Oktober 2017
Autor: Michael Sauermost
Hoch die Gläser, Wochenende! Büroarbeiter aus Tokio stoßen darauf an, dass sie freitags früher Feierabend gemacht haben, ganz so, wie die Regierung es sich wünscht. © picture alliance/MAXPPP/dpa
Es gibt viele Japanklischees – auch der Salaryman gehört dazu. Darunter verstehen Japaner Büroarbeiter in renommierten Unternehmen, die von morgens bis abends Anzüge tragen. Für einen Salaryman gleicht die Firma der Familie: Abends geht er nicht pünktlich nach Hause, da sein Chef so freundlich ist und ihn auf einige Drinks einlädt. Weil das andauernd passiert, sieht ein Salaryman seine Kinder nicht aufwachsen, nach der Pensionierung lässt sich seine Frau vermutlich von ihm scheiden.
Tatsächlich ist der Salaryman fast ausgestorben: Die lebenslange Jobgarantie mit Senioritätsprinzip ist zum Luxus geworden. Mittlerweile arbeiten 40 Prozent der Erwerbstätigen in einem lockeren Arbeitsverhältnis. „Einwegangestellte“ werden sie genannt, weil sie arbeitsrechtlich ungeschützt sind. Vor 25 Jahren galten Freelancer noch als hip, da sie nicht dem Firmendruck ausgesetzt waren. Später sah man sie als soziale Sorgenkinder. Dies könnte sich nun wieder ändern.
Mit ihren im Jahr 2017 gestarteten Work Style Reforms will die Regierung eine Gesellschaft entstehen lassen, in der jeder ohne Benachteiligung zwischen verschiedenen Arbeitsformen wählen kann. Außerdem sollen Überstunden reglementiert werden, die bislang nicht alle Arbeitgeber bezahlen. Große japanische sowie ausländische Arbeitgeber sind meist spendabel: Ralf von den Driesch, Manager bei der Firma Trumpf Laser- und Systemtechnik in Yokohama, sieht darin einen Vorteil für seine Mitarbeiter gegenüber ihren Kollegen in japanischen Firmen vergleichbarer Größe. Überstunden oder Wochenendarbeit an sich sind im Serviceland Japan trotzdem noch unumgänglicher als anderswo.
Trends
Der lange Weg zur Freizeitgesellschaft
Trend → Es gibt zahlreiche neue Jobformen: Viele Japaner arbeiten inzwischen auch als Freelancer, in Neben- und Zusatzjobs oder gründen Start-ups.
Folge → Für Unternehmen ergeben sich neue Kooperationsmöglichkeiten, beispielsweise in der Forschung und Entwicklung, aber auch in Marketing und Vertrieb. Consultants im Personalbereich sind gefragt.
Trend → Immer mehr Frauen gehen arbeiten.
Folge → Das E-Commerce-Potenzial wächst bei Doppelverdienern rasant. Außerdem sind die Chancen für Servicedienstleistungen groß: Kindergärten und andere Betreuungsangebote werden immer wichtiger.
Trend →Das Ziel der Regierung lautet: gleicher Lohn für gleiche Arbeit.
Folge → Die Gleichstellung soll die Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt und auch die Effizienz erhöhen. Die Kaufkraft könnte so langfristig auf hohem Niveau bleiben.
Trend → Der Anteil der Einpersonenhaushalte steigt.
Folge → Firmen profitieren stärker von der Unabhängigkeit und Reisebereitschaft der Mitarbeiter.
Trend → Senioren wollen immer länger arbeiten.
Folge → In Zeiten mangelnder Fachkräfte sind Senioren zu wertvollen Beratern und Kontaktvermittlern geworden.
Trend → Flexible Arbeitszeiten und Homeoffice werden langsam beliebter.
Folge → Unternehmen, die ihre Mitarbeiter mit der entsprechenden Infrastruktur ausstatten, haben bessere Chancen auf dem Fachkräftemarkt und etablieren sich als attraktive Arbeitgeber.
Trend → Mitarbeiter nutzen öfter den Urlaub, der ihnen zusteht. Initiativen wie der Premium Friday verlängern das Wochenende einmal im Monat.
Folge → Mitarbeiter sind zufriedener und arbeiten effizienter. Für die Regierung zählt der Kommerz: Tourismus und Einzelhandel sollen profitieren.
Senioren wollen im Rentenalter arbeiten
Die Einbindung von Frauen in die Arbeitswelt bleibt weiter eine besondere Herausforderung: Kinderbetreuungsplätze sind hart umkämpft. Weil die Bevölkerung schrumpft und Fachkräfte fehlen, steigt der Stellenwert von Japans Senioren: 71 Prozent von ihnen wollen im Rentenalter weiterarbeiten. Auch für sie sollen flexible Arbeitsmodelle entstehen.
Grundsätzlich sollen die Reformen Japanern Work-Life-Balance schmackhaft machen. Denn daran hapert es. Ein Festangestellter verfügte im Jahr 2016 im Schnitt über 18,1 Tage bezahlten Urlaub, nahm aber gerade einmal 8,8 Tage davon in Anspruch. Nun sollen die Arbeitsbedingungen flexibler werden. Bisher arbeiteten bei Firmen mit mindestens 1.000 Angestellten nur rund 30 Prozent in flexiblen Arbeitsmodellen.
„Teilweise beschränken wir uns noch auf für deutsche Verhältnisse rudimentäre Maßnahmen“, sagt Trumpf-Manager von den Driesch. Es geht um die limitierende Steuerung der Arbeitszeiten und die Inanspruchnahme von Urlaubsansprüchen. Allerdings kommt das nicht immer gut an: Bisweilen klagen ausländische Unternehmen, dass ihre Auflockerungsbemühungen nicht angenommen werden.
Während allgemein von flexibler Arbeitsgestaltung geschwärmt werde, sei dies aus teilweise schwer nachvollziehbaren Gründen für die eigene Tätigkeit ungewünscht. „Änderungen im Büro werden immer noch als Eingriff in die Privatsphäre betrachtet“, sagt Kenji Yamamoto, Manager in einem Unternehmen für Bauchemikalien. „Auch, wenn die Mitarbeiter dadurch flexibler arbeiten könnten.“
Die facettenreiche Gesamtsituation spiegelt die Premium-Friday-Initiative von Regierung und Wirtschaftsverbänden wider. An jedem letzten Freitag im Monat sollen Arbeitnehmer bereits um 15 Uhr ins Wochenende gehen. Auf der dazugehörigen Homepage finden sich strahlende Gesichter und die Überschrift: „Was mache ich wohl am Wochenende?“.
Der Premium Friday startete im Frühjahr, allerdings schien bereits im Sommer der Hype verpufft zu sein. Die Teilnahme der Unternehmen ist mäßig, Angestellte scheinen ihr schlechtes Gewissen nicht ablegen zu können.Gleichzeitig gibt es für Arbeitnehmer, die sich mit der neuen flexiblen Arbeitswelt arrangieren, auch neue Rahmenbedingungen: Als Folge der neuen Unabhängigkeit sprießen vor allem in Tokio sogenannte Satellitenbüros für Freelancer wie Pilze aus dem Boden. Der Salaryman hat offenbar wirklich ausgedient.
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