Neuer Anfang?
Deutsche Unternehmen erhoffen sich von der Wahl des neuen US-Präsidenten Joe Biden eine Normalisierung des deutsch-amerikanischen Verhältnisses. Tatsächlich sucht Biden erkennbar den Schulterschluss mit Europa.
Februar 2021
Autor: Ullrich Umann
Angekommen: Am 20. Januar sind Joe und Jill Biden ins Weiße Haus eingezogen. Der neue Präsident hat viel vor – und brachte direkt nach der Amtseinführung dutzende Regierungsdekrete auf den Weg. © Doug Mills/NYT/Redux/laif
Als Joe Biden „America is back“ ausrief, wirkte das auf die Fernsehzuschauer im In- und Ausland wie ein Befreiungsschlag. Die Zeit der Alleingänge beziehungsweise der bilateralen „Deals“, wie sie Donald Trump so gern nannte, scheint überwunden. Biden wird die USA auf die Weltbühne zurückführen. Statt ständig Forderungen zu stellen, legt Washington auch wieder Angebote auf den Tisch – zum Beispiel dazu, wie das handelspolitische Geflecht in der Welt für alle Länder gewinnbringend repariert werden kann.
Multilateralismus wird Handlungsbasis
Ein ganzes Bündel an Initiativen brachte Joe Biden gleich nach seinem Amtsantritt am 20. Januar auf den Weg: Er unterzeichnete das Pariser Klimaschutzabkommen erneut und will sich aktiv an UN-Organisationen wie der Weltgesundheitsorganisation beteiligen. Auch im Rahmen der G7 und G20 will Biden enger zusammenarbeiten, konstruktive Beiträge leisten zur Weiterentwicklung der Welthandelsorganisation. Zudem erwägt er einen Beitritt der USA zum Freihandelsabkommen Comprehensive and Progressive Agreement for Trans-Pacific Partnership.
Damit macht Joe Biden klar, dass seine Regierung künftig multilaterale Plattformen bemühen wird, wenn es um die Beilegung von Streitfragen oder das Einbringen von Reformvorschlägen geht. Antony Blinken wird Secretary of State, also Außenminister. Er hat laut dem Nachrichtensender Bloomberg bereits im September die Forderung gestellt, den „künstlichen Handelskrieg mit der EU“ zu beenden – schließlich „verfolge man grundsätzlich dieselben Ziele“.
Zwischen dem Team Biden und den Verantwortlichen in Europa haben die Gespräche sogar schon im November eingesetzt, so als gelte es, die Dynamik der ersten Stunde zu nutzen. Paris möchte zum Beispiel eine einvernehmliche Lösung mit der US-Regierung in Fragen der Digitalsteuer und im Airbus-Boeing-Streit erzielen. Berlin bringt wiederum einen neuen Anlauf zu einem Freihandelsabkommen für Industriewaren ins Spiel, wie aus der CDU/CSU-Fraktion des Deutschen Bundestages zu vernehmen war. Und auch der Wegfall der US-Strafzölle auf Stahl und Aluminium aus der Europäischen Union dürfte kein Tabuthema mehr sein.
USA sucht Verbündete für Chinapolitik
Biden sucht den Schulterschluss mit der EU, um unter anderem eine Lösung des gravierenden Handelskonflikts mit China herbeizuführen. Dabei geht es um Themen wie den Joint-Venture-Zwang, Schutz des geistigen Eigentums und unzulässige Exportsubventionen. Peking dürfte es wesentlich schwerer fallen, sich Reformen zu verweigern, sollte es sich einer vereinten Verhandlungsmacht aus USA und EU gegenübersehen.
Der neue US-Präsident sorgt auch für frischen Wind auf den heimischen Märkten. Er will sowohl den Klimaschutz als auch die Dekarbonisierung von Wirtschaft und Verkehr vorantreiben. Dafür stellt er öffentliche Mittel für Forschung und Entwicklung von Zukunftstechniken in Aussicht. Per Präsidial- und Behördenverordnungen will seine Regierung für die notwendigen regulativen Rahmenbedingungen sorgen, darunter strenge Emissionsstandards und steuerliche Anreize zur Produktion und Anschaffung klimafreundlicher Technologien.
Selbst republikanisch regierte Bundesstaaten werden dabei mitziehen, würden sie doch im Wettbewerb um Unternehmensansiedlungen sonst ins Hintertreffen geraten. Zumal erneuerbare Energien schon jetzt preislich günstiger ausfallen als fossile Energieträger. Genau aus diesem Grund liegt gerade das republikanisch regierte Texas beim Ausbau von Windkraft und Fotovoltaik im Rennen ganz weit vorn.
Technikzulieferer können profitieren
Deutsche Maschinenbauer und Elektrotechniker können an diesem energiepolitischen Strukturwandel gewinnbringend partizipieren. Denkbar wäre auch eine noch engere Verzahnung der Forschungspotenziale beider Länder, etwa zur Weiterentwicklung von Wasserstofftechnologien bis hin zur Brennstoffzelle. Der Green New Deal hat dabei das Potenzial, die deutsch-amerikanische Zusammenarbeit ein gutes Stück voranzubringen.
Einbringen kann sich die deutsche Wirtschaft auch in Bidens Vorhaben, die seit Jahren fällige Modernisierung der Infrastruktur auf den Weg zu bringen. Noch als Vizepräsident unter Barack Obama nannte Biden den New Yorker Airport LaGuardia einen Flughafen der Dritten Welt. „Wir brauchen massive Investitionen in die Infrastruktur: Straßen, Brücken, Flughäfen, Breitband. Wir hinken jetzt schon zu viele Jahre hinterher“, sagte Biden in einer Rede im Jahr 2014.
Deutsche Unternehmen mit Niederlassungen in den USA schauen mit hohen Erwartungen in die Zukunft, können sich aber nicht ganz von ihren zwiespältigen Gefühlen der vergangenen vier Jahre freimachen. Einerseits begrüßen sie die 2017 angenommene Senkung der Körperschaftssteuer bis heute einhellig, die Deregulierung der Märkte ebenfalls, ausgenommen vielleicht die Lockerung der Umweltstandards. Andererseits hat ihnen der Protektionismus in Handels- und Migrationsfragen handfeste Verluste eingebracht, denn die drastischen Zollerhöhungen ließen die Preise für Einfuhrgüter in die Höhe schnellen. Gleichzeitig sorgten ausländische Gegenmaßnahmen für höhere Ausfuhrkosten.
Als sei es mit handfesten Handelskriegen noch nicht genug gewesen, wechselte Donald Trump häufig den Kurs, um den Druck auf seine ausländischen Verhandlungspartner zu erhöhen. Doch damit erzeugte er Instabilität und schadete letztlich der eigenen Industrie: Jegliche unternehmerische Langzeitplanung wurde zu einem Vabanquespiel.
© picture alliance/AP/Carolyn Kaster
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