»Jede Kultur hat eigene Story-Archetypen«
Interview mit Katja Schleicher, Trainerin & Coach für interkulturelle Kommunikation über Storytelling in der Wirtschaft.
Februar 2022
Interview: Inge Kozel
Frau Schleicher, warum spielt Storytelling im Verkaufsgespräch überhaupt eine Rolle?
Stories laden dazu ein, gemeinsam einen Weg zu gehen. Sie sind quasi wie der Parkplatz, auf dem man sich zu einem Spaziergang verabredet hat, um gemeinsam durch die Natur zu spazieren. Diese gemeinsame Richtung ist auch im Verkaufsprozess wichtig, denn es geht ja mehr um Beziehungsaufbau als um einen Austausch von Geld und Ware. Durch dieses Gemeinsam-Aufmachen lässt sich leichter auf emotionale Gemeinsamkeiten aufbauen: dem Gefühl von Sicherheit, die Neugier auf etwas Unbekanntes, die Freude über etwas Gelungenes, Ärger über Misslungenes.
Das heißt, Zahlen braucht es hier gar nicht?
Zumindest nicht direkt zu Beginn eines Gespräches, sie sorgen schnell für die klassische Argument-Gegenargument-Debatte. Erst nach dem emotionalen Verständnis haben sachliche Argument ihren Platz.
Wie „stricke“ ich denn überhaupt eine gute Verkaufsstory?
Zunächst, indem Sie das Produkt hintenanstellen und auf den Emotionen aufbauen, die Sie beim potenziellen Käufer auslösen wollen. Darauf aufbauend braucht es Wendepunkte. Ganz simpel: Wenn sich nichts ändert, alles gleichbleibt, verliert das Publikum schnell das Interesse. Fokussieren Sie im Verkaufsgespräch auf diese Veränderungen: je stärker, desto wirkungsvoller. Nehmen Sie den Interessenten mit in den Umschwung: Was war schwierig? Was hat Sie unerwartet aus der Bahn geworfen? Wie sind Sie die Lösung angegangen? Dann bleibt die Geschichte spannend und ihr Produkt wird es auch.
»Wenn sich nichts ändert, alles gleichbleibt, verliert das Publikum schnell das Interesse.«
Katja Schleicher,
Trainerin & Coach für interkulturelle Kommunikation
Welche Kulturen reagieren wie auf welche Geschichten?
Der Story-Archetyp Freiheit stößt in den skandinavischen Ländern und in den Niederlanden auf große Resonanz. Auch das Gegenteil funktioniert hier gut: Stories über eingeschränkte Freiheit, übers „sich gefangen fühlen“. In regelaffinen Kulturen wie der deutschen dagegen kommen Geschichten von Vertrauen und Sicherheit besser an. Das Staunen darüber, wie gut Dinge beispielsweise in Deutschland funktionieren, kann für den Erfolg des Verkaufs im Ausland hilfreich sein.
Wie sieht es außerhalb Europas aus?
Im angelsächsischen Raum sind es der Aufbruch ins Unbekannte, das Abenteuer, das stärker räsoniert und bejaht wird. Da kann beispielsweise das Risiko und die Unsicherheit, die Sie bei der Produktentwicklung in Kauf genommen haben, erzählerisch gar nicht genug hervorgeheben werden. In asiatischen Kulturen kommt unternehmerischer Geist, der sich in den Dienst des Gemeinwohls stellt, besonders positiv an. Generell strahlt das kulturell positiv belegte Attribut durch die erzählte Geschichte besonders positiv aufs Produkt ab.
Wie kann ich kulturelle Eigenheiten gut einbauen?
Beim Erzählen an sich lassen sich die kulturellen Eigenheiten gut staffeln: in romanischen und arabischen Kulturen gern mit mehr Begeisterung und größeren Gesten. In Deutschland eher zurückgenommen, in Frankreich vor allem mit Esprit. Und mit einem Auge aufs große Ganze und das Gemeinwohl im asiatischen Raum. Im arabischen Raum gehört Feilschen zur Verkaufsverhandlung dazu, es ist Teil der Spannung und des kommunikativen Prozesses im Verkauf. In regelkonformen Kulturen wie der deutschen ist das dem Verkauf eher abträglich.
Wie schlage ich als Erzähler die Brücke zwischen meinem eigenen kulturellen Story-Background und dem des Publikums?
Emotionen sind auch hier ein guter gemeinsamer Startpunkt: Welches Gefühl wollen Sie beim Kaufinteressenten auslösen? Frustration oder Freude sind in allen Kulturen gleich und werden auch gleichermaßen geteilt. Diese gemeinsamen Emotionen sind der Türöffner für den verkäuferischen Teil des Gesprächs. Brücken lassen sich auch stabil durch „Bei-uns“-Botschaften bauen: „Bei uns ist es Gang und Gäbe, dass…“ – damit hat Ihr Publikum schneller Aha-Effekte und fühlt sich besser eingebunden, selbst wenn es in der Kultur des Käufers ganz anders zugeht.
Wie kann ich andere kulturelle Identitäten denn kennenlernen, um sie dann sinnvoll ins Verkaufsgespräch einzubauen?
Story-Listening ist hier das Zauberwort: vor der eigenen Geschichte den Geschichten der anderen zuhören. Dann filtern, was persönlich und thematisch am stärksten mit Ihnen räsoniert. Danach schauen, was für das angebotene Produkt und den gängigen Verkaufsprozess am relevantesten ist. Wenn diese Aspekte mit einer eigenen Story verknüpft sind, entfalten sie emotional den größten Sog. Dies passiert bei Gemeinsamkeiten – „genau das habe ich auch erlebt“ – oder Unterschieden – „bei uns ist das ganz anders gewesen“. Beides ist gleichwertig, weil die Anknüpfungspunkte gleich stark sind.
Wie lässt sich Humor in Geschichten einsetzen?
Briten, Franzosen und Niederländer haben einen unverkrampfteren Zugang zu Humor im Verkauf als beispielsweise die Deutschen. Das zeigt sich, wenn man Werbeanzeigen für dasselbe Produkt aus verschiedenen Kulturen nebeneinanderlegt. Humor zwischen unterschiedlichen Kulturen ist immer vorsichtig und maßvoll einzusetzen. Es lohnt ein noch intensiverer Blick auf die mögliche Käuferschaft: Wie sieht Humor im Land meines Geschäftspartners aus? Wie selbstverständlich, wie pointiert wird er eingesetzt? Eine weitere hilfreiche Basis-Regel: Sich selbst auf die Schippe nehmen und ins Zentrum des Humors stellen. Das klappt fast immer.
Wieviel Drama braucht welche Kultur?
Über alle Kulturen hinweg gilt: Archetypen ankern. Wir alle arbeiten täglich unbewusst mit Archetypen: der fürsorglichen Mutter, einem Mentor, dem Entdecker, dem Drang nach Freiheit, dem Aufbruch ins Unbekannte. An diese emotionalen Grundkategorien können alle schnell anknüpfen. So sorgen Archetypen für die erste Resonanz zwischen Erzähler und Publikum. Interkulturell gilt: Jede Erzählung braucht genug Drama, um das Publikum bei der Stange zu halten. Eine Geschichte braucht einen Helden.
Welche Figuren sollten in der Geschichte vorkommen?
Jeder Held braucht einen starken Gegenspieler. Je stärker der Gegenspieler, desto besser für die Hauptfigur: James Bond wäre nichts ohne Dr. No, Batman nichts ohne den Joker. Aus dem Kampf zwischen Spieler und Gegenspieler entsteht beim Publikum der Wunsch zu wissen, wie es weitergeht. Es entfaltet sich der Sog, durch den man Ihnen bis zum Ende folgt. Nachvollziehbare Wendepunkte und Konflikte erleichtern es dem Kaufinteressenten, Ihre Höhepunkte und Lösungen mitzuerleben.
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