Neuland

Überall auf der Welt gibt es unterschätzte Wirtschaftsstandorte. Manche ­stehen im Schatten der bekannteren Cluster ihres Landes, andere entwickeln sich erst zu Geheimtipps. Wir stellen sie vor. Diesmal: die Jamal-Halbinsel.

August 2021
Autor: Hans-Jürgen Wittmann

Einmal im Jahr gibt es beim Festival Dusha Tundry (Seele der Tundra) lokale Folklore und Gesänge der Völker des Nordens.

Was macht die Jamal-Halbinsel jetzt interessant?

Unter dem ewigen Eis der Arktis schlummern etwa drei Viertel aller erschlossenen Gas- sowie ein Fünftel der Ölvorkommen Russlands. Damit ist die Jamal-Halbinsel das Zentrum der russischen Gasförderung. Bis 2035 will die Regierung die Fördermenge um ein Drittel steigern, die Produktion von Flüssiggas (LNG) soll sich gar vervierfachen. Der Energiekonzern Novatek hat Ende 2017 mit Jamal LNG das weltweit erste Gasverflüssigungswerk in der Arktis hochgezogen, mit Arctic-2-LNG und Obski LNG stehen zwei weitere Anlagen in den Startlöchern. Übrigens: Deutschland bezieht ein Drittel seines Gases aus Russland und ist damit seit jeher per Pipeline mit der Jamal-Halbinsel verbunden.

»Das Wort Jamal ­bedeutet in der Sprache der indigenen Nenzen wörtlich übersetzt: ­
Ende der Welt.«

Hans-Jürgen Wittmann
Korrespondent für Russland

Was spricht sonst für die Jamal-Halbinsel?

Die russische Regierung investiert kräftig in neue Gleise auf der Halbinsel. Sie will etwa die nördlichste Eisenbahnstrecke der Welt von Obskaja nach Karskaja um 170 Kilometer bis zum Hafen Sabetta verlängern. Das Projekt trägt den filmreifen Namen Polarkreisbahn 2. Doch die Seen- und Sumpflandschaft der Tundra erschwert den Bau und lässt die Kosten auf etwa eine Milliarde Euro ansteigen. Zudem macht der Klimawandel der Region stark zu schaffen. Die Arktis erwärmt sich doppelt so schnell wie der Rest des Blauen Planeten.

ca. 547.000

Einwohner hat die Region Jamal-Nenzen

Was erwartet Unternehmen auf der Jamal-Halbinsel?

In den kommenden Jahren fließen Milliardensummen in neue Projekte auf der Halbinsel. So erschließt Gazprom neue Lagerstätten wie Kharasaveyskoye und Kruzenshternskoye. Währenddessen erwägt der Petrochemiekonzern Sibur, mehr als 30 Milliarden Euro in ein Gaschemiecluster bei Sabetta zu investieren. Mit der Pipeline Power of Siberia 2 will Russland außerdem seine Gasexporte nach China steigern, geplante Kapazität: 50 Milliarden Kubikmeter pro Jahr. Und: Bis 2030 soll sich das Frachtaufkommen über die Nordostpassage verdreifachen – auf 100 Millionen Tonnen jährlich. Einen Großteil davon dürfte LNG aus den Flüssiggaswerken von Novatek sein.

Was muss man über die Jamal-Halbinsel wissen?

Das Wort Jamal bedeutet in der Sprache der indigenen Nenzen wörtlich übersetzt: Ende der Welt. Und so fühlt es sich im Winter auch an, wenn die arktischen Temperaturen auf unter 50 Grad Celsius fallen. Entsprechend schwer ist die Halbinsel zu erreichen, die in etwa der Größe der neuen Bundesländer entspricht. Seit 2011 verbindet die 570 Kilometer lange Trasse Obskaja–Karskaja Jamal mit dem russischen Eisenbahnnetz. Die Arbeiter auf den Gasförderstätten (Wachtjory) reisen üblicherweise per Helikopter an und verbringen dann mehrere Wochen in improvisierten Unterkünften.

In Novyj Port befindet sich die weltweit einzige Kühlkammer der Welt im Permafrost – dort ist es minus 17 Grad Celsius kalt.

Wie geht es für die Jamal-Halbinsel weiter?

In den vergangenen Jahren kletterte das Thermometer im Sommer zeitweise auf bis zu 30 Grad Celsius plus. Der schmelzende Permafrost führt zum Austritt von im Boden eingeschlossenem Methangas, was wiederum eine Kraterlandschaft hinterlässt. Seit 2014 wurden mehr als 17 Krater mit einem Durchmesser von bis zu 30 Metern entdeckt – ein alarmierendes Signal. Gazprom reagiert und setzt zur Schonung des Permafrostbodens moderne Technologien wie wärmeisolierte Rohre ein.

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