Aus der Not geboren

Viele Unternehmen gehen gestärkt aus der Coronakrise hervor. Weil sie schon breit aufgestellt ­waren. Weil sie auf Neues gesetzt haben. Oder weil sie ganz konsequent bei ihrer Linie geblieben sind. Was sie alle eint, heißt Resilienz.

Juni 2022
Autor:innen: Mareen Haring, Gloria Rose, Heiko Steinacher und Joanna Zygadlo

Notlösungen. Ob Instantkaffee, Salatcreme oder Playmobilfiguren – viele ­Innovationen, die sich später als Welterfolge erweisen sollten, entstanden in Krisensituationen. Ihre Väter und Mütter wollten zunächst einfach nur die schlechten Zeiten überstehen. Das zeigt, welche Kraft in Krisen stecken kann.


Nescafé. Ein Jahr nach Beginn der Weltwirtschaftskrise 1929 verzeichneten die Kaffeebauern weltweit Rekordernten. Um einen Preisverfall zu verhindern, vernichteten sie einen Großteil der Bohnen – und machten sich auf die Suche nach einem neuen Produkt, das überschüssige Kaffeebohnen künftig haltbar machen würde. Den Auftrag bekam die Schweizer Firma Nestlé. Acht Jahre später kam der erste wasserlösliche Instantkaffee auf den Markt.  © Link&Kress, Kammann Rossi

Für das Medizintechnikunternehmen Resmed bedeutete Corona prall gefüllte Auftragsbücher. Und das ist kein Wunder. „Bei Beatmungs- und Atemtherapiegeräten ist das Auftragsvolumen quasi explodiert“, sagt Katrin Pucknat, Geschäftsführerin von Resmed Germany. Denn auch, wenn es längst genügend Masken und Schutzkleidung gibt, fehlt in vielen Krankenhäusern der Welt nun medizinisches Gerät. Der Schlaf- und Beatmungsgerätespezialist könnte theoretisch liefern. Bloß fehlen ihm die Materialien, um die in der Pandemie gefragten Atemhilfen zu bauen: Aluminium, Kunststoff und nicht zuletzt Halbleiter sind Mangelware.

Die Pandemie hat einen Dominoeffekt entlang der globalen Lieferketten ausgelöst, der auch nach den bisherigen Lockdowns für weitere Engpässe sorgt. Die erste Nachwehe kam mit der weltweiten wirtschaftlichen Erholung im zweiten Coronajahr 2021: Denn so schnell wie die Nachfrage nach Rohstoffen anzog, ließen sich die Produktionsanlagen nicht wieder hochfahren. Die Folgen waren Knappheit und Preis­erhöhungen. Parallel dazu wütete die Chipkrise und brachte neben der Elektronik- auch die Autoindustrie in Bedrängnis. Der Ukrainekrieg könnte die schwierige Lage an den Chipmärkten weiter verschärfen: Sowohl Russland als auch die Ukraine sind wichtige Lieferländer des Edelgases Neon und des Edelmetalls Palladium – beides Rohstoffe für die Produktion von Halbleitern. Die steigenden Energiepreise bereiten der Exportwirtschaft zusätzlich Sorgen.

Und dann sind da noch die Frachtkosten. Zu Beginn der Coronakrise haben viele Reedereien Containerschif­fe aus dem Markt genommen. Inzwischen scheinen sie zwar alle wieder auf den Weltmeeren unterwegs zu sein. Doch die Frachtraten sind weiterhin hoch. „Die Kosten für einen 20-Fuß-Standardcontainer lagen im Frühjahr 2022 im Schnitt immer noch mindestens fünf bis sechs Mal über dem Vorkrisenniveau“, sagt Merlin Dow von der US-Niederlassung des Logistikunternehmens Gebrüder Weiss in Illinois.

Die einen legen Vorräte an

In einem solchen Umfeld ist es schwierig, strategisch richtige Entscheidungen zu treffen. Viele Unternehmen sind derart globalisiert, dass sie ihre eingespielten Liefer- und Wertschöpfungsketten nicht von heute auf morgen restrukturieren können. Beispiel Apple: Der Techgigant hat weltweit über 200 Zulieferer aus mehr als 50 verschiedenen Ländern – wo soll man da anfangen? Viele Firmen bauen globale Lieferketten gar nicht erst um, sondern ziehen sich auf weitgehend bekanntes Terrain zurück. So wollen laut einer Untersuchung des Ifo-Instituts nur wenige deutsche Produktionsbetriebe mehr Vorprodukte dort einkaufen, wo sie produzieren. Sie wollen vielmehr ihre Lagerbestände erhöhen und Zulieferer stärker regional diversifizieren. Ähnlich sieht es in den USA aus. „Um Leerkapazitäten zu vermeiden, wollen Autobauer ihre Sicherheitsbestände um bis zu acht Wochen ausbauen“, sagt Logistikexperte Dow. Große Handelsketten müssen ihre Lagerhaltung inzwischen zehn Monate und länger im Voraus planen.

Andere bauen redundante Strukturen

Andere Unternehmen holen Teile ihrer weltweiten Produktion näher heran an die Endmärkte. So hat der Pumpenspezialist Wilo eine regionale Zentrale in Peking eröffnet. Auch in den USA soll eine solche entstehen, darüber hinaus weitere Produktionsstätten in China, Indien und den USA. Dabei spielt der Technologiestreit zwischen den USA und China eine große Rolle: Wer Erzeugnisse in beiden Ländern anbieten will, muss bei fortschreitendem Tech-Decoupling künftig womöglich an beiden Standorten getrennte Strukturen aufbauen, um die dort jeweils geltenden Industriestandards erfüllen zu können.

Es gibt aber auch Unternehmen, denen Corona erstaunlich wenig hat anhaben können. Eine Studie der Boston Consulting Group (BCG) von Herbst 2021 stellt deutsche Unternehmen vor, die gestärkt aus der Coronakrise hervorgehen. Sie konnten kurzfristig Liquidität freisetzen und sich dadurch in der Krise mehr Handlungsspielraum verschaffen. Sie hatten alle eine klare mittelfristige Wettbewerbsstrategie und sind in der Krisenzeit nie bloß „auf Sicht gefahren“. Auch bei organisatorischen Anpassungen haben sie sich nicht durch die Pandemie beirren lassen. Sie haben eine Losung beherzigt, die dem legendären britischen Premierminister Winston Churchill zugeschrieben wird: Never waste a good crisis. Die große Krise – so scheint es – hat sie bloß stärker gemacht.