
2. Verfahren zur Ermittlung tatsächlicher und potenziell nachteiliger Auswirkungen auf die Menschenrechte
Hier geht es um menschenrechtliche Risiken für potenziell Betroffene des unternehmerischen Handelns, also beispielsweise Mitarbeiter im eigenen Betrieb und in der Lieferkette, aber auch Anwohner oder Kunden.
3. Maßnahmen zur Abwendung potenziell negativer Auswirkungen und Überprüfung der Wirksamkeit dieser Maßnahmen
Darunter versteht man spezialisierte Schulungen bestimmter Beschäftigter im Unternehmen oder bei Lieferanten. Es gehört aber auch dazu, bestimmte Managementprozesse anzupassen, in der Lieferkette zu verändern oder Brancheninitiativen beizutreten.
4. Berichterstattung
Unternehmen sollten Informationen bereithalten und gegebenenfalls extern kommunizieren, dass sie die Auswirkungen ihres Handelns auf die Menschenrechte kennen und ihnen begegnen. Bestimmte deutsche Unternehmen mit über 500 Mitarbeitern sind bereits durch das CSR-Richtlinie-Umsetzungsgesetz berichtspflichtig.
5. Einführung eines Beschwerdemechanismus
Zur frühzeitigen Identifikation von tatsächlich oder potenziell nachteiligen Auswirkungen sollten Unternehmen entweder selbst Beschwerdeverfahren einrichten oder sich aktiv an externen Verfahren beteiligen. Letztere können beispielsweise auf Verbandsebene eingerichtet werden.
Service & Kontakt
Ausführliches Interview mit Katharina Hermann vom NAP Helpdesk
Interview mit Staatssekretär a.D. Matthias Machnig über ethische Grundsätze
GTAI-Ansprechpartnerin
Meike Eckelt
+49 228 24 993 278
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