April 2019
Autor: Dominik Vorhölter
Gipfeltreffen im russischen Sotschi im Mai 2018: EAWU-Vorsitzender Tigran Sargsjan mit den Staats- und Regierungschefs des Bündnisses: Nikol Paschinjan (Armenien), Alexander Lukaschenko (Belarus), Wladimir Putin (Russland), Nursultan Nasarbajew (Kasachstan) und Sooronbai Dscheenbekow (Kirgisistan) (von links). © Mikhail Svetlov/Kontributor
Russland ist rot, Kasachstan gelb, Armenien, Belarus und Kirgisistan sind grau. Die Karte des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) zeigt, wie zugänglich die Staaten der ehemaligen Sowjetunion für deutsche Maschinenbauer sind. Rot kennzeichnet schwierige Märkte, Gelb steht für einen mittelschweren Marktzugang, Grau bedeutet: keine Angabe. Auf den ersten Blick ist klar: Diese Weltgegend ist beileibe kein einfaches Terrain für deutsche Exporteure. Eigentlich bilden die fünf Staaten seit 2015 die Eurasische Wirtschaftsunion, kurz EAWU. Sie wollen Handelsbarrieren abbauen und einen gemeinsamen Binnenmarkt schaffen – nach dem Vorbild der Europäischen Union (EU). Doch selbst, wenn sie damit seitdem gut vorangekommen sind, die bunten Farben auf der VDMA-Karte zeigen, dass der Teufel im Detail steckt.
Der Landmaschinenhersteller Claas aus dem westfälischen Harsewinkel fertigt seit 2005 am Standort Krasnodar Mähdrescher, mitten in der Kornkammer Russlands. Inzwischen erntet Claas die Vorteile der Wirtschaftsunion: Die Westfalen haben es heute leichter, Kunden in Kasachstan und Belarus zu beliefern. „Wir können vergleichen, wie es vorher war. In der Tat ist die Exportabwicklung jetzt viel einfacher und transparenter“, sagt Ralf Bendisch, Generaldirektor von Claas in Russland. „Den Teilnehmern der EAWU ist besonders sympathisch, dass sich unsere Produktion in einem Mitgliedsland befindet. Das ist ein Marktvorteil – vielleicht sogar ein Wettbewerbsvorteil.“
Die EAWU wurde am 1. Januar 2015 gegründet. Ihr soll gelingen, was der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten nicht möglich war: die auseinanderdriftenden ehemaligen Sowjetrepubliken wieder enger aneinanderzubinden. Mit der EAWU sollen die fünf Mitgliedstaaten zu einem Binnenmarkt zusammenwachsen: für Waren, Dienstleistungen, Finanzen und mit Reisefreiheit.
Grafik: Eine eigene EU für Russland
Die Eurasische Wirtschaftsunion vereint Russland, Belarus, Kasachstan, Kirgisistan und Armenien zu einer eigenen Wirtschaftszone © GTAI/Kammann Rossi
Der Traum vom grenzenlosen Markt
Davon versprechen sich die Wirtschaftspolitiker in der EAWU mehr Wettbewerb, günstigere Herstellungskosten und niedrige Verbraucherpreise. Einige Politiker fordern schon eine gemeinsame Währung. Nicht wenige Unternehmer träumen davon, die Märkte zwischen Lissabon und Wladiwostok miteinander zu verbinden. Sie bieten Potenzial: Die EU ist der größte Handelspartner der EAWU.
Bislang ist das Bündnis in erster Linie eine Zollunion. Ein wichtiges Element für den freien Warenverkehr ist der neue Zollkodex, der seit dem 1. Januar 2018 für alle Länder der EAWU gilt. Wer Waren in einen der EAWU-Staaten einführen will, braucht jetzt nur noch eine einzige, digitale Zollerklärung, die für alle Mitgliedsländer gilt.
Dem Schweizer Schienenfahrzeugbauer Stadler kommt diese Regelung sehr entgegen. Seit 2014 montiert das Maschinenbauunternehmen Schienenfahrzeuge in einem eigenen Werk im belarussischen Minsk. „Viele Elemente der EAWU wie die Zollunion und die Vereinheitlichung von Normen sind brauchbar. Der Warenfluss innerhalb der Staaten funktioniert gut“, lobt Phillip Brunner, Geschäftsführer von Stadler Minsk.
Langer Weg zu einheitlichen Normen
Der zweite Punkt auf der Agenda sind gemeinsame technische Regulierungen. Die EAWU veröffentlicht regelmäßig Normen ähnlich den deutschen DIN-Normen oder auch Standards, wie sie die EU mit der Gurkenverordnung für Gemüse festgelegt hat. Damit verbunden sind jedes Mal neue Auflagen für Hersteller – unabhängig davon, ob sie innerhalb oder außerhalb der EAWU produzieren. Noch hat jedes Land überwiegend eigene nationale Zertifizierungs- und Prüfverfahren. Diese Prozesse sollen aber einfacher werden.
Ein gemeinsamer Markt für Medizinprodukte existiert bereits seit Mai 2017. Hersteller der Branche sind seitdem nicht mehr darauf angewiesen, ihre Produkte in jedem einzelnen Mitgliedsland einzeln zu registrieren. Stattdessen genügt es, wenn ein Land stellvertretend für alle fünf Mitgliedstaaten ein Gutachten und eine Zulassung für Medizinprodukte erteilt. Der Pharma- und Medizinbedarfshersteller B. Braun Melsungen hat mit dem neuen Verfahren schon Erfahrungen gemacht. „Es reduziert den internen Aufwand und die bei der Registrierung anfallenden Kosten“, sagt Kevin Koch, Managing Director von B. Braun Medical in Kasachstan.
Ein weiterer Baustein der EAWU ist die Reisefreiheit. Bürger dürfen sich innerhalb der Wirtschaftsunion von einem Mitgliedstaat in den anderen bewegen, ohne kontrolliert zu werden. Gastarbeiter aus Kirgisistan können bereits einfacher nach Russland einreisen und sich dort aufhalten. Einfacher werden sollen außerdem Geld- und Versicherungsgeschäfte. Ab 2025 sollen zum Beispiel gleiche Standards für bargeldlose Überweisungen gelten, ähnlich dem europäischen Verfahren für die Single Euro Payments Area (Sepa).
Interview
»Die Unternehmen haben das kaum auf dem Schirm.«
Monika Hollacher ist Referentin für Russland, Zentralasien und Osteuropa vom Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau.
Ist die Eurasische Wirtschaftsunion (EAWU) eine gute Idee?
Generell finden wir es gut, wenn sich so ein großer Handelsraum entwickelt. Unsere Mitglieder haben das zum größten Teil nicht auf dem Schirm, weil der russische Markt extrem dominant ist. Russland ist der Hauptmarkt der deutschen Maschinenbauer in dieser Region, dort sind rund 450 unserer Mitglieder in irgendeiner Form von Niederlassung vertreten. Von dort aus wird der Markt bearbeitet.
Also spielt die EAWU für die Unternehmer nur eine untergeordnete Rolle?
Die Auswirkungen und die Bedeutung für deutsche Unternehmen sind eher gering. Viele unserer Mitglieder liefern von Deutschland aus in diese Märkte. Wir bekommen mit, dass die Unternehmen nachfragen und wissen wollen, wie die EAWU funktioniert, etwa beim Thema Zertifizierung. Was den Zoll betrifft, hat sich die Lage insgesamt seit geraumer Zeit verbessert.
Sprich: Der neue Zollkodex funktioniert?
In der Praxis noch nicht vollständig. Wir hatten eine Reihe von Fällen, bei denen Bergbauunternehmen über Belarus Güter zur Repräsentanz in Russland einführen wollten – das hat nicht einwandfrei funktioniert. Zu Beginn des vergangenen Jahres kam es zu Komplikationen bei der Einfuhr zerlegter Maschinen. Der Exporteur sollte einen Klassifizierungsbescheid vorlegen, hatte ihn aber nicht. Jedes einzelne Teil wurde dann nach der einzelnen Zollnummer deklariert.
Was für ein Aufwand.
Richtig. Es gibt laut WTO eine Sondervorschrift: Eine zerlegte Maschine darf unter einer einzigen Zollnummer eingeführt werden. Das Problem hier war am Ende, dass der Beschluss der EAWU nicht klar kommuniziert war. Dass Unternehmen nämlich so einen Klassifizierungsbescheid beizubringen haben.
Russland dominiert das Bündnis
Allerdings hat die EAWU einige Haken: Russland etwa ist mit Abstand der stärkste Akteur innerhalb des Bündnisses. Auf das Land entfallen aktuell 84 Prozent aller Exporte und 85 Prozent aller Importe. Dieses ungleiche Verhältnis wirke sich deutlich auf das Geschäft aus, sagen Kritiker. Erstens hat die EU Russland mit Sanktionen belegt. Und zweitens machen die Russen es nicht russischen Unternehmen, auch aus der EAWU, schwer, in Russland an Aufträge zu kommen. „Der größte Kritikpunkt ist der Marktzugang“, bemängelt etwa Phillip Brunner vom Schweizer Unternehmen Stadler. „Wenn in Russland Ausschreibungen stattfinden, sind ausländische Marktteilnehmer oftmals benachteiligt. Die gleichberechtigte Behandlung der Marktteilnehmer wie beispielsweise in der EU ist in Russland weniger ausgeprägt.“
Russland sei eben auf eine eigene Wertschöpfung fokussiert. „Im Wettbewerb um Ausschreibungen werden seit 2015 russische Hersteller oft durch staatliche Subventionen gefördert“, sagt Brunner. „Bis zu einem gewissen Zeitpunkt war die gleichberechtigte Behandlung selbst innerhalb der Zollunion, die zuvor zwischen Russland, Kasachstan und Belarus bestand, besser umgesetzt.“ Grundsätzlich kommt es für Stadler infrage, auch in Russland Fahrzeuge zu bauen. In Belarus war die Nachfrage bisher aber besser: Die dortige Staatsbahn ist Großabnehmer.
Sie haben gut lachen: Der Generaldirektor von Claas in Russland, Ralf Bendisch, und der russische Ministerpräsident Dmitrij Medwedew (rechts). Claas besitzt einen eigenen Produktionsstandort in Russland. © Claas
Unternehmen wie Claas, die in Russland selbst produzieren, haben es leichter. Sie sind jedoch die Minderheit unter den deutschen Handelspartnern der EAWU. Die meisten Maschinenbauer liefern direkt aus Deutschland. Von Januar bis Oktober 2018 zählte der VDMA Exporte in die EAWU im Wert von 5,3 Milliarden Euro. Davon gingen 87 Prozent nach Russland. Die deutsche Wirtschaft nimmt die Chancen bisher also in der Praxis kaum wahr, die die EAWU als gemeinsamer Wirtschaftsraum bietet.
Einige Probleme, großes Potenzial
„Es gibt hier noch Widerstände zu überwinden“, gibt Ralf Bendisch von Claas in Russland zu. Gerade die kleineren Länder der Union fühlen sich teilweise übervorteilt, deshalb dauern Abstimmungen lange. Das angespannte Verhältnis mit der EU ist aus Bendischs Sicht ebenfalls hinderlich. „Früher hat man sich immer gern an den Erfahrungen der EU angelehnt. Heute funktioniert dieser Erfahrungsaustausch nicht mehr so gut.“ Doch insgesamt ist der Claas-Manager optimistisch. Die EAWU, sagt er, hat noch enormes Potenzial.
Service & Kontakt
Mehr Informationen zur EAWU gibt es auf dem Informationsportal von GTAI und der Deutsch-Russischen Auslandshandelskammer: https://eawu.ahk.de
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