April 2018
Autor: Boris Alex
Windräder und Solaranlagen sind in den Weiten Russlands noch ein sehr seltener Anblick, ihr Anteil an der Stromerzeugung liegt im Promillebereich. Doch das soll sich in den nächsten Jahren ändern: Murmansk im Nordwesten und Rostow im Südwesten des Landes sind nur zwei Regionen, in denen größere Windparks geplant sind. Das Besondere: Die Turbinen liefert der deutsch-spanische Konzern Siemens Gamesa.
Für das Unternehmen sind es die ersten Großprojekte in Russland. Investor ist der italienische Energiekonzern Enel, der sich in der Ausschreibung im vergangenen Jahr zwei Tranchen mit 90 und 200 Megawatt sichern konnte. Bis Ende 2020 sollen sich in Rostow die ersten Rotorblätter drehen, im Jahr darauf dürfte dann in Murmansk der Windstrom fließen. Auf 400 Millionen Euro wird der Investitionsbedarf für die beiden Windparks geschätzt.
Nachdem der Ausbau der erneuerbaren Energien bislang eher schleppend vorankam, hat die russische Regierung inzwischen einen Gang hochgeschaltet. „Bis Ende 2019 wollen wir die netzgebundenen Kapazitäten auf 2,4 Gigawatt vervierfachen“, sagt Olga Yudina vom Ministerium für Energie (Minenergo). Bis 2024 sollen dann Windkraft- und Solaranlagen mit einer Leistung von sechs Gigawatt und bis 2035 mit insgesamt neun Gigawatt Strom ins Netz einspeisen.
Der russische Markt tickt anders
Bei der Windenergie ist die Projektpipeline bis zum Jahr 2024 gut gefüllt. Bis dahin sollen Anlagen mit einer Leistung von 3.150 Megawatt den Betrieb aufnehmen. Schaut man sich allerdings an, wer die Investoren sind, wird klar, dass der russische Markt anders tickt. Denn neben Enel sind nur zwei weitere Unternehmen bei den Ausschreibungen zum Zuge gekommen: der finnische Energieversorger Fortum, der seine Windparks mit Turbinen des dänischen Anbieters Vestas bestückt, und der staatliche Atomenergiekonzern Rosatom, der mit dem niederländischen Turbinenhersteller Lagerwey kooperiert.
Die Hürden sind für ausländische Unternehmen beim Markteinstieg also vergleichsweise hoch. „Die Regierung stellt bei den Projekten strenge Anforderungen an den Lokalisierungsgrad“, betont Igor Bryzgunov vom russischen Windenergieverband Rawi. Für dieses Jahr wurde der Anteil der lokalen Wertschöpfung beim Bau eines Windparks auf 55 Prozent festgelegt, im kommenden Jahr soll er auf 65 Prozent angehoben werden. „Bei einer vollständigen Fertigung der Turbinen in Russland müssten wir einen Preisaufschlag von 20 bis 30 Prozent einkalkulieren“, schätzt Thomas Vitting von Fortum.
Russland will mit seiner Lokalisierungspolitik den Know-how-Transfer ins Land beschleunigen und so eine eigenständige, global wettbewerbsfähige Industrie aufbauen, die Ausrüstung für Solar- und Windkraftanlagen herstellt. Gelingt das, steht einem weiteren Ausbau nichts mehr im Wege. Bis dahin ist das Land aber nicht nur auf Ausrüstung, sondern vor allem auf die Erfahrung bei der Planung, Realisierung und Finanzierung eines Windparks oder einer Solaranlage angewiesen – und das wiederum eröffnet Exporteuren jede Menge Chancen.
Die erneuerbaren Energien sollen auch dabei helfen, die Defizite bei der ländlichen Stromversorgung zu beseitigen. „Etwa 20 Millionen Russen sind nicht an das öffentliche Netz angeschlossen und erhalten ihren Strom aus ineffizienten Dieselgeneratoren“, schätzt George Kekelidze, Vorstandsvorsitzender
des Verbandes Eurosolar in Russland. Hier könnten Fotovoltaik- beziehungsweise Windkraft-Diesel-Hybridanlagen die Versorgungslücke schließen. Anton Usachev, stellvertretender Geschäftsführer des russischen Sonnenenergiepioniers Hevel Solar, schätzt das Marktpotenzial für solche Systeme auf bis zu ein Gigawatt.
Elektriker Ivan Kipayev kümmert sich um ein Solarfeld in der russischen Republik Baschkortostan, rund 1.700 Kilometer östlich von Moskau. Geht es nach der russischen Regierung, sind Solarzellen bald keine Seltenheit mehr.
© dpa
Öffentliche Förderung ist geplant
Selbst für die Hersteller von Kleinanlagen könnte der Markt künftig interessant werden. Aktuell werde diskutiert, die Installation von dezentralen Fotovoltaiksystemen mit einer Leistung von maximal 15 Kilowatt mit öffentlichen Mitteln zu fördern, sagt Usachev. „Insgesamt schätzen wir das Potenzial für Solarstrom mittelfristig auf fünf Gigawatt.“ Im Oktober 2017 hatte Hevel Solar eine Vereinbarung mit der Verwaltung des südwestrussischen Gebiets Astrachan unterzeichnet. Darin einigte man sich auf den Bau von drei Solarparks mit einer Kapazität von zusammen 135 Megawatt. Den Investitionsbedarf beziffert Hevel Solar auf umgerechnet 214 Millionen Euro.
Trotz dieser Ausbaupläne müssen sich deutsche Unternehmen auf Überraschungen gefasst machen. Ein Beispiel: In Russland werden Windkraftanlagen, die höher als 100 Meter sind, als Hochhäuser klassifiziert. „In diesem Fall wird die Baugenehmigung auf föderaler Ebene erteilt, das kann drei Monate und länger dauern“, erklärt Thomas Vitting vom finnischen Energieversorger Fortum. Außerdem gelten für die normalerweise beengten Serviceaufzüge, mit denen Techniker in den Türmen nach oben befördert werden, dann die gleichen Anforderungen wie für Fahrstühle in Hochhäusern oder Hotels.
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