August 2018
Autorin: Anna Friedrich, wortwert
Nichts sagen, nichts hören, nichts sehen: Geld macht stumm, taub und blind. Das findet zumindest der Urheber dieses Street-Art-Kunstwerks in London. ©Jess HURD/REPORT DIGITAL-REA/laif
Inwiefern ist Compliance im internationalen Geschäftsleben in den vergangenen Jahren stärker ins Bewusstsein gerückt?
Im Nachgang der Finanzmarktkrise im Jahr 2008 haben Unternehmen die Bereiche Risiko und Compliance aufgerüstet. Die Krise hat ja nicht nur den Bankensektor getroffen, sondern zum Zusammenbruch kompletter Volkswirtschaften beigetragen, beispielsweise in Griechenland. Unternehmen sind seitdem deutlich sensibler geworden, was regelkonformes Verhalten betrifft – nicht nur im nationalen, auch im internationalen Kontext.
Was genau bedeutet denn regelkonformes Verhalten?
Grundsätzlich ist alles erlaubt, was nicht gegen geltendes Recht verstößt. Natürlich kann man argumentieren, dass man nicht alles tun sollte, was erlaubt ist. Ich bin da allerdings für eine klare Trennung von Legalität und Moral: Zu verurteilen ist nur das, was das Gesetz verbietet. Alles andere ist moralische Vorverurteilung, die mit Vorsicht zu genießen ist.
Ist es in der Praxis denn auch so einfach? Immerhin ist in vielen Ländern Korruption an der Tagesordnung – und die ist oftmals nicht gesetzlich verboten.
Das stimmt. Als korrupt bezeichnet man jemanden, der unlautere Mittel nutzt, um ein meist ökonomisches Ziel zu erreichen. Gerade, wenn ein Unternehmen in einem Land aktiv ist, in dem Korruption vorherrscht, stehen die Entscheider in Deutschland vor Herausforderungen. Sie entwickeln Regeln am grünen Tisch, die ihrer Meinung nach im Ausland funktionieren sollten. Doch wenn ein Mitarbeiter im Ausland auf sich allein gestellt ist, gehört eine große Portion Willensstärke und Charakter dazu, sich nicht auf Korruption einzulassen.
Wie sollten sich deutsche Unternehmen in problematischen Märkten verhalten?
Sie haben eigentlich nur zwei Möglichkeiten, wenn sie nicht bei Korruption mitmachen wollen: Erstens, sie sprechen mit den nationalen Regierungen und üben Druck aus. Zweitens, sie ziehen sich aus dem Markt zurück. Diese Aktionen wirken aber nur dann, wenn die Unternehmen für den Markt unverzichtbar sind, etwa was Produkt und Qualität angeht. Dann überlegen sich diese Länder vielleicht, ob sie ihre Regeln anpassen. Dennoch sollten sich deutsche Unternehmen nicht überschätzen: Obwohl Großkonzerne wie Siemens und VW im Ausland eine Menge Einfluss haben, können sie dort Korruption vermutlich nicht vollständig beseitigen.
Zur Person
Irina Kummert ist Wirtschaftsethikerin und seit dem Jahr 2013 ehrenamtliche Präsidentin des Ethikverbands der deutschen Wirtschaft. Hauptberuflich ist sie seit mehr als 20 Jahren als Personalberaterin tätig, seit 2003 als geschäftsführende Gesellschafterin der IKP Executive Search GmbH.
Sie ist spezialisiert auf die Suche nach Fach- und Führungskräften für den Finanzsektor sowie für Familienunternehmen, Verbände und Körperschaften des öffentlichen Rechts. Kummert ist Mitherausgeberin des Buches „Schwierigkeiten mit der Moral. Ein Plädoyer für eine neue Wirtschaftsethik“.
Wie stellt die Führungsetage in Deutschland sicher, dass sich Mitarbeiter in einem problematischen Land auch an die Compliance-Regeln halten?
Die Chefs müssen den Mitarbeitern erst einmal vertrauen, schließlich folgen sie ihnen nicht auf Schritt und Tritt. Gleichzeitig sollten sie verantwortungsbewusste Mitarbeiter einsetzen, die auch mit schwierigen Situationen umgehen können. Letztlich kommt es auf die Menschen vor Ort an, wie sie denken und handeln. Die Mitarbeiter im Ausland haben schließlich ein Interesse daran, ihren Job zu behalten. Wenn ein Unternehmen wie Siemens klar sagt, dass es Korruption nicht unterstützt und jeder Mitarbeiter, der sich auf Korruption einlässt, sofort entlassen wird, hat das Signalwirkung.
Sollte also jeder Mitarbeiter, der auch nur die kleinste Regelübertretung begangen hat, sofort gefeuert werden?
Vielleicht erinnern Sie sich noch an einen Fall bei Aldi: Eine Kassiererin hatte einen Pfandbon mitgehen lassen, da ging es nur um wenige Cent. Dennoch wurde sie zunächst fristlos entlassen. Viele fanden das ungerecht. Das sehe ich anders: Die Kassiererin hat eine gesetzlich verankerte Regel missachtet. Da ist es egal, ob es nur um ein paar Cent oder um Hunderte Euro geht. So ist das auch mit der Korruption: Es gibt nicht „viel korrupt“ und „ein bisschen korrupt“.
Wie sollten Unternehmen also mit Mitarbeitern umgehen, die sich auf Korruption einlassen?
Zuerst müssen die Fakten geklärt sein. Hat jemand einem Boten einmalig fünf Euro in die Hand gedrückt, um eine Lieferung zu beschleunigen, oder ist derjenige Teil eines tief verwurzelten Korruptionsnetzwerks? Beides ist nicht gut und sollte verhindert werden. Zunächst allerdings muss man die Situation in Ruhe analysieren, um daraus zu lernen und transparent zu machen, welche Folgen sich für den einzelnen Mitarbeiter und das Unternehmen, aber auch für die Gesellschaft ergeben könnten. Letztlich zeigt eine konsequente Entscheidung auch anderen Mitarbeitern, was passieren kann, wenn sie derartige Regeln missachten.
Was raten Sie Unternehmen, die in problematischen Märkten aktiv sind?
Sie sollten sich gut überlegen, ob sie wirklich in dem Land bleiben müssen. Wenn Handel nur mithilfe von Korruption möglich ist – und Unternehmen eigentlich nur mitmachen oder untergehen können –, würde ich mir die Frage stellen: Ist es das wert? Sie sollten ihre Geschäftstätigkeit dann, wenn möglich, in andere Märkte verlagern.
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Die meisten globalen Unternehmen machen zwar einen Riesenhype um Complance und Ethik (E-Learning und Verpflichtungserklärungen) schicken dann aber Mitarbeiter in hochgradig korrupte Regionen mit der Maßgabe „Komm bloß nicht ohne Auftrag wieder“. – Einerseits decken die Unternehmen sich selbst damit (Cover my ass), andererseits braucht man nicht hochstudierter CEO zu sein um zu verstehen, dass dies ein Dilemma ist. Die Firmen machen es sich zu einfach. Es ist einfacher hin und wieder entweder Aufträge aus solchen Regionen zu bekommen (mit welchen Mitteln auch immer, so lange es keiner merkt). Und wenn der Erfolg ausbleibt oder die Korruption auffliegt, kann das Unternehmen mit der Inbrunst der Empörung behaupten „Das hat der böse Mitarbeiter alles allein und unter Missachtung unserer Regeln gemacht“ — Mit dieser Nummer macht man sich als CEO einen schlanken Fuß nach außen hin zu den „Shareholdern“. Und nach innen erzeugt man Druck auf die „Abhängigen“, die versuchen in diesem Dilemma einen Weg zu finden, den es nicht gibt.
„Ethik-Beraterin“?
Klingt eher nach Bankster-Berater.
Die Grafik passt! Leider auch auf die meisten Compliance-Abteilungen der Konzerne…