Dezember 2019
Autor: Michael Sauermost
Bis hierhin und nicht weiter: Marokkanische Ärztinnen demonstrieren im Jahr 2014 in Rabat gegen das Gesundheitssystem. Schon damals forderten sie bessere Bedingungen in den öffentlichen Krankenhäusern – getan hat sich bislang kaum etwas. © picture alliance/AA
In Marokkos Krankenhäusern herrscht reges Treiben. Leider in erster Linie in den Wartesälen. Patienten beklagen, dass sie oft vergeblich auf eine ärztliche Untersuchung warten. Ein Grund: Die Versorgungsdichte im Land ist außerordentlich niedrig. Während laut dem Forschungsinstitut Fitch Solutions im weltweiten Schnitt auf 1.000 Menschen 1,5 Ärzte kommen, sind es in Marokko nur 0,5. Auch bei den Krankenschwestern sieht es nicht besser aus: Mit 0,7 Krankenschwestern pro 1.000 Einwohner kommt Marokko noch nicht einmal auf ein Viertel des internationalen Durchschnitts, der bei knapp drei Pflegekräften liegt. Dazu kommt: Mediziner, die im öffentlichen Sektor praktizieren, müssen sich mit einem Taschengeld zufriedengeben und heuern deshalb zusätzlich in Privatkliniken an – weswegen der Versorgungsengpass in öffentlichen Kliniken immer schlimmer wird.
Der marokkanische Rechnungshof ließ in seinem Jahresbericht 2018 kein gutes Haar an dem Gesundheitssystem. Von Personalüberlastung, fehlender Ausrüstung und unseriösen Machenschaften sei die Rede, berichtet das Nachrichtenmagazin „Telquel“. Drei unrühmliche Beispiele: Ärzte müssen bei Operationen aus Mangel an Geräten improvisieren, Krankenwagen halten für Kurierfahrten her und Krankenhäuser rechnen Reparaturkosten für Geräte ab, die es gar nicht gibt. Es verwundert also kaum, dass Ärzte und Pflegepersonal in diesem Jahr bereits mehrfach auf die Straße gegangen sind, um gegen die Zustände im Gesundheitssektor zu protestieren.
Die Regierung fährt zweigleisig, um die Missstände zu beheben. Sie lancierte im Jahr 2018 den Plan Santé 2025, mit dem sie die medizinische Infrastruktur verbessern will. Allein 1,3 Milliarden Euro sind für die Erweiterung der Krankenhauskapazitäten vorgesehen – auch für Personal. Houda Toufelaz, Ländermanagerin Marokko vom Orthopädietechnikhersteller Ottobock, sieht den Plan als Chance. „Es werden neue Krankenhäuser gebaut, neue Ausrüstungen angeschafft und bestehende Einrichtungen renoviert.“
Auf einen Blick
Marokkos Wirtschaft
Die Konjunktur des Landes beeindruckt mit Kontinuität. Auch wenn der Wirtschaftsmotor derzeit nicht auf Hochtouren läuft. Denn das reale BIP-Wachstum ist unter die Dreiprozentmarke gefallen. Kein Grund zur Sorge, sagen die Experten der Economist Intelligence Unit mit Blick auf die kommenden Jahre. Das Königreich will weiter auf Industriewachstum setzen und dafür ausländische Investoren gewinnen. Die Infrastruktur wird mit den geplanten TGV-Strecken sowie dem Hafen Tanger Med II das Aushängeschild bleiben. Mit zahlreichen Handelsabkommen, unter anderem mit der EU und den USA, ist Marokko international gut aufgestellt, gleichzeitig auch abhängig von der internationalen Konjunkturlage. Ein Großteil der 35 Millionen Marokkaner ist vom informellen Sektor und der Landwirtschaft abhängig.
Chancen für Privatfirmen
Nichtsdestotrotz weiß die Regierung in Rabat, dass sie die großen Herausforderungen nicht ohne den Privatsektor stemmen kann. Eine erste Liberalisierung des Privatsektors kam durch die Gesundheitsreform im Jahr 2015. Vorher konnten Kliniken lediglich von Ärzten eröffnet werden, was zur Folge hatte, dass die Einrichtungen meist sehr spezialisiert waren. Nun können auch Privatunternehmen Krankenhäuser eröffnen – eine Chance für ausländische Medizintechnikanbieter.
Das Forschungsinstitut Fitch Solutions geht davon aus, dass der Markt für medizinische Verbrauchsgüter und Medizintechnik bis 2023 im Jahresdurchschnitt um sechs Prozent auf rund 453 Millionen US-Dollar wächst. „Die Liberalisierung des privaten Gesundheitswesens hat bereits viele in- und ausländische Investoren angezogen“, bestätigt Gero Peters, Geschäftsführer von Siemens Healthineers, und verweist auf ein durchschnittliches Wachstum des Gesundheitsmarktes von sechs Prozent in den vergangenen zehn Jahren. Die Liberalisierung des Privatsektors ist eine Chance für deutsche Firmen, denn Marokko ist von Medizintechnikimporten abhängig.
Auch hier ist die Trennung des Gesundheitssystems in einen öffentlichen und einen privaten Sektor spürbar. „Es gibt eigentlich zwei komplett verschiedene Medizintechnikmärkte, für die man unterschiedliche Strategien benötigt“, sagt Oussama Benmessaoud, der mit Mounir Kadaoui das Vertriebsunternehmen Advanced Medical Services führt. Die beiden Jungunternehmer haben sich beim Branchenprimus General Electrics kennengelernt. Die Konkurrenz ist groß, denn es gibt zahlreiche kleine Vertriebsfirmen. „Viele laufen dem schnellen Geschäft hinterher“, sagt Benmessaoud. Seine Firma sei dagegen langfristig orientiert – und könne sich vorstellen, Marokko auch als Drehscheibe in andere Märkte zu nutzen.
Zahlen & Fakten
US-Dollar betrugen die Gesundheitsausgaben Marokkos 2018, was etwa sechs Prozent des BIPs entspricht.
erwartet das Marktforschungsunternehmen Fitch Solutions bei den Gesundheitsausgaben 2019.
US-Dollar betrugen die Gesundheitsausgaben pro Kopf im Jahr 2018; 2028 sollen es bereits 282 US-Dollar sein.
Gesundheitshub Marokko
Allein die geografische Lage als Bindeglied zwischen Europa und Afrika macht das Königreich zu einer idealen Drehscheibe. Zudem ist es ausgestattet mit Handelsabkommen mit der EU und den USA. „Marokko als Hub für Westafrika könnte vor allem für kleinere beziehungsweise ärmere westafrikanische Länder funktionieren“, beurteilt Fritz Sacher, CEO von Pioneering Africa. siehe Interview oben Länder wie Senegal, Ghana oder Nigeria hingegen seien eher darauf bedacht, ihre eigene Produktion aufzubauen und diese dann auch entsprechend zu schützen.
Auch Lamia Berrada Souni spielt mit dem Gedanken von Marokko als Drehscheibe. Sie leitet das Familienunternehmen Top Médical, das medizinische Geräte und Materialien vertreibt. Angesprochen auf Drittmarktgeschäfte holt sie eine Lagerhallenskizze aus ihrer Schreibtischschublade. Was man machen könne, führt die Geschäftsfrau aus, sei der Import von deutscher Medizintechnik nach Marokko, verbunden mit einer geringfügigen Weiterverarbeitung in dem in Flughafennähe gelegenen Lager. Dann könne man die Geräte zollfrei in Richtung USA verschiffen.
Marokko hat noch einen weiten Weg vor sich. Damit die Defizite, die insbesondere durch eine Unterversorgung in den ländlichen Regionen bestehen, abgebaut werden können, bedarf es einer koordinierteren Steuerung der staatlichen und privaten Prozesse. Dies sei allein deshalb schon erforderlich, damit der Gesundheitssektor in neue wichtige Bereiche wie beispielsweise E-Health vordringen könne, sagt Siemens-Healthineers-Geschäftsführer Peters. „Digitalisierung der Gesundheitsversorgung ist eine große Chance für die bessere Diagnose und Versorgung und für Marokko die Gelegenheit, ein neues Zeitalter im Gesundheitsbereich einzuläuten.“
1) Statistisches Bundesamt; 2) Pro 1.000 Einwohner, Gesundheitsberichterstattung des Bundes
Interview
»Ohne gut vernetzten Partner wird es schwer.«
Fritz Sacher, ehemaliger Leiter der Afrikastrategie von Merck, heute CEO von Pioneering Africa sowie Vorstandsmitglied der Dawa Group in Kenia.
Wie entwickelt sich der Gesundheitsmarkt Marokkos?
Mit circa 35 Millionen Einwohnern, von denen offiziell 50 Prozent, tatsächlich aber nur 35 bis 40 Prozent in irgendeiner Weise Zugang zu einer staatlichen oder privaten Krankenversicherung haben, ist der nationale Markt in Marokko noch relativ klein. Das System ist noch weit von einer universellen Krankenversicherung entfernt. Zum Vergleich: Algerien hat bereits 100 und Tunesien 80 Prozent erreicht. Das liegt vor allem an der überschaubaren Mittelschicht und dem begrenzten offiziellen Arbeitsmarkt, die beide letztlich das System tragen.
Aber die Pharmaindustrie spielt doch eine aktive Rolle?
Ja, Marokko hat neben Generika bereits eine begrenzte Bedeutung für den Einsatz innovativer Arzneimittel. Die Rolle als Exporteur im Maghreb-Raum ist jedoch beschränkt durch die Spannungen mit Algerien. Marokko produziert bereits seit über 60 Jahren Generika und Lizenzpräparate vor Ort und schützt den lokalen Markt. Dieser wird auch heute noch von fünf lokalen Firmen dominiert, wobei der König erhebliche Anstrengungen unternimmt, dieses Oligopol aufzubrechen.
Schaffen es ausländische Firmen trotzdem in den Markt?
In Marokko können ausländische Investoren mit einer eigenen lokalen LE (GmbH) aktiv sein und genießen auch die Vorteile lokaler Produzenten beim Zuschlag von staatlichen Tendern – zumindest laut Gesetz. Ohne gut vernetzten lokalen Partner werden sie sich in Marokko allerdings auch heute noch sehr schwertun. Das gängige Businessmodell ist weiterhin die Vermarktung von Arzneimitteln in Lizenz durch lokale Firmen, zumindest in einem Joint Venture.
Service & Kontakt
Zum Downloaden
Die Studie „Marokko – Gesundheitswirtschaft auf dem Weg der Besserung“ inklusive des vollständigen Interviews mit Fritz Sacher gibt es hier als kostenfreien Download.
Ihre GTAI-Ansprechpartnerin:
Meike Eckelt
+49 228 249 993 278
Weitere Informationen über Marokko erhalten Sie unter: www.gtai.de/marokko
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