Dezember 2019
Autor: Roland Rohde
Tanztheater in Nationalrot beim Staatsbankett: Im Dezember 2018 feierte Beijing das 40-jährige Jubiläum seiner Wirtschaftsreformen. Seitdem steigt die Wirtschaftskraft des Landes. ©Ding Haitao/Polaris/laif
Die englischsprachige Tageszeitung „China Daily“ legte im Zuge des Handelskonfliktes zwischen den USA und China einen erstaunlichen Strategiewechsel an den Tag. Zunächst kritisierte die Zeitung die Linie Washingtons deutlich. Als das keine Wirkung im Weißen Haus zeigte, berichtete das staatliche Blatt stattdessen, wie stark einzelne Branchen in den USA unter den Folgen des Zollkonfliktes litten und wie sehr sich die Volksrepublik im Gegenzug für Freihandel und mehr ausländische Investitionen einsetze.
Beim genaueren Hinsehen zeigt sich: Die negativen Auswirkungen des Handelskonfliktes sind vor allem in China selbst zu spüren. Außerdem erweisen sich die angekündigten Liberalisierungsschritte als eine eher zögerliche Marktöffnung, die zudem von anderen Maßnahmen konterkariert wird.
Immerhin bewegt sich, letztendlich dank des Handelskonflikts, etwas. In China tätige deutsche Unternehmer sagen hinter vorgehaltener Hand – namentlich zitieren lassen will sich niemand – unisono: So wenig sie US-Präsident Donald Trump mögen, so sehr unterstützen sie seine Zollpolitik gegenüber dem Reich der Mitte. Chinesische Unternehmen könnten sich fast ungehindert in Europa oder den Vereinigten Staaten engagieren, umgekehrt sei das nur sehr bedingt möglich.
Ob und in welchem Ausmaß internationale Unternehmen in China tätig werden dürfen, bestimmt die sogenannte Negative Investment List. Sie regelt unter anderem, in welchen Bereichen ausländische Firmen ein Joint Venture mit chinesischen Firmen gründen müssen und wie viel Prozent der Anteile sie maximal halten dürfen. Bei Werten von unter 50 Prozent ist der Technologieabfluss quasi vorprogrammiert. Im für deutsche Unternehmen wichtigen Automobilsektor liegt die entsprechende Grenze beispielsweise bei 50 Prozent.
Die Liste ist nicht in Stein gemeißelt, sondern wird ständig von der chinesischen Regierung gelockert. Die größten Liberalisierungsschritte gab es im Jahr 2015, seitdem erfolgen immer wieder Anpassungen. Auch im Jahr 2019 folgte ein weiterer Schritt: Gemäß den diesjährigen Reformen soll unter anderem für Automobilunternehmen ab 2022 keine maximale Beteiligungsgrenze mehr gelten. BMW ließ bereits verkünden, seinen Anteil an einem Joint Venture mit dem Partner Brilliance auf 75 Prozent aufstocken zu wollen. Allerdings dürfen deutsche Unternehmen auch nach 2022 an höchstens zwei Tochtergesellschaften die Mehrheit besitzen.
Tempo und Ausmaß der Reformen lassen zu wünschen übrig.
Kein Gesetz ohne Ausnahme
Im Finanzsektor wird es laut Ankündigung der China Banking and Insurance Regulatory Commission, der zuständigen Aufsichtsbehörde, bereits 2020 zwölf Liberalisierungsmaßnahmen geben. Die wichtigste Neuerung besteht darin, dass es für internationale Banken und Versicherungen keinen Joint-Venture-Zwang mehr geben wird. Ferner ist eine Reduzierung bezüglich der Mindestsumme an Aktiva vorgesehen, die eine ausländische Bank aufweisen muss. Bei Versicherungen fällt die Vorschrift weg, vor Marktantritt bereits 30 Jahre im Assekuranzgeschäft tätig gewesen zu sein.
Doch es gilt die alte Regel: kein Gesetz ohne Ausnahme. So gewährt Beijing einzelnen ausländischen Marktteilnehmern bereits vor den angekündigten Terminen Gefälligkeiten. Etwa der deutsche Versicherer Allianz soll bereits für 2019 die Erlaubnis erhalten haben, eine eigene Holding in Shanghai zu gründen, die zu 100 Prozent in der Hand der Allianz ist.
Die Negative Investment List ist allerdings nur eine der zahlreichen Markteintrittsbarrieren. So benötigen Autobauer oder Finanzinstitute entsprechende Produktions- und Geschäftslizenzen. Teils werden diese nur sehr restriktiv vergeben. Banken und Versicherungen etwa müssen für jede einzelne chinesische Provinz eine entsprechende Genehmigung einholen.
Hinzu kommt: Mittelständler können von den angekündigten Maßnahmen nur sehr bedingt profitieren. Der tägliche Kampf mit der Bürokratie steht für sie im Vordergrund. Dabei zeigt sich, dass der staatliche Einfluss auf private Unternehmen in den vergangenen Jahren spürbar zugenommen hat. Kader der kommunistischen Partei werden in die Aufsichtsgremien gedrängt. Schon bald soll zudem ein soziales Punktesystem für Firmen eingeführt werden. Damit werden Unternehmen für gutes Verhalten belohnt, für Missstände – etwa im Umweltschutzbereich – gibt es Abzüge. Landeskenner sind sich einig: Im Prinzip macht das zwar Sinn, doch das System dürfte schwer durchschaubar und nachvollziehbar sein. Der Willkür werde damit Tür und Tor geöffnet.
In der Summe bleibt somit von den realisierten und angekündigten Liberalisierungsschritten wenig übrig. Der Vorsitzende des Asien-Pazifik-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft, Joe Kaeser, forderte daher Anfang September 2019 die Volksrepublik zu einer weiteren Marktöffnung und einem besseren Schutz von Investitionen auf. Europäische Unternehmen müssten einen einfacheren Marktzugang erhalten, meint der Transatlantikexperte.
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