Oktober 2019
Autoren: Corinne Abele, Eva-Maria Korfanty-Schiller, Daniel Lenkeit, Jürgen Maurer, Fabian Möpert, Fausi Najjar, Florian Steinmeyer, Heiko Steinacher, Anna Westenberger
HAL 9000, die künstliche Intelligenz (KI) aus dem Klassiker „2001 – Odyssee im Weltraum“ von 1968. HAL, der im Film zum Mörder wird, gilt als frühe Warnung vor den Gefahren dieser Technik. © Wikimedia Commons/Cryteria
Heilsbringer oder Teufelszeug – an künstlicher Intelligenz (KI) scheiden sich die Geister. US-Unternehmer Elon Musk sieht die Technologie als Gefahr, der australische KI-Forscher Toby Walsh erhofft sich einen Gewinn für die Menschheit. Die Idee selbstlernender Maschinen und neuronaler Netze ist aktuell, aber nicht neu: Schon in den 1950er-Jahren konzipierte der britische Informatiker Alan Turing, der als Vater der KI gilt, einen Test, der prüft, ob eine Maschine bei einem Gespräch mit einer Testperson als Maschine erkannt wird oder nicht.
Eine klare Definition des Begriffes gibt es bislang nicht. Das Softwareunternehmen SAP sieht KI als Überbegriff für Anwendungen, bei denen Maschinen menschenähnliche Intelligenzleistungen erbringen, indem sie lernen, beurteilen und Probleme lösen. Darunter fällt das maschinelle Lernen, bei dem Computer durch die Verarbeitung von Daten lernen, Aufgaben immer besser zu lösen, wie es selbstfahrende Autos, Staubsaugerroboter oder Chatbots tun. In der Forschung haben aktuell die USA und China die Nase vorn. Aber auch andere Länder setzen ihre Stärken für die KI-Entwicklung ein.
Was ist Künstliche Intelligenz?
Anwendungen, bei denen Maschinen menschenähnliche Intelligenzleistungen erbringen, indem sie lernen, Aufgaben immer besser zu lösen (maschinelles Lernen). Ohne KI gäbe es keine selbstfahrenden Autos, Staubsaugerroboter oder Chatbots.
Patentpionier Japan
Zu den KI-Wegbereitern gehört Japan. Dort haben Forscher Anfang der 1980er-Jahre die ersten KI-Patente überhaupt angemeldet. Seither hat das Land als einer der Digitalisierungspioniere viel Know-how aufgebaut. In den 1990er-Jahren zählten Firmen wie Fujitsu, NEC oder Canon zu den erfolgreichen Vorreitern bei Computerhardware und Elektronik. Heute ist Japan stark in Informationstechnik, Chipfertigung und Robotik.
Mit diesem Rüstzeug hat Japan die weltweit wohl umfassendste Vision für den Einsatz von KI vorgelegt. Das Ziel ist nicht weniger als die Society 5.0: Mithilfe des Internets der Dinge, Big Data, einer Sharing Economy, von Robotern und KI soll die Gesellschaft bis in den letzten Winkel smart gemacht werden – angefangen bei digitalen Haushaltshelfern über intelligente Fertigung bis hin zu einem ausgefeilten Verkehrs- und Katastrophenschutzmanagement.
So will Japan seine Wirtschaft wettbewerbsfähig halten und zugleich dem demografischen Wandel begegnen. Pflegeroboter greifen Senioren unter die Arme, und Kaffee kann man sich heute schon vom digital gesteuerten Barista zubereiten lassen. In den kommenden zehn bis 20 Jahren könnte laut dem Nomura Research Institute knapp die Hälfte der Arbeitskräfte in Japan durch KI oder Roboter ersetzt werden.
Das Land gehört im Bereich KI zu den innovativsten weltweit. Dabei sind es vor allem japanische Großunternehmen, die – finanziell gut ausgestattet – die Entwicklung von KI im Land vorantreiben. Es wundert also kaum, dass Japan bei den bisherigen Patentanmeldungen laut der Weltorganisation für geistiges Eigentum an dritter Stelle hinter den USA und China steht. Bei Patenten für die KI-Anwendung Computer Vision dominieren japanische Schwergewichte wie Toshiba sogar – gemeinsam mit südkoreanischen Firmen. Beim Transfer von Forschungsergebnissen in konkrete Produkte und Anwendungen sind Firmen aus anderen Ländern allerdings deutlich risikobereiter und schneller.
Interview
»Guter Startpunkt«
Kristian Kersting, Professor für Maschinelles Lernen an der TU Darmstadt und Mitglied der Plattform Lernende Systeme, erklärt, wie Deutschland den Anschluss schaffen kann.
Lesen Sie hier das gesamte Interview.
© TU Darmstadt
Spitzenreiter USA
Insbesondere US-Unternehmen wie Google, Facebook oder Amazon schaffen es, mit digitalen Geschäftsmodellen Geld zu verdienen, und zeigen die Marktmacht der USA in der Digitalisierung. Mit ihren Produkten hält KI Einzug in den Alltag. Amazon beispielsweise hatte laut Medienberichten bis Anfang 2019 bereits 100 Millionen Geräte mit Anbindung zur KI-gestützten, virtuellen Assistentin Alexa verkauft. Auch kommen weltweit die meisten KI-Start-ups aus den USA: Einer Studie zufolge waren es im Jahr 2018 knapp 1.400.
Beim autonomen Fahren spielt das Unternehmen Waymo, das zum Google-Mutterkonzern Alphabet gehört, vorn mit. Seit 2009 hat seine Flotte mehr als zehn Millionen Meilen in der Praxis absolviert. Amazon rückt mit KI in den Bereich der elektronischen Gesundheitsdienste vor: So hat der Onlineversandriese laut Wall Street Journal eine Software entwickelt, die digitale Krankenakten gezielt nach Informationen durchsucht, um so Ärzten die Behandlung zu erleichtern. Die US-Regierung versucht, den Innovationen den Weg zur Kommerzialisierung zu ebnen. So hat die Zulassungsbehörde Food and Drug Administration ein erstes Rahmenwerk für KI-basierte Software im medizinischen Gebrauch entworfen.
»Dass KI im US-Alltag angekommen ist, sehe ich jeden Tag an der regen Kundschaft im Amazon Go Store um die Ecke meines Büros.«
Heiko Steinacher,
GTAI-Korrespondent San Francisco
US-Firmen können für ihre Produktentwicklungen auf einen wahren Datenschatz zurückgreifen: Fast 330 Millionen Menschen leben in den USA, und ihre personenbezogenen Daten unterliegen bundesweit nicht denselben strengen Bestimmungen wie in der EU. International tätige Unternehmen wie Facebook können sogar noch größere Datenpools nutzen. Allerdings geraten die großen Tech-Konzerne wegen ihrer Marktmacht und Datenschutzbedenken immer stärker in die Kritik. Nach zahlreichen Datenmissbrauchsskandalen hat Facebook im Sommer 2019 einem Vergleich mit der US-Aufsichtsbehörde FTC zugestimmt, der eine Strafzahlung von fünf Milliarden US-Dollar vorsieht.
Herausforderer China
In Bezug auf Datenmaterial könnte ein anderes Land noch in ganz andere Dimensionen vorstoßen – und den USA den Rang der KI-Führungsmacht streitig machen. „Daten sind das neue Öl, und China ist das neue Saudi-Arabien“, sagt Venture-Capitalist und KI-Koryphäe Kai-fu Lee aus Taiwan. Unternehmen generieren über soziale Medien, Onlinehandelsplattformen und digitale Bezahlsysteme riesige Datenmengen. Auch der Staat sammelt emsig Daten, um KI-gestützte Verwaltungs- und Kontrollstrukturen aufzubauen.
Unzählige Kameras beobachten die Menschen an öffentlichen Plätzen und dienen zum Beispiel als Sicherheitskontrolle an Stationen der Hochgeschwindigkeitszüge. Beim Einchecken in Hotels können Chinesen sich mit ihrem Gesicht ausweisen. Die Gesichtserkennung ist bislang Chinas größte Stärke in der KI. Computer-Vision-Firmen wie Face++ oder Sense Time zählen zu den am höchsten bewerteten KI-Start-ups weltweit.
Auch in anderen Bereichen will die Regierung rasch vorankommen. KI-Firmen sollen wichtige Schlüsseltechnologien entwickeln und vernetzte Autos, Dienstleistungsroboter, Drohnen oder Produkte für den Gesundheitssektor auf den Markt bringen. Konzerne wie Alibaba und Tencent investieren kräftig in den medizinischen KI-Markt. So hat Alibaba bereits 2017 „Doctor You“ gegründet, das KI-basierte Analysemethoden zur Früherkennung verschiedener Krebsarten bietet. Auch die Prozesse in der verarbeitenden Industrie hat die Regierung im Visier, etwa vorausschauende Wartung oder kundenspezifische Massenproduktion. Allerdings sind viele Unternehmen für eine smarte Fertigung noch schlecht aufgestellt, und die Datenqualität zum Beispiel im Gesundheitssektor genügt den Anforderungen für KI teils noch nicht.
»Inzwischen habe ich schon einige Messen und selbst hochrangige politische Konferenzen mit Einlasskontrollen besucht, die komplett auf KI-gestützter Gesichtserkennung beruhen – namentliche Begrüßung natürlich eingeschlossen.«
Corinne Abele,
GTAI-Korrespondentin Shanghai
Die Regierung gestaltet den rechtlichen Rahmen für neue Technologieentwicklungen so flexibel wie möglich. Datenschutz ist bisher kein großes Thema in China. Gleichzeitig steckt der Staat gewaltige Summen in Inkubatoren und Start-up-Zentren, Investitionsfonds, Pilotprojekte, Forschung und Telekommunikationsinfrastruktur.
Auch leistet er wichtige Starthilfe als Abnehmer für neue Produkte junger Firmen, vor allem im Bereich Gesichts- und Spracherkennung. Chinesische Start-ups zeigen sich dank der staatlichen Initiative und reichlich Wagniskapital aus dem In- und Ausland risikobereit und könnten daher bei der Kommerzialisierung von KI ganz vorn mitmischen. Das sieht man schon heute an der Zahl der KI-Patente, die in China bislang angemeldet wurden – die USA liegen nur noch knapp vor der Volksrepublik.
Kommentar
„Man muss in Afrika vor Ort sein und die Herausforderungen erst gründlich analysieren, bevor man Lösungen anbieten kann. Das angebotene Geschäftsmodell muss einen bezahlbaren Mehrwert bieten. Auch in Afrika geht es um den konkreten Fall und nicht um ein Klischee, das etwa von Deutschland aus vom ‚grünen Tisch‘ bedient werden kann.
Es gibt zudem lokale Besonderheiten zu bedenken wie eine schwächere Netzabdeckung und eine herausfordernde Infrastruktur. Die Wirkung von KI kann allerdings enorm sein. Deswegen sind die Geschäftsmöglichkeiten für KI in Afrika hervorragend. KI kann den Trinkwasserzugang verbessern, Landwirten helfen, Lösungen für die Gesundheitsversorgung anbieten und auch Bildung und Ausbildung zugänglich machen. Für Afrika ist es schwierig, einen Wirtschaftsbereich auszunehmen, der nicht auch von der digitalen Revolution betroffen wäre.
Nicht zuletzt kann Afrika mit KI technologische Entwicklungsstufen überspringen. Die Dominanz älterer Technologien kann hingegen die KI-Anwendung bremsen. Größte Herausforderung ist es, Fachkräfte zu finden. Deswegen plant SAP gemeinsam mit dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in zehn afrikanischen Ländern ein Ausbildungsprogramm für 450 hoch qualifizierte IT-Fachkräfte.“
Rudeon Snell, Direktor für intelligente Unternehmenslösungen bei SAP EMEA South
Forschungsland Kanada
Kanada punktet nicht mit großen Digitalunternehmen. Weltweit bekannt ist das Land dagegen für seine KI-Forschung und das hervorragende Ökosystem: Hunderte Start-ups, 60 Investorengruppen, 60 Forschungszentren mit mehr als 600 Forschern sowie 40 Akzeleratoren und Inkubatoren gehören dazu, hat Element AI herausgefunden, Kanadas größtes privates KI-Forschungslabor. Das zieht große Tech-Konzerne an.
Google forscht in Edmonton mit seinem KI-Unternehmen Deep Mind. Microsoft hat Montreal gewählt, die aus seiner Sicht „am schnellsten wachsende KI-Community weltweit“. Der US-Chip-Experte Nvidia entschied sich für Toronto, auch wegen der dortigen Universität. An kanadischen Hochschulen lehren führende Köpfe der KI-Forschung wie Geoffrey Hinton, Joshua Bengio und Rich Sutton. Kanada will seine KI-Hubs in Edmonton, Montreal und Toronto zu einer kanadischen Forschungsgemeinschaft verbinden und Exzellenzzentren daraus machen, so jedenfalls die Idee der nationalen KI-Strategie. Die sieht unter anderem vor, noch mehr KI-Spitzenforscher nach Kanada zu holen.
Kanadas Forscher generieren zwar viel Wissen, den Nutzen daraus ziehen allerdings häufig internationale Konzerne. Der Großteil der patentierten Forschungsergebnisse im Bereich KI in Kanada ist im Besitz globaler Firmen wie IBM, Alphabet, Uber, Dell oder Microsoft, kritisieren kanadische Strategen für geistiges Eigentum. Daher will Kanada kleinen und mittelgroßen Unternehmen unter die Arme greifen, damit sie selbst eine Strategie zum Schutz ihres geistigen Eigentums entwickeln können. Das Problem bringt Kanada nicht davon ab, seinen Weg als KI-Forschungsstandort weiterzugehen. Das Land sieht seine Rolle als globaler Vordenker für wirtschaftliche, ethische und rechtliche Auswirkungen von KI-Anwendungen.
Mexiko: Chatbots für den E-Commerce
Das Start-up Mezcal Technologies aus Mexiko-Stadt hat sich auf die Entwicklung von Chatbots spezialisiert. „Ursprünglich kommen wir aus dem Bereich der Warenmanagementsysteme, beschäftigen uns mittlerweile aber sehr intensiv mit der automatisierten Kommunikation“, berichtet Verkaufsleiter Moisés Rodríguez. Derzeit arbeiten die rund zehn Mitarbeiter des Unternehmens an einem Chatbot für die Zahlungsabwicklung in Onlineshops.
Chancen sieht Mezcal Technologies auch in anderen Branchen wie der Autoindustrie. Der Sektor hat in den letzten Jahren einen Boom erlebt, nahezu alle großen Hersteller fertigen mittlerweile in Mexiko. „Wir arbeiten daran, dass unser System künftig Voraussagen darüber treffen kann, welche Ersatzteile benötigt werden“, berichtet Rodríguez.
Für Mezcal Technologies ist der potenzielle Kundenkreis allerdings begrenzt. Rodríguez zufolge haben derzeit nur große Unternehmen das Budget und den Willen, KI-Technologien zu adaptieren. Der mexikanische Mittelstand hingegen sei schwach aufgestellt und verfüge vielfach weder über die nötigen Mittel noch die erforderlichen Daten.
© Patrick Daxenbichler
Netzwerkendes Europa
In Europa sind Forschung, KI-Talente und Kapital nach Einschätzung von Experten über den gesamten Kontinent verstreut. Viele Universitäten mit KI-Fachbereichen sitzen weit entfernt von Start-up-Hubs in Paris, London oder Berlin. Zählt man jedoch alle KI-Start-ups in Europa zusammen, liegt ihre Zahl weltweit an zweiter Stelle hinter den USA. Die Europäische Kommission versucht die Kräfte zu bündeln, jedenfalls in der Forschung. Sie will ein Netzwerk europäischer KI-Exzellenzzentren gründen und stellt dafür 50 Millionen Euro bereit.
Hoffnung, Teil eines solchen KI-Exzellenzzentrums zu werden, hegt unter anderem Tschechien. Zwar liegt das Land beim Thema KI hinter anderen EU-Staaten wie Finnland oder Schweden zurück, zeigt eine Studie der Unternehmensberatung McKinsey. Die Regierung aber will zu den führenden Ländern aufschließen. Ein KI-Exzellenzzentrum der EU in Prag würde helfen, die Stadt zu einem KI-Hub für Tschechien und die Region zu machen, hofft der für Digitalisierung zuständige Staatssekretär im Industrieministerium, Petr Očko.
Für die KI-Forschung im Land haben insbesondere die Hochschulen in Prag, Brno und Ostrava eine gute Ausgangslage. Zusammen bringen die Universitäten jährlich etwa 7.000 Absolventen in den Studiengängen Informations- und Kommunikationstechnik hervor. Auch Privatunternehmen forschen auf dem Gebiet, wie der US-Konzern IBM, der mit seiner Software Watson in Prag an der Sprach- und Texterkennung arbeitet.
Ein Treiber für digitale Lösungen: In Tschechien arbeitet jeder vierte Beschäftigte in einem Industriebetrieb. Weil Tschechien die niedrigste Erwerbslosenquote der EU hat, werden Arbeitskräfte knapp. Das sollte die Nachfrage nach robotergesteuerter Prozessautomatisierung in den kommenden Jahren antreiben. In einer Umfrage der Beratungsfirma Deloitte rechnen fast 30 Prozent der Unternehmen mit Investitionen in autonome Technik für Produktion und Lagerlogistik. Autobauer Škoda hat bereits in zwei Werken ein voll automatisiertes Lager für Kleinteile in Betrieb – hier bringen autonome Roboter die Bauteile an die Fertigungsstrecken.
Das Wettrennen um die Führung in der KI läuft also. Und niemand weiß, wo der nächste Durchbruch die Karten neu mischen wird.
Service & Kontakt
Künstliche Intelligenz: Stärken und Schwächen ausgewählter Länder: www.gtai.de/KI
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